Wo man den Wald vor lauter Bäumen sieht
In London entsteht soeben das aufsehenerregende Bürohaus „Roots in the sky“: Mit Wald auf dem Dach. Geplant hat es das Studio RHE von Architekt Richard Hywel Evans, dem Schöpfer des Six Senses Resort Zil Pasyon.
In Londons City wird aus dem ehemaligen Strafgerichtsgebäude Blackfriars Crown Court das aufsehenerregende Bürohaus „Roots in the sky“: Mit Wald auf dem Dach. Geplant hat es das Studio RHE von Architekt Richard Hywel Evans. Dasselbe Architekturbüro hat auf der Seychellen-Insel Félicité das Six Senses Resort Zil Pasyon designt.
Es wird das erste Londoner Bürogebäude mit eigenem Dachwald. Da, wo in der Londoner City zuvor Verfahren geführt und Strafen verhängt wurden, entstehen auf 385.000 Quadratmetern moderne, auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Büro-, Gewerbe- und Co-Working-Flächen.
Mehr als 10.000 Pflanzen hoch oben
Immobilieninvestor und -developer fabrix heftet sich auf die Fahnen, durch intelligenten Einsatz von finanziellen Mitteln, Technologie und Architektur dazu beizutragen, eine nachhaltigere Welt zu gestalten. Und so sollen nach der Revitalisierung des ehemaligen Strafgerichts Blackfriars Crown Court mitten in der Londoner Innenstadt auf dem Dach rund 100 heimische Bäume und weitere 10.000 Pflanzen Wurzeln schlagen.
Entworfen wurde Roots in the sky vom preisgekrönten Architekturbüro Studio RHE des Architekten Richard Hywel Evans. Das bestehende zweistöckige Gebäude aus den 1960er Jahren diente Fabrix und dem Designteam als Ausgangspunkt für die Entwicklung eines Bürogebäudes mit großzügigen und anpassungsfähigen Grundflächen von bis zu 40.000 Quadratmetern.
Hybridrahmen trägt 1.300 Tonnen Erde
Unter Verwendung der vorhandenen Fundamente und unter Beibehaltung der ersten beiden Etagen wird auf sechs aufgestockt. Zuvor war im Gebäude das HM Stationery Printing Office untergebracht. Die Gebäudefundamente als Druckerei konnten einer wesentlich höheren Belastung standhalten, als sonst üblich. RHE machte sich also daran, „diesen gemauerten Stadtblock ,abzuholen‘ und ins nächste Jahrhundert überzuführen“.
Ein leichter Hybridrahmen aus Stahl und CLT (Cross laminated timber) macht den Dachwald möglich. Denn hoch oben benötigt man dafür 1.300 Tonnen Erde und 1,5 Meter tiefe Baumgruben.
Unsere Vision für ,Roots In The Sky‘ ist ein moderner Arbeitsplatz, der sich aktiv mit der lokalen Umgebung verschränkt und dazu beiträgt, eine Nachbarschaft zu gestalten, die angenehm, lebenswert und wirtschaftlich produktiv ist. Das Gebäude soll zur laufenden Regeneration der Bankside London beitragen.
Clive Nichol, CEO Fabrix
Die stimmungsvoll mit Holz verkleideten Offices werden Holzböden und großzügige Raumhöhen haben. Die Sprossen- und Schiebefenster werden viel natürliches Licht reinlassen. 25.000 Quadratmeter sind für sogenannten erschwinglichen Arbeitsraum vorgesehen.
Kreativ-Kraftwerk
Für das Gebäude werden die besten Umwelt- und Wellness-Gütesiegel angestrebt, darunter BREEAM „Outstanding“ und WELL Gold oder Platinum. Die angepeilte BREEAM-Zertifizierung, nach der britischen Building Research Establishment Environmental Assessment Methodology, erreiche man nur mit echter, natürlicher Belüftung, heißt es bei RHE.
Diese werde unterstützt durch ein Wärmepumpen-Lüftungssystem mit Verdrängungsmechanismus und Kühlbalken. Der Bau soll im dritten Quartal 2024 abgeschlossen sein. In einer derartigen Umgebung und mit der ressourcenschonenden Bau- und Funktionsweise könnte sich Roots in the sky durchaus als Kreativ-Kraftwerk für Mensch und Natur herausstellen.
Mit Infinity-Edge Pool
Der von Landschaftsdesigner Harris Bugg entworfene 1,1 Hektar große städtische Wald auf dem Dach wird für alle zugänglich sein. Der Öffentlichkeit wird sich ein fantastischer Blick auf die Dachlandschaft der Londoner Innenstadt und den von Stararchitekt Renzo Piano entworfenen Wolkenkratzer The Shard im Stadtteil Southwark bieten.
Zudem wird es die Möglichkeit geben, gemeinschaftlich zu gärtnern. Der urbane Wald wird einen auch im Dachrestaurant oder in der Bar vergessen lassen, dass man sich hoch oben, über dem sechsten Stockwerk befindet.
Besonderes Highlight ist der glasüberdachte Infinity-Edge Swimmingpool mit Glasboden genau über dem Atrium. Er wird mit Abwärme des Gebäudes beheizt. Die unter der zweigeschoßigen Dachfläche liegenden Büros werden über private Terrassen verfügen.
Oase in der City
Das Dach verfügt über ein passives Wasserauffang- und Bewässerungssystem und wird die Tierwelt, die Biodiversität, wieder in die Stadt zurückbringen, skizziert Fabrix weitere Nachhaltigkeitsaspekte. Man habe erkannt, dass Büroflächen im Bezirk gefragt seien, dass es aber an Raum und Dienstleistungen für die gemeinschaftliche Nutzung mangle.
Zu den Einrichtungen auf Straßenebene gehören das „grüne“ Atrium, ein Auditorium sowie ein Gemeinschaftsraum, ein Café und Geschäftslokale. Ein neuer Durchgang mitten durch das Gebäude verbindet die angrenzenden Straßen.
Das riesige offene Atrium mit einer Art labyrinthischer Wellness-Treppe dient als Verbindung zwischen dem ebenerdigen Straßenabschnitt und dem Dach. Es ist von verglasten Arbeitsräumen mit bis zu acht Metern Höhe umgeben.
Tarnkappen-Architektur
Das in London ansässige Architektur- und Designbüro Studio RHE hat sich einen Namen gemacht als Gestalter nachhaltiger, kühner Wohn-, Freizeit- und Arbeitswelten. Awards hat Richard Hywel Evans unter anderem für das Zil Pasyon Six Senses Resort und The Residences auf der zu den Seychellen gehörenden Privatinsel Félicité eingeheimst.
Der 2016 fertig gestellte Zil Pasyon-Komplex jedenfalls verfügt über Villen, drei Oceanside-Bars, einen eigenen Hubschrauberlandeplatz sowie eine kleine Anzahl luxuriöser, privater Residenzen am Hang. Die exklusiven Villen wurden in die einzigartigen Granitfelsen der Seychellen hineingebaut und sorgfältig in die Küstenlinie drapiert. Evans nennt dies „Stealth Architecture“ (Tarnkappen-Architektur).
Das natürliche Terrain der Insel Félicité dürfte durchaus herausfordernd gewesen sein. Im Rahmen eines langfristigen ökologischen Managementplans wurden die Flächen an speziell ausgewählten Stellen auf der Insel gerodet und später mit einheimischen Arten, von denen einige bereits ausgestorben waren, neu bepflanzt.
Text: Linda Benkö
Fotos/Renderings: fabrix, Studio RHE