Großraumbüros
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Wird es eng fürs Großraum-Office?

Architektur und Raumgestaltung beeinflussen Produktivität und kreatives Schaffen. Eine Harvard-Studie macht dies deutlich. Pro und contra Großraum-Office: Aktuelle Erkenntnisse und Lösungsansätze.

Ameisen laufen im Haufen zur Höchstform auf. Menschen nicht unbedingt. Ein Umstand, der dem Trend zum Open Space Büro jüngst zusehends Kritik beschert. Und zwar von renommierten Wissenschaftern ebenso, wie von Arbeitsmedizinern und Psychologen. Die Quintessenz: Ist das Großraum-Office nicht durchdacht gestaltet, leidet nicht nur die Produktivität, sondern auch die Gesundheit der Mitarbeiter.

Als in den 1960er Jahren die Idee aufkam, Einzelzimmer in Büros durch offene Gemeinschaftsarbeitsräume zu ersetzen, schien eine neue, glorreiche Ära angebrochen. Immerhin belegen soziologische Erkenntnisse, dass Nähe soziale Kontakte, persönlichen Austausch und Zusammenarbeit fördert. Dieser Theorie zufolge sorgt das Entfernen von Trennwänden logischerweise auch für mehr Interaktion und schafft mehr Raum für kollektive Leistung. Kein Wunder also, dass das Konzept „Großraum-Office“ vielen Unternehmen bis heute als Weg zu besserer Kommunikation und höherem Output gilt.

Kleinere Kosten, größere Nachteile

Unbestritten sind inzwischen allerdings nur noch die finanziellen Vorteile: „Geht es um Kostensenkung, lautet die Antwort: mehr Mitarbeiter pro Quadratmeter. Und so gesehen werden Großraumbüros immer überlegen sein“, meint etwa Harvard Professor Ethan Bernstein. Ein Fan offener Arbeitsräume ist der Forscher jedoch keineswegs. Im Gegenteil. Schließlich machte seine Studie zum Thema jüngst deutlich, welche gravierenden Nachteile sich daraus ergeben können. Bernsteins Forschungsergebnis wurde unter dem Titel „The Impact of the ‘Open’ Workspace on Human Collaboration“ im renommierten British Research Journal publiziert. 

Großraum-Office
Viel Ablenkung, wenig Privatsphäre: Arbeit im Großraum kann Konzentrationsfähigkeit und Leistung schmälern, wenn keine Rückzugsmöglichkeiten zur Verfügung stehen (Foto: GettyImages)

Bernstein und sein Kollege Stephen Turban nahmen die Auswirkungen des Umzugs von Arbeitsräumen in Großraum-Offices wissenschaftlich unter die Lupe. Ziel der Studie war es, etwaige Veränderungen im Kommunikationsverhalten zu dokumentieren. Mitarbeiter zweier großer US-Firmen dienten dabei als Test-Gruppe. Gemessen wurden unter anderem Häufigkeit und Dauer von persönlichen Kollegengesprächen, Email- und Instant-Messenger-Kontakten. Um subjektive und ungenaue Angaben auszuschließen, wurden die Probanden mit kleinen soziometrischen Sensoren ausgestattet, die jede Unterhaltung aufzeichneten. Zusätzliche Daten sammelten die Forscher mittels Zugang zum Server der Unternehmen. 

Überraschendes Studienergebnis

Das überraschend klare Ergebnis:  Wer meint, arbeiten im Großraum beflügle kreativen Austausch, irrt fatal. Hatten die Mitarbeiter vor dem Umzug noch 5,8 Stunden pro Tag persönliche Gespräche miteinander geführt, so waren es – nach mehrwöchiger Eingewöhnungsphase – im Open Space nur noch 1,7. Ein Rückgang um 72 Prozent, also. Im Gegenzug dazu stieg die Nutzung elektronischer Kommunikationsmittel wie Email extrem an: „Obwohl – oder gerade weil – jeder im Stockwerk jeden anderen ständig sehen konnte, ersetzte die virtuelle Interaktion jene von Angesicht zu Angesicht“. 

In Zahlen ausgedrückt: Die Probanden schickten einander um 56 Prozent mehr Emails, erhielten um 20 Prozent mehr und wurden um 41 Prozent häufiger als Zweitempfänger in „cc“ gesetzt. Und sie tippten um 67 Prozent mehr Kurznachrichten an ihre Kollegen als sie dies zuvor, von ihren noch durch solide Wände getrennten Einzelbüros aus, getan hatten. Geschlechtsspezifische Unterschiede konnten die Forscher nicht entdecken.

Großer Raum, kleinere Leistung

In einem zweiten Studienteil zeigte sich, dass durch gezielte Platzanordnung bedingte physische Nähe die Zahl der persönlichen Gespräche etwas anhob. In diesem Unternehmen waren die Mitarbeiter vorab zwar nicht durch Mauern, aber zumindest durch Arbeitskabinen getrennt gewesen, die vor Studienbeginn entfernt worden waren. Im Vergleich zum beeindruckenden Effekt des Großraumbüros auf die gesamte Kommunikation sei der danach gemessene, minimale Anstieg der Face-to-Face Gespräche jedoch bemerkenswert gering, heißt es im Studienresümee.

Anschließende Auswertungen der Produktivität während des Studienverlaufs fielen indes deutlich aus: Die Unternehmen selbst dokumentierten hier einen merkbaren Rückgang.  

Großraum-Office
Stressfaktor Großraumbüro: Fokussiertes Arbeiten fällt schwer, wenn jeder jeden ständig sieht und hört.

„Wir müssen noch viel darüber lernen, wie kollektive Intelligenz funktioniert“, resümieren Bernstein und Turban. Erkenntnisse aus der Tierwelt könnten nicht direkt auf Menschen umgelegt werden. Während frühe Studien nahelegten, dass Open Space Büros die Schwarmintelligenz fördern, zeichnen die aktuellen Ergebnisse ein völlig anderes Bild. Die Gründe dafür vermuten die Forscher im Bedürfnis des Menschen nach Privatsphäre. Wo Rückzugsmöglichkeiten fehlen, versucht der Mensch, sich welche zu schaffen. Sei es durch Kopfhörer oder die Flucht in digitale Kommunikation, die persönliche Kontakte zu vermeiden hilft.

Die Auswirkungen von Open Office Architektur auf menschliche Zusammenarbeit sind nicht so simpel wie ursprünglich gedacht.

Ethan Bernstein & Stephen Turban, Studien-Autoren

Einen weiteren Nachteil offener Büro-Architektur sehen die Studienautoren in der Reizüberflutung, die sich durch das Arbeiten im Großraum zwangsläufig ergibt. Der ständige Geräuschpegel, das lebhafte Umfeld und die anhaltende Aktivität anderer ringsum senken demnach die Produktivität, weil sie die Konzentrationsfähigkeit schmälern.

Zudem stellte Bernstein in einer anderen wissenschaftlichen Arbeit fest, dass periodische soziale Interaktion gemeinsame Problemlösungen besser fördert als ständige. Wiederholte Meetings dienen der Produktivität demnach mehr als ständiges Tun Seite an Seite.

Sehnsucht nach Privatsphäre

Auch andere Wissenschafter stellen Großraum-Offices ein schlechtes Zeugnis aus. So ist etwa ein australisches Forscherteam um Vinsh Oommen überzeugt, dass sich die geringeren Bürokosten nicht rentieren, weil Reizüberflutung, Sehnsucht nach Privatsphäre und Angst vor Überwachung die Leistung der Mitarbeiter schmälern. Der gewünschte Ideenaustausch finde in der Realität einfach nicht statt.

Das Team analysierte große Studien zum Thema und stellte fest, dass 90 Prozent davon die Open Spaces als nachteilig für Gesundheit und Psyche bewerten. Eine Folge der Tätigkeit im offenen Gemeinschaftsraum, die inzwischen von vielen Arbeitsmedizinern und Psychologen bestätigt wird.

Großraum-Office
Upgrade für Open Space Büros: Eigene Räume und Ruhezonen für Teamarbeit, aber auch für wichtige Telefonate oder Entspannungspausen abseits des Großraum-Trubels.

Allerdings gibt es mittlerweile auch arbeitspsychologische Erkenntnisse, die positiv relativieren: Gehe es um Routineaufgaben, könne der Großraum die Produktivität tatsächlich durchaus steigern. Mit einem Sinken sei hingegen dann zu rechnen, wenn verantwortungsvolle und kreative Leistungen gefragt sind. Ein Effekt, dem sich durch das Angebot verfügbarer, ruhiger Rückzugsräume abseits des Großraums entgegenwirken ließe. Mit eigenen Bereichen für wichtige Telefonate, Ruhepausen und konzentrierte Teamarbeit könne das Bedürfnis nach Privatsphäre und erfüllt und der Reizüberflutung Einhalt geboten werden.

Außerdem spiele die Arbeitsatmosphäre eine entscheidende Rolle. Ein Faktor also, auf den die Unternehmensführung großen Einfluss hat. „Wenn Unternehmen ins Großraumbüro umziehen, müssen sich auch das Führungsverständnis und die Unternehmenskultur ändern“, zitiert hierzu beispielsweise Welt.de Christian Lorenz von der Deutschen Gesellschaft für Personalführung. Nur räumlich umzubauen, „aber nicht im Kopf“, bringe das Konzept zum Scheitern.

Lösungsansatz Mischformen

Eine österreichische Umfrage ergab, dass sich jeder Zweite Mitarbeiter im Großraumbüro nur phasenweise auf seine Aufgaben konzentrieren kann. Nur sieben Prozent fühlten sich im gemeinschaftlichen Büro wohl. Mediziner beurteilen den ständigen Lärm durch Gespräche und Telefonate anderer Kollegen als gravierenden Stress-Verursacher, der gesundheitliche Folgen wie Kopfschmerzen oder Schlafstörungen auslösen kann und das Krankheitsrisiko steigert.

Dass das Ende der Open Space Working Ära naht, ist dennoch kaum zu erwarten. Deutlich naheliegender ist, was viele Unternehmen bereits tun: Sie schaffen die besagten Rückzugsräume und sorgen für Trenn-Elemente zwischen den Arbeitsplätzen oder setzen entfernte Raumteiler wieder ein. Ergebnis ist eine Mischform zwischen offenem Raum und Rückzugsecken – zwischen Privatsphäre und Kollektivität.

So lange wir nicht alle Faktoren verstehen, kann uns ein Rückgang der persönlichen Interaktion am Arbeitsplatz überraschen – obwohl wir mit dem Ziel, die Zusammenarbeit zu fördern, transparente und offene Räume bauen

Ethan Bernstein & Stephen Turban, Studien-Autoren

Wie das optimale Arbeitsumfeld der Zukunft aussehen wird, ist derzeit Gegenstand vieler Forschungsprojekte und Diskussionen. Sicher ist jedenfalls, wie Bernstein und Turban in der Conclusio ihrer Studie feststellen: „Die Auswirkungen von Open Office Architektur auf menschliche Zusammenarbeit sind nicht so simpel wie ursprünglich gedacht.“

Der Mensch ist keine Ameise – und seine Reaktion sei längst nicht so planbar und erforscht wie das Ergebnis des Zusammenwirkens chemischer Substanzen. Man müsse unzählige Faktoren beachten, wenn man ein ideales Arbeitsumfeld schaffen will: „So lange wir diese Faktoren nicht verstehen, kann uns ein Rückgang der persönlichen Interaktion am Arbeitsplatz überraschen – obwohl wir mit dem Ziel, die Zusammenarbeit zu fördern, transparente und offene Räume bauen“.

Text: Elisabeth Schneyder
Fotos: GettyImages

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