Grüne Architektur für marode Stadtviertel
Beim „Reinventing Cities“-Wettbewerb haben Architekten CO2-arme oder sogar CO2--freie Konzepte für verlassene Räume in sechs Städten entwickelt: Chicago, Madrid, Mailand, Paris, Oslo und Reykjavík. Nun wurden die Gewinnervorschläge präsentiert.
Es ist wirklich kein Geheimnis: Unser noch blauer Planet rast dank des menschlichen Übermuts im Eilzugstempo Richtung dunkle Zukunft. Ein Faktum, das die junge Umwelt-Aktivistin Greta Thunberg gerne mit Zahlen greifbar macht: Wenn wir einfach so weitermachen, werden die globalen Durchschnittstemperaturen bis zum Jahr 2100 um 2 Grad über das vorindustrielle Niveau ansteigen.
Davor warnt Greta Thunberg
Das würde folgende Konsequenzen nach sich ziehen: Das grönländische Eisschild würde abschmelzen, der Meeresspiegel in Folge um einen halben Meter ansteigen. Küstenregionen mit zusammen mehr als 250 Millionen Bewohnern würden überschwemmt. Neuere Forschungen deuten zudem auf eine bereits beginnende Destabilisierung von Teilen der Westantarktis hin. Alpengletscher schmelzen weiter ab, die Arktis wird im Sommer eisfrei.
Allein die Städte könnten rund 40 Prozent der Einsparungen erzielen, die zur Erreichung der Ziele des Pariser Abkommens erforderlich sind!
Aus der Ausschreibung zu „Reinventing Cities“
Ein Szenario, das wir unter allen Umständen verhindern müssen. Eben deshalb verpflichtet das Pariser Abkommen von 2015 alle Unterzeichner, den durchschnittlichen globalen Temperaturanstieg auf weniger als 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Ohne Frage, ein wahrer Kraftakt. Einer, bei dem gerade die Ballungsräume das Zünglein an der Waage sein werden: Allein die Städte könnten rund 40 Prozent der Einsparungen erzielen, die zur Erreichung dieses Ziels erforderlich sind!
Aus diesem Grund wurde vor zwei Jahren das „Reinventing Cities“-Projekt ins Leben gerufen. Dabei wurden weltweit Architekten eingeladen, neue und vor allem CO2-arme oder sogarCO2-freie Konzepte für verlassene Räume in sechs Städten zu entwickeln: Chicago, Madrid, Mailand, Paris, Oslo und Reykjavík. Nun wurden die Gewinnervorschläge präsentiert. Die Gewinnerteams haben jetzt die Möglichkeit, jeden Standort zu kaufen oder zu mieten, um die Projekte zu entwickeln.
Chicago.
Projekt: Garfield Green
Auf zwei leerstehenden Grundstücken im Stadtteil Garfield Park in Chicago soll eine neue, CO2-freie Wohnanlage mit erneuerbarer Energie betrieben werden. Außerdem schwebt den Architekten vor, die benötigten Lebensmittel gleich auf dem Dach anzubauen und Regenwasser vor Ort direkt aufzubereiten. Außerdem sollen die einzelnen Teile dieser hocheffizienten Gebäude, die nach dem Prinzip des „Passivhauses“ konzipiert sind, in einer an das Objekt angrenzenden Fertigungsstätte gebaut werden.
Madrid.
Projekt: Mercado Habitado II
Ein ungenutztes Marktgebäude in Madrid soll mit recycelten Materialien und zertifiziertem Holz renoviert werden. Solarmodule auf dem Dach und an den Wänden würden eigenen Strom produzieren. Außerdem hätten die Bewohner innerhalb des Marktes Zugang zu lokalen, ökologischen Produkten.
Projekt: Tercer Sonido
Auf einem brach liegenden Streifen Land, eingezwickt zwischen einem Industrie- und einem Wohngebiet, sollen laut diesem Projekt neue Studentenwohnheime, Proberäume sowie ein Konzertsaal für Musiker entstehen. Fast die Hälfte der Gesamtfläche würde für Grünflächen genutzt werden und diese wiederum großteils, um das nötige Gemüse und Obst selbst anzubauen.
Projekt: Campus for Living Cities
An der Polytechnischen Universität Madrid soll ein neues emissionsfreies Studentenzentrum errichet werden. Mit Wohn-, Sport- und Kunsteinrichtungen sowie einem Labor für Nachhaltigkeitsforschungsprojekte. Der Bau würde nach dem Prinzip der des Passivhausbaus errichtet. Außen würden die Wände mit Löchern bedeckt, um Lebensräume für Pflanzen und Tiere zu schaffen.
Projekt: Urban Battery
Eine neue Fabrik in Madrid soll biologisch abbaubare Zink-Luft-Batterien herstellen und mit Energie aus einem eigenen Solarpark betrieben werden. Dadurch sollen mehr als 100 lokale Arbeitsplätze geschaffen werden. Außerdem würde der ausgelaugte Boden durch regenerative landwirtschaftliche Techniken wiederhergestellt werden. Auch an ein Kompostlabor hat man gedacht, um vor Ort Kompost aus lokalen Abfällen zu produzieren und diesen als Dünger für die lokalen Anbauflächen zu nutzen.
Mailand.
Projekt: L’Innesto
Auf einem ehemaligen Güterbahnhof in Mailand soll Italiens erstes CO2-neutrales Sozialwohnungsprojekt entstehen. Das Design begrenzt bewusst den Platz für PKWs, bietet umgekehrt aber zusätzlichen Platz für Fahrräder und Ladestationen für Elektroautos. Auch ein Carsharing-System in der Nachbarschaft wurde in das Konzept integriert. Die Gebäude würden mit erneuerbarer Energie vor Ort versorgt und an die lokal vorhandene Fernwärme angeschlossen werden.
Projekt: Co-Inventing Doria
Auf einem Parkplatz in der Nähe des Mailänder Hauptbahnhofs soll ein klimaneutrales Hostel entstehen. Solarmodule auf dem Dach, ein grüner Innenhof und eine „atmende Wand“, die Energie zurückgewinnen und die Luft filtern kann, sind konzipiert. Im Zuge des Projekts würden auch die umliegenden Straßen neu gestaltet werden, um sie fußgängerfreundlicher zu machen und zusätzliche Grünflächen zu schaffen.
Projekt: Vitae
Ein leerstehendes Grundstück in Mailand soll in ein Forschungs- und Bildungsgebäude mit Solarstrom und Erdwärme verwandelt werden. Außerdem soll das Dach in einen Weinberg und großen Gemüsegarten verwandelt werden, um die Nahversorgung zu sichern.
Projekt: Teatro delle Terme
Diese historischen Ställe in Mailand sind heute ungenutzt, würden aber laut diesem Projektteam in einen Stadtpark umgewandelt werden, der die natürlichen heißen Quellen der Region nutzt. Die Gebäude sollen zusätzlich Solarmodule und Solarthermiemodule zur Warmwasseraufbereitung nutzen. Die vorhandene Fernwärme würde zusätzlich genutzt werden.
Oslo.
Projekt: Recipe for future Living
Auf leerstehenden Flächen in einem Industriegebiet in Oslo sollen neue und vor allem klimaneutrale Wohn- und Gewerbeflächen errichtet werden. Die dafür notwendigen Baumaterialien würden aus recycelten Bauabfällen bestehen, wodurch 90% der Emissionen reduziert werden könnten. Die Hälfte des Geländes soll für Grünflächen und Gewächshäuser genutzt werden.
Projekt: The urban Village
Auf einem Parkplatz in einem Vorstadtviertel am Rande von Oslo würde eine neue Kommune mehr Energie produzieren, als sie verbraucht! Das soll mittels Solarmodulen, die Fassaden und Dächer von Gebäuden mit Passivhausstandard abdecken, möglich werden. Und: Autos wären in diesem Konzept gleich ganz verboten.
Paris.
Projekt: MKNO
Dieses Konzept sieht die Entwicklung von Wohnungen, Büros, Geschäften und Gemeinschaftsräumen wie einer Bibliothek und einem Kindergarten im Pariser Vorort Bobigny vor. Die Gebäude würden mit Erdwärme und Abwärme aus nahegelegenen Gebieten beheizt werden. Mit mehr als 1.000 Fahrradstellplätzen und Fahrrad-Sharing-Systemen soll die Bevölkerung ermutigt werden, nicht mit dem Auto zu fahren.
Projekt: Odyssee Pleyel
Im nördlichen Pariser Vorort Saint-Denis soll ein altes Industriegebäude mit Solarmodulen, Solarthermiezellen und Zink-Luft-Batterien nachgerüstet werden. Im Inneren der CO2-freien Anlage ist ein Innovationsstudio für Start-ups und gemeinnützigen Organisationen geplant, dass Raum für die Arbeit an Nachhaltigkeitsprojekten bieten soll.
Reykjavík.
Projekt: Lifandi Landslag
Eigentlich hätte hier ein Bahnhof errichtet werden sollen. Doch weil daraus nicht wurde, steht das verschmutzte Industriegelände in Reykjavík für umweltfreundliche Pläne bereit: Hier soll das größte Holzgebäude Islands gebaut werde. Das Gebäude (Lifandi Landslag oder Living Landscape genannt) bildet einen Ring um einen neuen Park mit einheimischen Pflanzen – selbst das Dach ist begrünt. Der Ort soll so gebaut werden, dass er zum Spazierungehen und Radfahren einlädt. Außerdem würde die Hälfte der vorhandenen Parkplätze für Elektroautos reserviert werden.
Projekt: Fabric
Dieses Niedrigenergiehaus soll auf einem ungenutzten Gelände im Zentrum von Reykjavík entstehen und würde Coworking und Collaborative Living mit öffentlichen Räumen und Geschäften verbinden. Das Gebäude soll mittels Geothermie beheizt werden – ein begrüntes Dach, bepflanzte Wänden und Gewächshäuser sollen dabei unterstützend wirken.
Text: Johannes Stühlinger
Bilder: Reinventing Cities