Indianisches Erbe, studentisches Leben
Wer auf einem Gelände baut, das historisch von den First Nations besiedelt war, trägt Verantwortung. CannonDesign hat sie übernommen. Das WMU-Studentenzentrum in Kalamazoo ist ein Leuchtturm der Inklusion.
Kalamazoo klingt, zumal für angloamerikanische Ohren, reichlich fremd. Was dazu geführt hat, dass der Name der Millionenstadt im Südwesten des US-Bundesstaates Michigan heute ein geflügeltes Wort ist. Der Volksmund nutzt es, um exotische „Weiß der Kuckuck, wo die liegen“-Plätze zu benennen. Oder um auszudrücken, dass man die Existenz eines Ortes sogar gänzlich anzweifelt. In der Stadt selbst sind daher T-Shirts mit dem Aufdruck „Yes, there really is a Kalamazoo“ das meistverkaufte Souvenir.
Besinnung auf die Wurzeln
Vermutlich leitet sich der Name der Stadt Kalamazoo, den auch der nahegelegene Fluss trägt, aus der Sprache der Potawatomi oder Ottawa ab, die die Region lange vor den europäischen Siedlern bewohnten. Über Jahrhunderte wurde das Erbe der First Nations in der Region ignoriert, ja sogar negiert. Doch das ändert sich gerade. Und dazu trägt nicht zuletzt auch das neue WMU-Studentenzentrum der Western Michigan University bei.
Als Ersatz für das Bernhard Center, ein ehemaliges Chemieinstitut der WMU, schuf das global tätige Architektur-, Ingenieur- und Beratungsbüro CannonDesign einen lebendigen Raum, der die Zusammenarbeit auf dem Campus, aber vor allem das Zugehörigkeitsgefühl und die Gemeinschaft fördert. So ist das dreistöckige Gebäude zwar als studentischer Treffpunkt konzipiert, der unter anderem Versammlungs- und Aufenthaltsräume, ein Spielecenter, Essensmöglichkeiten, die Brauerei und Geschäfte wie den Buchladen des Campus beherbergt. Noch vielmehr sind die 15.000 Quadratmeter aber ein Musterbeispiel für das Engagement der Universität, Inklusion in allen Aspekten des Campuslebens Priorität einzuräumen.
Gebaute und gelebte Inklusion
So findet man im WMU-Studentenzentrum zum Beispiel Gebets- und Meditationsräume sowie barrierefreie Zugänge zu allen Etagen. Doch Inklusion geht weit darüber hinaus. Die Planer hatten auch die indianischen Wurzeln im Blick. Sie griffen beim Design etwa die Idee eines Sitzkreises auf. Und statt gerader Wände und rechteckiger Räume, wie sie in der traditionellen Architektur üblich sind, erinnern die überwiegend gebogenen Wände und kreisrunden Zimmer an Tipis.
Auch die umgebende Natur – weite Ebenen und dichte Wälder – haben den Entwurf inspiriert. Auf allen (architektonischen) Ebenen drückt er Wertschätzung für das Land und die regionalen Baustoffe aus. Das Erdgeschoss ist zum Beispiel mit Coldwater Shale verkleidet, dem hellen Schiefergestein der Gegend. Die gläserne, mittlere Ebene des Gebäudes ist von freiliegenden Säulen umgeben, die das Gefühl vermitteln, durch einen Wald in Michigan zu gehen. Und in der obersten Etage sorgen goldene Lamellen, die sich fächerförmig um die Fassade herum erstrecken, gleichzeitig für Sonnenschutz und spannende Schattenspiele. Denn die Ausschnitte in den Lamellen werfen den Schattenumriss einer Baumkrone auf das äußere Glas und übertragen ihn in die Räume.
Feier der Naturschätze
Auch Innen sind die grünen Schätze Michigans präsent. Ganz besonders im zentralen, mit örtlichem Zedernholz ausgekleideten Atrium, das den Titel „Cedar Heart“ trägt. Der Name ist Programm. Denn im Cedar Heart schlägt auch das Herz des WMU-Studentenzentrums. Das ikonische Atrium ist kein „Durchzugsort“ auf dem Weg von Vorlesung A zu Seminar B. Es ist vielmehr und tatsächlich ein Platz, der dazu einlädt, sich mit anderen zu treffen und zu vernetzen.
Im Cedar Heart kann gemeinsam gearbeitet oder auch gechillt werden – dank Sitzbereichen, Aufführungsräumen und flexiblen Sitzungszimmern, die via Oberlicht vom Dach bis zum Erdgeschoss mit natürlichem Licht durchflutet sind. Auch auf der Versammlungstreppe mit mehreren Podesten können sich die Studenten die Zeit zwischen den Kursen vertreiben. Die Treppe, die sich wie ein Amphitheater nach oben schraubt, ist eines der beeindruckendsten Designelemente des Gebäudes. Sie verbindet die verschiedenen privaten, halbprivaten und öffentlichen Begegnungsräume im gesamten Gebäude. Und jeder Absatz ist natürlich mit einem Lift erreichbar.
Zedernherz und Stimmenwand
Im Erdgeschoss des Zedernherzens befindet sich der Mosaic Affinity Space. Neben flexibel nutzbaren Räumen beherbergt er auch die WMU-„Stimmenwand“, die den Ideen, Anliegen und Visionen der Studenten für die Zukunft „ihrer“ Uni einen Platz gibt.
Wie wichtig gerade Letztere ist, kristallisierte sich während des ungewöhnlichen Planungsprozesses heraus. Mit dem WMU-Studentenzentrum entwarf die Western Michigan University nämlich zum ersten Mal ein Gebäude unter dem wertebasierten Gesichtspunkt der institutionellen Vielfalt und Multikulturalität, kurz: IDM. Und so flossen in den Gebäude-Entwurf nicht nur die Visionen der Architekten und der Universitätsleitung ein, sondern auch das Feedback von Tausenden Studentinnen und Studenten.
„Bei einem Campus-Gebäude wie diesem gibt es viele Beteiligte“, sagt Brett Lawrence, Projektleiter bei CannonDesign. „Von der Fakultät über das Personal und die Verwaltung bis hin zum Budget – alle und alles haben in der Regel großen Einfluss auf die Gestaltung. Und oft werden die Bedürfnisse der Studenten davon überschattet.“
Nicht so bei diesem Projekt. Mit dem klaren Auftrag, die Anliegen der jungen Unibesucher in den Vordergrund zu stellen und vor allem auch unterrepräsentierte Studentengruppen einzubeziehen, entwickelte Renee Wallace, Geschäftsführerin von Doers Edge Consulting, einen maßgeschneiderten, vielschichtigen Beteiligungsprozess.
Durch die IDM-Linse
Durch Fokusgruppen, Zeichenübungen und offene Gespräche – etwa mit der Black Student Union oder dem Disability Student Service – gewannen die Planer wertvolle Einblicke, was Zugehörigkeit für die sehr heterogene WMU-Studentenschaft bedeutet und wie Räume und Stilelemente für sie zu einem Wir-Gefühl beitragen. „Jedes Mal, wenn wir im Planer-Team vor einer kritischen Design-Entscheidung standen, lenkten wir die Diskussion auf unsere Verpflichtung, auf die Studenten einzugehen und das Gebäude durch die Linse der IDM zu gestalten“, so Renee Wallace.
So waren die Schlüsselthemen der Studenten dann auch rasch identifiziert. Neben dem Thema „Wertschätzung der regionalen Kultur und Natur“, die sich etwa in der Außenhülle und der Gestaltung des Atriums widerspiegeln, stand das Bedürfnis nach authentischer Interaktion als wichtigster Faktor für eine Atmosphäre der Zugehörigkeit und Wertschätzung ganz oben auf der Liste.
Als Reaktion darauf entwickelten die Planer unter anderem das Konzept der „C3-Räume“: collide, collaborate und conspire. „Die Idee war, den Studenten die Möglichkeit zu geben, im gesamten Gebäude miteinander in Kontakt zu treten“, erklärt Charles Smith, CannonDesign-Projektleiter.
Drei Cs, ein SOC
Ein Ergebnis des C3-Ansatzes ist etwa das Student Organization Center (SOC). Es bietet einen großen offenen Bereich, der die Studenten ermutigt, zufällig miteinander ins Gespräch zu kommen (collide). Gleichzeitig verfügt das Center aber auch über Tische, an denen Teams zusammenarbeiten können (collaborate). Und wenn die Studenten sich in größeren Gruppen für eine gemeinsame Sache organisieren möchten (conspire), gibt es auch dafür Platz.
Das SOC befindet sich in der Nähe des Haupteingangs und gegenüber des Admissions Welcome Centers. „In anderen Studentenzentren ist der Bereich für Studentenorganisationen oft etwas versteckt. Aber an der Western Michigan University wurde ihm Priorität eingeräumt. Wenn man das WMU-Studentenzentrum betritt, kann man sofort sehen, wie Studenten und Berater zusammenarbeiten, um der gesamten Campusgemeinschaft zu dienen“, sagt Carrie Parker, eine leitende Planerin des Projekts.
Es gibt international viele inspirierende neue Campus-Bauten. Genauso viele Hochschulen haben es aber versäumt, den Faktor Architektur für die Gewinnung von Studenten auf den Schirm zu nehmen. In den USA ist das mit ein Grund, weshalb Highschool-Abgänger die Vorteile der traditionellen College-Erfahrung mittlerweile in Frage stellen. Die Western Michigan University ist es mit dem WMU-Studentenzentrum jedoch gelungen, ein Campus-Umfeld zu schaffen, das die unterschiedlichen Hintergründe, Identitäten und Perspektiven ihrer Studenten widerspiegelt.
Und das hat sich gelohnt: „Das WMU-Studentenzentrum ist eine katalytische Einrichtung. Sie hat sich zu einem echten Magneten entwickelt“, sagt Projektleiter Charles Smith. „Hier können die Studenten sie selbst sein. Sie können ihre Beziehungen zueinander, zur Welt und zu vielen anderen Dingen pflegen und erforschen, die für sie in dieser besonderen Lebensphase wichtig sind.“
WMU-Studentenzentrum – zentral für die Gesellschaft
Die Planer von CannonDesign sind zudem überzeugt: Die Schaffung von Räumen, in denen sich alle Studenten verbunden und zugehörig fühlen können, zahlt sich weit über den Campus hinaus aus. „Gezielte Investitionen in den Aufbau integrativer Räume werden Hochschulen und Universitäten helfen, in der sich wandelnden Hochschullandschaft relevant zu bleiben. Und sie werden uns gleichzeitig dabei unterstützen, authentisch-gerechte Wege zum Erfolg für alle und in jedem Bereich der Gesellschaft zu gestalten“, so Smith.
Kalama … wo? Diese Frage wird in Zukunft sicher seltener gestellt werden. Dank des WMU-Studentenzentrums hat die Stadt Kalamazoo jedenfalls das Potenzial, zu einem Begriff für Inklusion zu werden. Und zwar nicht nur bei jenen, die sich für Architektur interessieren.
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Text: Daniela Schuster
Bilder: Laura Peters; Christopher Barrett; WMU via v2com-newswire.com