Zollinger-Bauweise, Abbundhalle, Reichart Holzbautechnik
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Comeback einer alten Technik

Hundert Jahre nach der Patentierung des Zollinger-Daches bekommt die freitragende Holzbauweise wieder neuen Auftrieb. Sie ist materialsparend, kreislauffähig und funktioniert gut im Selbstbau, weshalb sie heute bei der Errichtung von Werkhallen wieder beliebt ist.

In einem weiten Bogen überspannt das Gitter der Dachkonstruktion die 80 Meter lange Abbundhalle. Von einem zum anderen Ende erstreckt sich ein freier Raum, der nicht durch Stützen oder Säulen unterbrochen wird. Das durchgehende Rautennetz aus Holz schafft eine Ästhetik, die man in einer von Funktionalität geprägten Werkhalle nicht vermuten würde. Für die Firma Reichart Holzbautechnik, die diese Halle errichtet hat, ist es nicht nur eine materialsparende Konstruktion, sondern auch ein anschauliches Beispiel ihrer Holzbau-Kompetenz. 

Villa Parolo, Bad Saarow, Zollingerdach
Die denkmalgeschützte Villa Parolo in Bad Saarow wurde Anfang der 1920er-Jahre in der Zollinger-Bauweise errichtet.

Innovation in der Wohnungsnot

Die Rundbogenhalle im bayerischen Kurort Oberstaufen ist an das Zollinger-Dach angelehnt, das auf den Merseburger Stadtbaumeister Friedrich Zollinger zurückgeht. 1923, vor nunmehr 100 Jahren, sprach man ihm das Patent für die Systembauweise zu. Wie bei vielen Innovationen ist auch diese aus der Not heraus entstanden. Im Deutschland der 1920er-Jahre ging es darum, möglichst kostengünstig und schnell neuen Wohnraum zu schaffen.

Kunden signalisiert eine solche Konstruktion, dass wir nicht irgendein Produzent sind, sondern dass wir den Holzbau mit Herzblut betreiben.


Helmut Reichart, Zimmermeister in Oberstaufen

Die von Zollinger erdachte Bauweise beruht auf einem Stabnetztragwerk, das sich aus vorgefertigten Einzelelementen rautenförmig zusammensetzt. Gegenüber Dachstühlen in herkömmlicher Bauweise hatte diese Konstruktion zahlreiche Vorteile: Es ließen sich bis zu 40 Prozent an Holz einsparen, während zugleich die Raumausnutzung besser war. Zudem erwies sich die modulare Errichtung als derart einfach, dass auch Bauherren als Laien bei der Montage mithelfen und auf diese Weise die Baukosten zusätzlich senken konnten.

Abbundhalle, Reichart Holzbautechnik, Zollinger-Bauweise, Oberstaufen
Die 80 Meter lange Abbundhalle der Firma Reichart Holzbautechnik basiert in ihrer Konstruktionsart auf der Zollinger-Bauweise.

Eine zukunftsfähige Bauweise

Ein Jahrhundert später ist man im Bausektor wieder auf der Suche nach cleveren Ideen und Innovationen. Mit dem menschengemachten Klimawandel steht die Branche aktuell vor der bislang größten Herausforderung. Ressourcenschonende und biobasierte Baulösungen sind gefragt, die auch die gebaute Umwelt – zusätzlich zu den Wäldern und Mooren – zur CO₂-Senke machen. Denn der Kohlenstoff, der etwa in Holz oder Stroh gespeichert ist, bleibt bei der Verwendung als Baustoff langfristig gebunden, während zugleich neu gepflanzte Bäume und Getreide wieder CO₂ aus der Luft aufnehmen.

Da die gewölbte Lamellenkonstruktion nach Zollinger diese ökologischen Ansprüche vereint, kann man sie – auch wenn sie über hundert Jahre alt ist – als zukunftsweisend bezeichnen. Hinzu kommt, dass die Berechnungen der Statik heute wesentlich genauer sind. Während sich viele Jahrzehnte hindurch die darin wirkenden Kräfte nur durch Annäherung nachweisen ließen, können die digitalen Planungswerkzeuge von heute diese Ungenauigkeit beheben. 

Eine Forschungsgruppe der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig (HTWK) modernisierte die Konstruktionsweise und wurde 2016 für herausragende Leistungen in der Denkmalpflege in Europa ausgezeichnet.

Konstruktionsdetail, Reichart Holzbautechnik, Zollinger-Bauweise, Oberstaufen
Das Konstruktionsdetail zeigt: Statt der ursprünglichen – und für Verformungen anfällige Bolzenverbindung – setzte Reichart auf eine Zapfenverbindung und Vollgewindeschrauben.
Abbundmaschine, Reichart Holzbautechnik, Zollinger-Bauweise, Oberstaufen
Die Zollinger-Halle funktioniert gut im Selbstbau, die einzelnen Bauteile der Konstruktion wurden auf dieser Abbundmaschine seriell vorgefertigt.

Viel Raum, wenig Material, großer Effekt

In der Folge ist das mediale Interesse an der Zollinger-Bauweise in den letzten Jahren gestiegen, wodurch auch Zimmerer Helmut Reichart auf sie aufmerksam wurde. Als er 2021 für seinen Betrieb, der 23 Mitarbeiter umfasst, eine 8.000 Quadratmeter große Gewerbefläche erwarb, stand für ihn die Idee einer Rundbogenhalle in Zollinger-Bauweise fest.

„Mir hatte es vor allem die elegante Konstruktion angetan, mit der so eine Halle enorm gut ausschaut“, so der Zimmerer gegenüber dem Holzbaumagazin „mikado“. „Kunden signalisiert eine solche Konstruktion, dass wir nicht irgendein Produzent sind, sondern dass wir den Holzbau mit Herzblut betreiben.“ 

Die freitragende Holzkonstruktion mit der gewölbten Form sorgt für eine optimale Raumausnutzung. Durch die flächige Lastverteilung lassen sich große Spannweiten ohne Stützen überbrücken. Das Holz für die Abbundhalle stammt aus der Region, und durch die ressourcenschonende Bauweise ließ sich außerdem viel Material einsparen. Die gesamte Planung, Fertigung sowie die Montage konnten die Zimmerer selbst vor Ort durchführen.

Baustelle, Reichart Holzbautechnik, Zollinger-Bauweise, Oberstaufen
Bei der ressourcenschonenden Bauweise nach Zollinger lassen sich bis zu 40 Prozent an Holz einsparen.

Aus eckig wird rund

Für Laien mag es überraschend klingen, aber für diese Rundbogenhalle kommen keine gebogenen Leimbinder zum Einsatz. Die einzelnen Elemente der Konstruktion sind gerade, allein durch die windschiefen Stöße in den Verbindungen ergibt sich am Ende eine runde Form. Die relativ kurzen Holzstücke werden segmentweise aneinander gereiht und bilden so ein räumliches Stabwerk, an dessen Knotenpunkten jeweils drei Lamellen aufeinander treffen. 

Im Grunde besteht die Konstruktion nur aus zwei wiederkehrenden Bauteilen, die sich mithilfe von CNC-gesteuerten Holzzuschnittanlagen, sogenannten Abbundmaschinen, seriell fertigen lassen. „Bei insgesamt circa 2.000 Bauteilen ist das ein gewaltiger Kostenaspekt“, erklärt Reichart. Hinzu kommt, dass nur kürzere Hölzer verwendet werden, die preislich ohnehin günstiger sind.

Montage, Reichart Holzbautechnik, Zollinger-Bauweise, Oberstaufen
Durch die windschiefen Stöße in den Verbindungen wird aus den geraden Bauteilen am Ende eine runde Form.

Und die bekannte Schwachstelle in der ursprünglichen Konstruktion – nämlich die Bolzenverbindung, die mit der Zeit zu Verformungen führen kann – hat der Zimmerer ausgemerzt und stattdessen durch eine Zapfenverbindung ersetzt.

Abgesehen von der Klimaneutralität des Baustoffes Holz vereint die Zollinger-Bauweise so viele Vorteile, dass man sie in Zukunft mit Sicherheit wieder öfter sehen wird.

Text: Gertraud Gerst
Fotos: Reichart Holzbautechnik

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