Ein Ofen belebt die Stadt
Mit der Transformation des Zeller Rundofens wurde ein Industriedenkmal konserviert und zugleich neu belebt. Im erweiterten Gebäude gehen nicht nur Backstein, Holz und roter Beton einen Bund fürs Leben ein.
Genau hundert Jahre lang, von 1842 bis 1942, war der Rundofen in der südwestdeutschen Kleinstadt Zell am Harmersbach in Hochbetrieb. Der vierstöckige Brennofen mit einem Außendurchmesser von 10,3 Metern diente der bekannten Zeller Keramik zur Herstellung von Hartporzellan, bei der Temperaturen von bis zu 1.500 Grad notwendig sind. Während die Obere Fabrik – das Areal um den Rundofen – auf Porzellan spezialisiert war, stellte man in der Unteren Fabrik bis vor kurzem Tonwaren her, die über die deutschen Grenzen hinaus Verbreitung fanden. Die berühmte „Hahn und Henne“-Keramik aus Zell zählt zu den deutschen Geschirrklassikern und wird heute zu Sammlerpreisen gehandelt.
Die Vergangenheit wurde respektiert und ihre Aura gestärkt.
Stefan Wussler, Architekt
Der Zeller Rundofen war seit über 80 Jahren nicht mehr in Betrieb und ging, versteckt in einem maroden Winkel innerhalb der alten Wehrmauer, seinem sicheren Verfall entgegen. Dass er heute wieder mit Leben gefüllt ist, verdankt man einem beherzten Umgang der Stadt mit seiner Geschichte und einer Rückbesinnung auf das baukulturelle Erbe.
Jawort in der Brennkammer
Durch die geschickte Transformation nach den Plänen von wwg Architekten wurde der einzige Porzelllanbrennofen dieser Größe in ganz Deutschland für die Nachwelt erhalten. Zugleich bekam die beschauliche Stadt im Schwarzwald ein neues kulturelles Zentrum, das Identifikation mit dem Ort schafft und die Menschen verbindet. Und das im wahrsten Sinn des Wortes. In der obersten Brennkammer des sanierten Ofens werden heute Trauungen durchgeführt.
Eine breite, museale Differenztreppe erschließt vom Eingangsfoyer aus die erste Ebene des historischen Rundofengebäudes.
Stefan Wussler, Architekt
Das bedeutende Industriedenkmal ist zu einem neu inszenierten Ort geworden, der nicht nur museal konserviert, sondern auch vielfältig genutzt wird. Neben einer Galerie für Kunst und einem Museum der Zeller Porzellanherstellung beherbergt das erweiterte Gebäude auch einen Veranstaltungs- und Konzertsaal.
Erweiterung des Bestands
Laut Entwurf sollte das Rundofengebäude in seiner Außenwirkung erhalten bleiben. Der mächtige Backsteinbau wurde an der Giebelseite durch einen Service- und Erschließungsbereich erweitert. Über einen verglasten Einschnitt geben die neuen Betonmauern zu jeder Tageszeit den Blick auf den beleuchteten Rundofen frei. „Eine breite, museale Differenztreppe erschließt vom Eingangsfoyer aus die erste Ebene des historischen Rundofengebäudes, wobei diese Ebene im Anbau weitergeführt wird,“ erklärt Architekt Stefan Wussler von wwg Architekten den neuen Gebäudekörper.
Die bestehenden Zwischendecken waren baufällig und wurden durch tragfähige Betondecken mit Bauteilaktivierung ersetzt. Stahlbetonpfeiler an der Innenseite dienen der baulichen Ertüchtigung der Außenwände, während das Dach komplett erneuert werden musste. Das neue Holztragwerk, das durch schlanke Stahlträger verstärkt wird, ergänzt im Inneren die Materialität. Das neue Holz, der alte Backstein und der rötliche Beton ergeben ein harmonisches Zusammenspiel.
Von der Industrialisierung zur Spätmoderne
Mit dem Zeller Rundofen ist es gelungen, die über 180-jährige Geschichte des Gebäudes architektonisch weiterzuerzählen. Die historischen Backsteinmauern erzählen von den Anfängen der Industrialisierung, während die seitliche Gebäudeerweiterung ein Kapitel der Spätmoderne anhängt. „Die Vergangenheit wurde respektiert und ihre Aura gestärkt“, so Stefan Wussler, Architekt bei wwg.
Die Außenfassade des Anbaus ist als ‚neu‘ ablesbar, wobei sich der Sichtbetonanbau in seiner backsteinfarbenen Schattierung dem Bestandsbau unterordnet, ohne sich als ‚fremd‘ abzugrenzen.
Jury des Badischen Architekturpreises
Die rötliche Einfärbung des Betons ist ein Annäherungsversuch an den Backstein des Bestands. Sie verleiht dem Neubau eine warme Qualität, während durch die Holzlattenschalung eine handwerkliche Textur entsteht. Die Jury des Badischen Architekturpreises, die den Rundofen 2022 auszeichnete, schrieb in ihrem Urteil: „Die Außenfassade des Anbaus ist als ‚neu‘ ablesbar, wobei sich der Sichtbetonanbau in seiner backsteinfarbenen Schattierung dem Bestandsbau unterordnet, ohne sich als ‚fremd‘ abzugrenzen.“
Zu Besuch in der Oberen Fabrik
Die Transformation des Zeller Rundofens wurde außerdem mit dem Hugo-Häring-Preis 2023 ausgezeichnet. Er ist Teil des historischen Areals Obere Fabrik, das vom wirtschaftlichen Aufschwung Zells in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zeugt.
Das Areal umfasst insgesamt sieben Teilbereiche. Besucher können vom Rundofen aus die Kunstausstellung in der Villa Haiss besuchen, ebenso wie den Tellerbau, den Formenkeller und das Haus Maier. Zum Abschluss lädt der Hahn- und Henne-Pfad zu einem Spaziergang durch die Tannenwälder des Hinterharmerbachtals.
Text: Gertraud Gerst
Fotos: wwg Architekten