Wohnen, wo der Wind pfeift
Auf einem abgelegenen Archipel im kanadischen Ontario entwarfen Akb Architects eine Sommerresidenz aus Holz: Whistling Wind Island. Ein wildes, beständiges Anwesen, ganz so wie der Ort, an dem es erbaut wurde.
Die meisten denken beim Begriff „Sommerhaus“ wohl an ein Anwesen in warmer, gemäßigter Umgebung. An einen Zweitwohnsitz am Sandstrand oder vielleicht an ein Refugium am Land, umgeben von Wiesen, Feldern und Wald. Wenige verbinden damit wahrscheinlich einen Wohnsitz auf einem abgelegenen Felsenarchipel im Nordosten des Huronsees.
Hier, in Pointe Au Baril an der Küste der Georgian Bay in der kanadischen Provinz Ontario, findet man Whistling Wind Island, eine der am weitesten vom Festland entfernten bewohnten Inseln des Archipels. Der perfekte Ort für ein Sommerhaus – dachte sich ein passionierter Kitesurfer und beauftragte Akb Architects mit der Umsetzung der Traumresidenz für sich und seine Familie. Im Fokus stand dabei eine möglichst geringe Beeinträchtigung der Natur. Man entschied sich daher anstatt eines einzelnen (großen) Hauses für den Bau von insgesamt vier Gebäuden; die beiden größeren wurden zudem umweltschonend auf den Grundflächen von hier in der Vergangenheit abgetragenen Häusern errichtet.
Im Einklang mit der Natur
Das Architekturbüro mit Sitz in Toronto entwarf auf dem einen Hektar großen Whistling Wind Island vier klassische, ebenerdige Häuser mit Satteldächern und Fassaden aus Schindeln des Riesen-Lebensbaums, deren silbrig-verwitterter Look die Optik der umliegenden Felsen widerspiegelt. Auf der höchsten Erhebung der Insel befindet sich das Haupthaus, gleich daneben die freistehende Sauna sowie ein kleines externes Lagerhaus samt Fitnessraum. Ein Bunkie (kanadisch für Gästehaus) liegt ein wenig abseits auf einem Felsvorsprung.
„Das Cottage besteht aus einem Schlaf- und einem Kinderzimmer, einem gemeinsamen Bad sowie einem offenen Koch-, Wohn-, Essbereich und einer Waschküche“, so Akb Architects. Das Haupthaus umfasst 167 Quadratmeter. Seine Räume sind mit hell getünchten Zedernholzbrettern verkleidet, deren horizontale Ausrichtung den Einklang mit der Landschaft hervorheben soll, wie das Studio erklärt.
Intensive Erlebnisse
Große, dreifach verglaste Schiebetüren sorgen sowohl im Cottage als auch im Bunkie einerseits für einen grandiosen Ausblick, andererseits für eine Verbindung von Innen- und Außenbereich – und für ausreichend natürliche Belüftung. Die Glastüren und Fenster sind ein wenig nach innen versetzt; die dadurch vorhandenen Überhänge beschatten das Innere nicht nur, sie schaffen damit auch Nischen für Rückzugsorte und Arbeitsplätze. Beide Wohnhäuser verfügen über einen Kamin, im Cottage umrahmt von Granit aus der Nachbargemeinde Muskoka, im Bunkie von Naturstein.
Das Gästehaus bietet mit zwei Schlafzimmern, einem Bad und einem Wohn-Essbereich samt offener Küche ebenfalls vier Personen Platz. „Die solide Bauweise der Gebäude optimiert deren Gemütlichkeit“, so Akb Architects. „Man weiß, dass die Häuser den extremen Wetterbedingungen standhalten können. Gleichzeit schaffen die überschaubare Größe und die Behaglichkeit der Innenräume einen gemütlichen Zufluchtsort, den man am intensivsten bei Sonnenuntergang erlebt.“
Natürliche Parameter
Holzveranden rund um die beiden größeren Gebäude ermöglichen zusätzlich einen Panoramablick auf den See und den Archipel. Stege und schmale Holzbrücken über Fels und Wasser verbinden alle vier Häuser sowie die Bootsanlegestellen miteinander. Akb Architects legten sie bewusst asymmetrisch an und integrierten Stufen, um sie an die Topologie des Geländes anzupassen. „Es gibt hier auch keine Vorder- oder Hinterseite“, erläutert das Studio. Die Natur gibt ihre Parameter vor; die Architektur richtet sich nach ihr – und nicht umgekehrt.
Auch die Nutzungsdauer gibt die Natur vor. Da Whistling Wind Island ausschließlich mit dem Boot erreichbar ist, ist die Sommerresidenz jeweils bis längstens November bewohnbar. Dann bildet sich auf dem See vor Pointe Au Baril üblicherweise bereits das erste Eis. Während der meist strengen Winter werden versenkbare, garagentorähnliche Aluminiumjalousien an den Fenstern heruntergefahren, zudem werden die schwimmenden Docks aus dem Wasser geholt.
„Umgeben von offenem Wasser und weitem Himmel ist Whistling Wind Island ständig wechselnden Wasserständen und Wetterbedingungen ausgesetzt. Hier können auf die morgendliche Sonne plötzliche Hagelstürme folgen“, so Akb. „Die Windverhältnisse machen Pointe Au Baril zum idealen Ort für jemanden, der seiner Leidenschaft nachgehen will: Dem Kitesurfen“.
Text: Michi Reichelt
Bilder: Doublespace