Wolkenkratzer auf der Weide
Bald hat Westeuropa einen neuen Rekordhalter in Sachen Skyscraper. Der Bestseller Tower, Dorte Mandrups Büroturm für den dänischen Moderiesen, soll 320 Meter in die Höhe ragen. Und das nicht im städtischen Ballungsraum, sondern auf der Schafweide.
Hoch, höher, am höchsten. Das war lange Zeit die bestimmende Superlative beim Bau von Bürotürmen. Eine Ära, die von qualitativen Standards abgelöst wurde. Heute werden Hochhäuser aus Holz gebaut, die um den Meistertitel in den Disziplinen Innovation, Nachhaltigkeit und Energiebilanz buhlen. Doch der geplante Wolkenkratzer in der dänischen Kleinstadt Brande knüpft jetzt wieder an die alten Höhenrekorde an. Mit 320 Metern wird der neue Sitz des Fast-Fashion-Unternehmens Bestseller den Londoner Turm The Shard um 10,4 Meter übertrumpfen. Damit wird der Modeturm das höchste Gebäude Westeuropas sein.
Mit 2.700 Geschäften, einer Vertretung in 15.000 Department Stores weltweit und einem eigenen Modeunternehmen in China zählt Bestseller zu den weltgrößten Moderiesen. Dennoch kennt den Namen in unseren Breitengraden kaum einer. Das kommt daher, dass das familiengeführte Unternehmen mit Sitz im dänischen Brande mehr als 20 einzelne Marken führt und damit einen sehr großen Sektor abdeckt. Vero Moda, Only und Name It zählen zu den bekanntesten Marken, die es mittlerweile an jeder Straßenecke gibt. CEO Anders Holch Povlsen ist nicht umsonst der reichste Mann Dänemarks.
Weithin sichtbare Landmark
Das Unternehmen wurde 1975 gegründet und zählt mittlerweile zu den größten Arbeitgebern der Region. Mit dem Bauprojekt für das neue Headquater in Brande möchte sich der Mode-Retailer ein architektonisches Denkmal schaffen und – wie in einer Aussendung betont wird, der lokalen Community etwas zurückgeben.
Der Bestseller Tower wird eine Landmark sein, die Brande einen Platz auf der Weltkarte verschafft.
Anders Krogh Vogdrup, Bestseller
„Der Bestseller Tower wird eine Landmark sein, die Brande einen Platz auf der Weltkarte verschafft“, tönte der Verantwortliche des Bauprojektes Anders Krogh Vogdrup. Tatsächlich hatten bis dato die wenigsten Dänen auch nur die leiseste Ahnung, wo sich der 7.000-Seelen-Ort Brande befand. Der Begriff Landmark kommt dem Projekt im wörtlichen Sinn sehr nahe. Der 320 Meter hohe Turm wird mitten in eine Weidelandschaft gepflanzt und die Ebenen Jütlands weithin dominieren. Er wird im Umkreis von 60 Kilometern zu sehen sein. Wer künftig dänisches Weltkulturerbe wie die Runensteine von Jelling aus dem 10. Jahrhundert besucht, wird den Turm ebenso am Erinnerungsfoto haben wie die Besucher des nahegelegenen Legoland.
Die Genehmigung der örtlichen Baubehörde wurde bereits im Frühjahr erteilt und ging ohne Probleme durch. Während ursprünglich von einer Fertigstellung im Jahr 2023 die Rede war, scheint die Umsetzung nun doch länger zu dauern. „Die Zustimmung des Stadtrates ist offensichtlich ein wichtiger Schritt, aber es gibt in vielerlei Hinsicht noch sehr viel zu prüfen und zu tun, bevor ein Projekt wie dieses umgesetzt werden kann. Vor einem potentiellen Baustart wird es noch einige Jahre dauern“, so Vogdrup.
Eigenes Sonnenkraftwerk geplant
Der Entwurf für das neue Unternehmenszentrum stammt vom renommierten Architekturbüro Dorte Mandrup, das für seinen nachhaltigen Ansatz bekannt ist. Nachhaltigkeit zählt auch zu den großen strategischen Zielen des Modeunternehmens. Mit der angekündigten Fashion-Forward-Strategie wird künftig eine positive Klimabilanz und Fairness in der Modeproduktion angestrebt. Ein 125 Mega-Watt-Sonnenkraftwerk, das den gesamten Stromverbrauch aller von Bestseller betriebenen Niederlassungen abdecken soll, ist ebenfalls in Planung. „Daher ist es nur natürlich, dass wir bei unserem Projekt in Brande ebenfalls nach nachhaltigen Lösungen suchen“, versichert Vogdrup. Das Tower & Village-Projekt soll nach globalen DGNB-Standards zertifiziert werden.
Ungehörte Kritik
Der markante Bau des Moderiesen, der künftig ein bestimmendes Element in der jütländischen Landschaft sein wird, hat auf lokaler Ebene kaum Kritiker, wie es scheint. Die dänische Architektin Trine Kammer allerdings klagte gegenüber der britischen Tageszeitung „The Guardian“, dass sich die örtliche Zeitung weigerte, auf ihre Bedenken gegenüber dem Bau einzugehen. „Die Menschen in Brande haben solche Angst, Bestseller zu kritisieren. Es ist fast wie eine Religion“, sagte sie. Ihrer Meinung nach wird der Turm das Gefühl einer weiten, ungestörten Landschaft zerstören. „Ein so hohes Gebäude macht die Welt klaustrophobisch klein. Warum muss ich an Bestseller erinnert werden, wenn ich alleine in einem abgelegenen Wald spazieren gehe?“
Auch im Netz wird die extreme vertikale Ausrichtung des Baus in diversen Architektenforen infrage gestellt. „Warum vertikal? Warum müssen es 320 Meter sein?“, heißt es da. „Es gäbe wesentlich grünere Alternativen, unter anderem auch im Tiefbau.“
Text: Gertraud Gerst
Fotos: Bestseller