Im Wisdome steckt Wissen
Eines der spektakulärsten Holzbauprojekte wird derzeit in Schweden realisiert. Der neue Wisdome des Tekniska Museet in Stockholm ist eine Free-Form-Konstruktion aus 20 Kilometer Furnierschichtholz, die so noch nie zuvor gebaut wurde.
Der Raum hebt sich vom Erdgeschoss auf der einen bis auf eine Höhe von über 12 Metern auf der anderen Seite an. Das zweifach gekrümmte Dach umschließt den weit gespannten Raum in einer fließenden Bewegung. Wie eine Decke legt es sich über einen halbkugelförmigen Kuppelbau, den eigentlichen Wisdome. Im neuen Anbau des Tekniska Museet in Stockholm werden komplexe wissenschaftliche Zusammenhänge dank neuester Visualisierungstechnik zu einem immersiven Erlebnis. Doch auch der Holzbau selbst mit seiner komplexen Konstruktion wird zur neuen technischen Attraktion des Museums.
Die spektakuläre Konstruktion soll das inhaltliche Programm des Museums erweitern. „Es gibt eine Reihe an Autos, Maschinen und Flugzeugen im Museum, aber über Gebäudekonstruktion nur sehr wenig“, erklärt Architekt Johan Oscarson.
Eine Menge Holzbau-Know-how
In der Umsetzung des siegreichen Entwurfs von Elding Oscarson Architects und Holzbauingenieur Florian Kosche steckt eine Menge Know-how. Die Gitterschalenkonstruktion besteht aus fünf Lagen überkreuzter Holzträger und erreicht eine Spannweite von 48 Metern. „Was wir bei diesem Projekt machen, kann man als Rocket Science im Ingenieur-Holzbau bezeichnen“, sagt David Riggenbach, Project Manager von Blumer Lehmann. „Der Wisdome zählt zu den derzeit wichtigsten Bauprojekten in Schweden.“
Was wir bei diesem Projekt machen, kann man als Rocket Science im Ingenieur-Holzbau bezeichnen.
David Riggenbach, Project Manager bei Blumer Lehmann
Das Schweizer Holzbauunternehmen Blumer Lehmann mit Sitz in Gossau zählt zu den weltweit führenden Akteuren mit sehr viel Know-how, was die Umsetzung von organischer Holz-Architektur betrifft. Zu ihren bislang spektakulärsten Bauprojekten zählen wohl das Tamedia-Gebäude in Zürich und der Swatch-Hauptsitz in Biel, beides aus der Feder des japanischen Architekten Shigeru Ban.
Dübel und Zapfen als Verbindungen
Um das freigeformte Holzdach des Wisdome umzusetzen, erstellten die Schweizer Holzbauexperten mehrere Mock-ups. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse führten zum exakten Bauplan für das Free-Form-Dach, das nach traditioneller Holzbauweise umgesetzt wird. Statt Metallverbindungen kommen zwischen den einzelnen Bauteilen nur Dübel und Zapfen zum Einsatz.
Die Träger für den Gitterrost bestehen aus Fichten-Furnierschichtholz, im Englischen Laminated Veneer Lumber (LVL) genannt. LVL ist eine Art von Konstruktionsverbundholz, vergleichbar mit Brettschichtholz (BSH). Durch die wesentlich dünneren Lagen ist es noch belastbarer und formstabiler. Insgesamt sind in der Gebäudehülle an die 20 Kilometer LVL verbaut. Getragen wird das Dach von 24 massiven Stützen, die aus 60 x 80 cm und 60 x 60 cm großen blockverleimten LVL-Trägern bestehen.
Konstruktives Update der Multihalle
Das Freiform-Dach erinnert am Frei Ottos Multihalle Mannheim, die zur Bundesgartenschau 1975 erbaut wurde. Sie gilt bis heute als größte frei geformte Holzgitterschalenkonstruktion der Welt. Das architektonische Meisterwerk steht seit 1998 unter Denkmalschutz und wird derzeit umfassend saniert.
Wisdome Stockholm lotet die Grenzen des Holzbaus neu aus und zeigt, was Holz als innovatives und klimafreundliches Baumaterial alles kann.
Jessika Szyber, Business Development Manager von Stora Enso
Die Baumaterialien für den Wisdome waren in der Wettbewerbsausschreibung festgelegt. Das LVL stammt aus dem finnischen Werk von Stora Enso in Varkaus und wurde von Blumer Lehmann in der Schweiz weiterverarbeitet. Die Kuppel im Inneren hat einen Durchmesser von 22 Meter und beherbergt ein 3D-Kino für 360-Grad-Projektionen und rund 100 Sitzplätzen. Sie besteht aus 277 dreieckigen Brettsperrholzelementen, die in Stora Ensos schwedischem Werk in Gruvön vorgefertigt wurden.
Showcase für den modernen Holzbau
Ähnlich wie damals die Multihalle Mannheim soll der Museumsneubau in Stockholm eine Art Showcase für den modernen Holzbau sein. „Wisdome Stockholm lotet die Grenzen des Holzbaus neu aus und zeigt, was Holz als innovatives und klimafreundliches Baumaterial alles kann“, erklärt Jessika Szyber, Business Development Manager von Stora Enso.
Die Eröffnung des Wisdome Stockholm ist für 2023 geplant. Sein Zweck ist es, komplexe Zusammenhänge, wie etwa Strategien gegen den Klimawandel, auf unterhaltsame Weise erlebbar zu machen. Eine dieser Strategien ist der Holzbau, der mithilfe des Gebäudes zum spektakulären Schauobjekt wird.
Text: Gertraud Gerst
Fotos & Visualisierungen: Elding Oscarscon Architects, Blumer Lehmann