Ein Juwel im Weinberg
In der Weinregion Südoststeiermark transformierten ein Jungwinzer und eine Architektin einen alten Kuhstall zu einem zeitgemäßen Weinbaubetrieb. Das sichtbare Holztragwerk wurde im Weinhof Locknbauer zum Designelement erklärt.
Auf einer malerischen Hügelkuppe im steirischen Weinland, eingebettet in die geometrische Schraffur der Rebzeilen, steht heute ein Weingut, das nicht nur für satte Tropfen vom fruchtbaren Vulkanboden bekannt ist. Der Weinhof Locknbauer zwischen St. Anna am Aigen und Tieschen ist auch ein Stück zeitgenössische Architektur, das Transformation, Holzbau und traditionelle Baukultur miteinander vereint. Doch es ist noch gar nicht lange her, da konnte man an dieser Stelle den Verfall eines alten Bauernhofes beklagen. Einer von vielen – konkret 400.000 –, die dem allgemeinen Höfesterben in Europa jedes Jahr zum Opfer fallen. Dass an seiner Stelle nun ein neuer Weinbaubetrieb steht, ist dem Pioniergeist eines jungen Mannes zu verdanken, der nach seinem Studium in Wien als Quereinsteiger zum Weinbauern wurde.
Der Locknbauer, wie sich der junge Winzer nach dem Bestandshof nennt, kaufte die alten Wirtschaftsgebäude und ließ sie für seinen Betrieb transformieren und erweitern. Für die junge Berliner Architektin Mascha Ritter war es das erste eigenständige Projekt, das sie in Kollaboration mit dem Architekten Stephan Piber umsetzte. Erfahrungen hatte sie zuvor unter anderem bei Foster and Partners in London sowie bei Cobe in Kopenhagen gesammelt.
Vom Kuhstall zum Weinausschank
Bauherr und Architektin verständigten sich auf eine sensible Fortschreibung des Bestands. Kein bemühter Modernismus, sondern ein bodenständiger Ersatzneubau sollte es werden, der zeitgemäßes Design mit dem baukulturellen Erbe verbindet. Der ehemalige Langhof mit integriertem Kuhstall wurde an beiden Stirnseiten verlängert und bildet heute das repräsentative Haupthaus des Weinguts, wo sich Produktion, Verwaltung und Verkostung aneinander reihen.
Der erhaltene Bestandsbau ist im großzügigen Schankraum gut durch das alte Ziegelmauerwerk erkennbar. Darin befindet sich ein Teil des Produktionsschauraums, dem die restaurierte Gewölbedecke traditionsreiches Flair verschafft. Die hybride Bauweise aus massivem Erdgeschoss und einem Obergeschoss und Dachstuhl in Holzbauweise ist typologisch in der Region verankert.
Funktion und Ornament
In allen Bereichen des Gebäudes ist das Holztragwerk sichtbar. Im ebenerdigen Verkostungsbereich erstreckt sich der hohe Luftraum bis unter den Dachgiebel. Der weitgespannte Saal kommt ohne Stützsäulen aus und kann so seine volle Wirkung entfalten. Trotz seiner beachtlichen Größe versprüht der kathedralenartige Raum durch die weichen Holzoberflächen und das viele Tageslicht eine heimelige Atmosphäre.
Das Design erreicht eine Balance zwischen Tradition und Gegenwart, zwischen formeller Zurückhaltung und einem doch außergewöhnlichen Raumerlebnis.
Mascha Ritter, Architektin
Im Loungebereich auf der Galerie und im gesamten Obergeschoss dominiert der ruhige, warme Ton der Silbertanne. Zehn Holztrageelemente sind über die Länge des Gebäudes verteilt. Sie bestehen aus überkreuzten Zugstäben und sind Funktion und Ornament zugleich. Insgesamt ergibt sich eine eigenständige und unaufgeregte Architektursprache, die sich eng an die lokale Bautradition anlehnt.
„Das Design erreicht eine Balance zwischen Tradition und Gegenwart, zwischen formeller Zurückhaltung und einem doch außergewöhnlichen Raumerlebnis. Der Fokus auf lokale, nachhaltige und ehrliche Materialien sowie die Komplexität und Transparenz des Erscheinungsbildes entsprechen der Philosophie des Winzers“, erklärt Architektin Mascha Ritter das Ergebnis der Zusammenarbeit.
Asymmetrische Dachform
Ein weiteres Element aus der traditionellen Hofarchitektur ist die asymmetrische Dachform, die über der langen Außenterrasse hochgeklappt ist. Dadurch ergibt sich ein großer Überstand, der die Tische im Freien schützt. Die Lamellenfassade über dem Sockelgeschoss zieht sich partiell über die Fenster. Dadurch ergibt sich ein homogenes Erscheinungsbild und das Licht, das durch die Fenster nach innen dringt, wird gefiltert.
Das Projekt Locknbauer zeigt einmal mehr, wie gut sich die Nachverdichtung von Bestandsbauten – ob im ländlichen oder städtischen Bereich – mit dem modernen und klimaneutralen Holzbau verträgt. Auch beim Betrieb des Gebäudes versuchte man ein möglichst nachhaltiges und autarkes Konzept zu finden. Neben einer Hackschnitzelheizung und einem Regenwasserspeicher fiel die Entscheidung auf eine Photovoltaikanlage zur Nutzung des Sonnenstroms.
Das Weingut wurde unter anderem mit der GerambRose 2022 ausgezeichnet, die für qualitätsvolle Baukultur verliehen wird. Die Jury lobte das stimmige Gesamtbild, die sorgfältige Materialwahl und den gekonnten Umgang mit der funktionalen Abfolge. Außerdem würdigte sie das Projekt als „vorbildhaft für die Region und hervorragendes Beispiel für die vollumfängliche Entfaltung der regionalen, landwirtschaftlichen Typologie“.
Text: Gertraud Gerst
Fotos: David Schreyer