Woodnest der Liebe
Aus einer romantischen Liebesgeschichte erwuchsen zwei Baumhäuser, die im Gegensatz zu ihren derzeit so modernen Artgenossen dem Begriff alle Ehre machen. Also: Kommen Sie mit in die Gemächer von Woodnest!
Es war einmal vor vielen Jahren. Ein glückliches Paar feierte irgendwo in Norwegen ausgelassen seine Hochzeit. Und während die einen in den Hafen der Ehe einliefen, fing für andere die Fahrt Richtung Glück erst an: Die gebürtige Australierin Sally traf in jener Nacht erstmals auf den Norweger Kjartan Aano. Es war Liebe auf den ersten Blick. Und so kam es, dass sich Kjartan bald mit dem Gedanken trug, um die Hand seiner Angebeteten anzuhalten.
Ein Woodnest der Liebe
Er ging also in den tiefen Wald. Schlug Bäume. Fertigte aus Stämmen und Ästen Balken und Schindeln. Baute ein heimliches Baumhaus im Herzen eines märchenhaften Kiefernwaldes. Als er endlich fertig war, bat er seine große Liebe zu einer Wanderung. Um ihr in diesem Woodnest, wie er es nannte, einen Heiratsantrag zu machen …
Cut! Bevor die Sache zu kitschig wird – hier die Abkürzung: Sally hat natürlich „Ja!“ gesagt. „Als er mir damals in diesem Baumhaus den Antrag gemacht hat, wusste ich einfach, dass er garantiert der Richtige ist“, lacht sie heute.
Glücklich verheiratet ließ das Paar der Zauber der diesem Liebesnest von einst innewohnte allerdings auch über die Jahre hinweg nicht mehr los. „Wir wollen, dass andere die gleiche Freude empfinden wie wir“, sagt Sally. „Für uns war der Ort unseres ersten Woodnest so romantisch. Es war ein Werk der Hingabe. Versteckt im Irgendwo, wo wir spontan fliehen, uns entspannen und in der Natur zusammen sein konnten.“
Ein Woodnest für alle
Und so entschieden die zwei, dieses besonders naturnahe Erlebnis tatsächlich anderen zugänglich machen zu wollen. Allein, es sollte keinesfalls ein halbherziges Baumhaus werden: „Uns war von Anfang an klar, dass wir keine Hütte, die auf Stelzen oder Pfosten ruht, wollten. Wir wollten ein authentisches, ein echtes Baumhaus“, erklärt Sally.
Und tatsächlich muss man sagen: Ziemlich alle Baumhäuser, die derzeit übrigens einen regelrechten Boom erleben, sind strenggenommen Stelzenhäuser, die neben Bäumen aus der Erde ragen.
Der Grund dafür liegt natürlich auf der Hand: Wenn man einen lebenden Baum in sein Haus integriert, ist man von dessen Gesundheit abhängig. Außerdem wächst so ein Baum mit den Jahren, wird dicker, verändert sich. Auch Wind und Wetter rütteln an dessen Stamm – und somit an einem etwaigen Häuschen, das an ihm hängt.
Dementsprechend kann man sich ausrechnen, wie gern Architekten sich an ein Projekt wagen, bei dem so viele nicht kalkulierbare Faktoren einbezogen werden müssen.
Schwierige Architekten-Suche
Logisch, dass sich der Prozess des heutigen Woodnests eher komplex gestaltete: Nach der Entdeckung des geeigneten Grundstücks an den steilen bewaldeten Hängen im Norwegischen Odda, samt Blick über das darunterliegende Fjord, dauerte es noch drei Jahre, bis das Projekt endlich Gestalt annahm.
„Unserer Idee treu zu bleiben, war streckenweise wirklich mühsam“, erinnert sich das Paar. „Es schien, als müssten wir ständig Hindernisse überwinden.“, fügt es hinzu. Aber: „Glücklicherweise fanden wir Architekten, die der Herausforderung gewachsen waren.“
Das norwegische Büro „Helen & Hard“ hatte sich von den Herausforderungen nicht abschrecken lassen und schlussendlich – nach vielen Variationen ihres Erstentwurfs – eine Lösung parat: Eine kiefernzapfenförmige Struktur, die ein paar Meter über dem Waldboden zu schweben scheint.
Leben in sechs Meter Höhe
Das Architekten-Team hängte das Woodnest nämlich sechs Meter über dem Waldboden an den Stamm einer zuvor genau inspizierten Kiefer. Damit das auch wirklich hält, wurde ein eigener Stahlkragen entwickelt, der den Stamm der Kiefer so umschließt, dass er ihre Flexibilität ausgleicht.
Daraus ergibt sich, das der nur 15 Quadratmeter Raum um den zentralen Stamm herum organisiert werden musste. Doch auch das gelang ausgesprochen effizient: Vier Schlafplätze, ein Badezimmer und ein Küchenbereich finden Platz.
Abseits der offensichtlichen Liebe zu Baumhäusern, integriert das gesamte Projekt natürlich die Idee, Holz als Baustoff zu verwenden. Und dessen Vorteile zu nutzen. Schließlich hat Holz ähnlich wie in Österreich auch in Norwegen eine unendlich alte Bautradition. Schließlich ist das Land von gesunden Wäldern regelrecht überzogen.
Deshalb war es Sally und Kjartan auch besonders wichtig, das Potenzial dieses nachhaltigen Baustoffs möglichst darzustellen.
Das wird allein schon dadurch sichtbar, dass die gesamte Architektur strukturell vom Baumstamm selbst getragen wird. Der Korpus wiederum wurde aus radialen Schichtholzrippen gezimmert. Naturbelassene Holzschindeln umschließen das Woodnest wie eine schützende Hülle.
Das beste Versteck der Welt?
Und wenn die Schindeln mit der Zeit verwittert sind, wird Woodnest durch seine natürliche Patina endgültig mit dem Wald verschmelzen, mit ihm eins werden. Genauso, wie vor vielen Jahren Sally und Kjartan in den Baumkronen dieses Kiefernwaldes eins wurden.
Und weil sie nicht gestorben sind, haben sie vor lauter Freude inzwischen ein zweites Woodnest gebaut.
Text: Johannes Stühlinger
Bilder: Helen & Hard