Im brasilianischen Manaus haben Laurent Troost Architectures ein Manifest zur Annäherung von Stadt und Natur geschaffen. Damit zeigen sie, dass eine Arbeitsumgebung durchaus auch Urlaubsfeeling vermitteln kann.

Wann darf ich endlich wieder ins Office?!“ So in der Art würde man glauben, dass die Mitarbeiter eines Archäologie-Büros in Manaus schon in den ersten Tagen ihrer Ferien denken. Gut, die Hauptstadt des brasilianischen Bundesstaats Amazonas ist per se ein sehr spezieller Ort zum Leben. Umgeben von Naturschönheiten dient sie Reisenden als Ausgangspunkt für Expeditionen in den Regenwald.

Manaus – Treffen der Wasser

Bekannt ist Manaus auch für das „Encontro das Aguas“ (Treffen der Wasser). Denn in unmittelbarer Nähe begegnen sich der Amazonas und der ebenfalls riesige Rio Negro. Das Besondere daran: Die Flüsse vermischen sich aufgrund unterschiedlicher Wasserfaktoren anfangs gar nicht, sondern fließen in unterschiedlichen Farben (schlammfarben und schwarz) einige Kilometer nebeneinanderher.

Zwischen 1870 und 1910 war Manaus aufgrund des Kautschukbooms zeitweise sogar die reichste Stadt der Welt. Damals nannte man die Metropole im Dschungel auch das „Paris der Tropen“, weil sie als einzige Stadt des Landes elektrisches Licht sowie ein Trink- und Abwassersystem zu bieten hatte. 

Prunkvolle Bauten

In dieser Epoche entstanden so prunkvolle Gebäude wie der Justizpalast (Palácio da Justiça) oder das Opernhaus (Teatro Amazonas). Heute ist Manaus aufgrund der großen Wirtschaftskraft und des Tourismus nach São Paulo, Rio de Janeiro und Brasília die viertreichste Stadt Brasiliens.

Das Dach des Lounge-Bereichs besitzt ein automatisches Bewässerungssystem, das das gesammelte Regenwasser über das Dach ableitet.

In einem beliebten industriellen Viertel der 2,2-Millionen-Einwohner-Stadt, das durch Reihenhäuser und Lagerhäuser aller Art gekennzeichnet ist, liegt die Wirkungsstätte eines archäologischen Büros, die einem Ferienwohlfühldomizil um nichts nachsteht. Laurent Troost Architectures haben dort gekonnt funktionale Büroräumlichkeiten mit einem Freizeitbereich verbunden. Ziel war eine Neuinterpretation der industriellen Typologie.

Arbeiten mit Wellness-Faktor

Grün spielt dabei eine große Rolle – gleich beim Eingang befindet sich eine Reihe an Säulengängen. An deren Bewehrungsstäben ranken sich verschiedene Weinrebenarten, die eine Art „überdimensionale Gartenlaube“ bilden. Sie beschatten dadurch gleichzeitig den Freizeitbereich und das Büro, wodurch ein tropisches, luftiges und erfrischendes Mikroklima entsteht. Gerade bei der starken äquatorialen Nachmittagssonne ist das natürlich eine Wohltat.

Manaus

Die Rebstöcke wachsen in Blumenkästen auf beiden Seiten des Grundstücks. Besonders schön ist, dass im Zentrum der Anlage eine bereits vorhandene Palme erhalten und ein Regenerationsraum im Freien geschaffen wurde – inklusive kleinem Pool für eine Abkühlung zwischendurch.

Tropical Green, wohin das Auge reicht

Überhaupt machen die verwendeten Pflanzenarten das gesamte Projekt zu einer „produktiven“ Landschaft. Denn Himmelsrebe, wilder Ingwer, pfeilblättriges Elefantenohr, Maracuja-Rebe, Pfeilwurz und so weiter sind alles unkonventionelle essbare Vegetationsformen. Detail am Rande: Unter dem Akronym PANC (Plantas alimentícias não convencionais) setzt sich eine populäre Bewegung in Brasilien für den Erhalt und die Vermehrung dieser Pflanzen ein.

In dem als Laube konzipierten Eingangsareal befinden sich ein Tisch mit fix eingebautem Grill sowie eine Hängematte und eine Dusche für den gleich daran anschließenden schmalen Pool. Dieser gesamte Bereich dient sowohl als Aufenthaltsort für das Team des Büros als auch für die Eigentümer, die auf dem benachbarten, direkt damit verbundenen Grundstück wohnen.

Wichtiges Tool

Während der Pandemie hat sich dieser einladende Tisch auch zu einem Versammlungs- und Arbeitsplatz entwickelt. Denn Manaus war besonders schwer von der COVID-19-Pandemie in Brasilien betroffen. Das hatte klarerweise Auswirkungen auf die täglichen Arbeitsprozesse und die Durchführung von Besprechungen.

Im hinteren Teil des Grundstücks befindet sich das „echte“ Büro, das aus einem Raum mit fixen Arbeitsplätzen und einem Meetingraum besteht. In diesem abgeschlossenen Bereich ist auch eine Querlüftung möglich, denn die Ziegelwand ist an manchen Stellen luftdurchlässig gebaut. 

Raum zum Arbeiten und Atmen

Durch die doppelte Höhe im vorderen Teil der Büroräume wirkt dieser sehr geräumig und hell. Was erstaunlich ist, wenn man bedenkt, dass das Grundstück nur etwas mehr als fünf Meter breit ist. Auch die massive Backsteinmauer schränkt diesen Eindruck nicht ein. Sie schlängelt sich durch das gesamte Objekt und teilt so den Innen- vom Außenbereich. Dadurch werden die Gärten ebenso wie die öffentlichen Räume wie Bad, Speisekammer und Lager optisch abgegrenzt.

Manaus

Eine Besonderheit bietet auch der Eingang, dessen Fassade aus versetzt gemauerten Ziegeln besteht. Laut Laurent Troost Architectures soll so einerseits der Wind durchgelassen werden, andererseits soll dies diskrete Einblicke in die Tiefe des Grundstücks erlauben, ohne alle Details zu enthüllen.

Beruhigende Wirkung

Eine weitere nachhaltige Komponente: Das Dach des Lounge-Bereichs, das zwischen den Laubengängen aus Weinreben zu schweben scheint, besitzt ein automatisches Bewässerungssystem, das das gesammelte Regenwasser über das Dach ableitet, um den Raum physisch zu kühlen. Dachrinne gibt es dabei allerdings keine. Ein bewusster Effekt, denn das plätschernde Geräusch, wenn das Wasser in die seitlichen Beete abrinnt, besitzt eine zusätzlich beruhigende Wirkung. Viel näher an der Natur kann man mitten in der Stadt wohl nicht kommen!

Text: Martin Obermayr
Fotos: Joana Franca

Jetzt Newsletter Bestellen <>