Daher weht der Wind
Dass die Bauteilaktivierung in einem konstruktiven Holzbau auch mit Stampflehm sehr gut funktioniert, zeigt die Erweiterung der Zentrale von Windkraft Simonsfeld in Niederösterreich. Der Neubau war bereits in der Errichtungsphase CO2-positiv.
Ihre ersten Windräder gingen 1998 ans Netz. Heute zählt die Windkraft Simonsfeld AG mit 94 Windkraftwerken zu den größten Windstromproduzenten in Österreich. Insgesamt erzeugt das Unternehmen jährlich 741,3 Millionen Kilowattstunden an grünem Strom und versorgt damit rund 185.300 Haushalte. Der enorme Aufwind in der Branche ist dem Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz zu verdanken, mit dessen Hilfe die Stromversorgung in Österreich bis 2030 zur Gänze auf erneuerbare Energiequellen umgestellt werden soll.
Durch die starke Wachstumsphase der letzten Jahre ist die erst 2014 errichtete Firmenzentrale des Unternehmens in Ernstbrunn, im niederösterreichischen Weinviertel, zu klein geworden. Für die Erweiterung setzte das Büro Juri Troy auf einen zweistöckigen Holz-Lehm-Hybridbau, der das Ensemble zu einem großen Ganzen zusammenschweißt.
Durch Partizipation zum Entwurf
Die zukünftige Arbeitswelt zu gestalten hat man beim Windstromproduzenten allerdings nicht einfach ausgelagert. „Uns war es wichtig, das Team von Anfang an miteinzubeziehen, daher wurde eine Nutzergruppe aus Mitarbeiter*innen unterschiedlicher Bereiche gebildet. Diese haben erarbeitet, welche Räumlichkeiten, Orte des Zusammenarbeitens, des Austauschs und des Rückzugs und welche Arbeitsumgebung sie zukünftig vorfinden möchten“, erklärt Alexander Hochauer, Vorstand Finanz der Windkraft Simonsfeld.
Die kompakte Kubatur greift möglichst wenig in die bestehende Struktur ein, ergänzt diese jedoch harmonisch und integriert sie in ein neues Gesamtkonzept.
Yuri Troy, Architekturbüro
Mit den erarbeiteten Anforderungen sei man schließlich in den Architekturwettbewerb gegangen. Die siegreichen Architektinnen und Architekten von Juri Troy setzten auf einen zweigeschossigen Baukörper, der an zwei Stellen an den Bestand andockt. Auf diese Weise entstand eine geschützte Freifläche im Inneren, die mit ihrer Begrünung einen Ort mit Erholungswert schafft.
Der Erweiterungsbau fügt sich natürlich und unaufgeregt in den Kontext ein. Die rhythmisch gegliederte Holzfassade nimmt sich mit ihrer farblichen und materiellen Homogenität zurück, während die Rücksprünge und Einschnitte im Volumen zugleich Spannung erzeugen.
So gelingt es auch, dass der Neubau dem vom Architekturbüro Reinberg geplanten Bestandsgebäude nicht den Rang abläuft. „Die kompakte Kubatur greift möglichst wenig in die bestehende Struktur ein, ergänzt diese jedoch harmonisch und integriert sie in ein neues Gesamtkonzept“, heißt es dazu vom Büro Juri Troy.
Bauteilaktivierung mit Stampflehm
Für ein Unternehmen, dessen Geschäft es ist, die Klimawende voranzutreiben, lag auch beim Bauen ein besonderes Augenmerk auf der Nachhaltigkeit. Und die hat man nicht nur beim Energiekonzept des Gebäudes umgesetzt, sondern auch bei der Wahl der Baumaterialien. Während der klimafreundliche Betrieb über die erneuerbaren Energieträger Erdwärme und Photovoltaik läuft, setzte man beim Tragwerk auf einen klar gegliederten Holz-Skelettbau.
Diese Holzbauweise ist nicht nur flexibel, was zukünftige Anpassungen betrifft, sie hilft auch dabei, den CO2-Fußabdruck eines Gebäudes möglichst klein zu halten. Ergänzt wird der Holzbau durch einen massiven Kern aus Stampflehm, der die nötige Speichermasse für die Bauteilaktivierung liefert. Bei dieser Art der Temperierung werden wasserführende Rohrleitungen durch den Stampflehm geführt und sorgen je nach Jahreszeit dafür, dass die Räume beheizt oder gekühlt werden.
Im Vergleich zu herkömmlichen Heizkörpern sind die Übertragungsflächen dabei wesentlich größer. So lassen sich auch mit niedrigen Vorlauftemperaturen, wie sie bei Geothermie erreicht werden, gute Leistungen erzielen. Die Bauteilaktivierung kommt meist bei einem Betonkern zum Einsatz, der Stampflehm liefert dazu die klimafreundlichste Alternative.
Das Gebäude wies bereits in der Errichtungsphase eine positive CO₂-Bilanz auf.
Yuri Troy, Architekturbüro
Das Ergebnis laut Architekten: „Das Gebäude wies bereits in der Errichtungsphase eine positive CO₂-Bilanz auf. Das Projekt wurde mit der Höchstbewertung von 1000/1000 Punkten nach dem Klimaaktiv-Gold-Standard zertifiziert.“
Mit dem klimapositiven Erweiterungsbau verfügt die Windkraft Simonsfeld über eine zusätzliche Nutzfläche von 1.900 Quadratmetern. Deren flexible Bespielbarkeit ist der Grundstein dafür, dass die Firmenzentrale auch in Zukunft wandelfähig bleibt. Denn auch das ist Nachhaltigkeit: Ein Gebäude zu schaffen, das sich gegebenenfalls umnutzen lässt und so möglichst lange Zeit überdauert.
Text: Gertraud Gerst
Fotos: Patrick Johannsen