„Vorhang auf!“ für Kemerovo
Das sibirische Kemerovo bekommt einen extravaganten Kultur-Hotspot: Designt vom Büro Coop Himmelb(l)au, soll der neue Theater- und Museumskomplex zum neuen Wahrzeichen und attraktiven Treffpunkt der Stadt werden.
Wie eine riesige Skulptur wird der Kulturbau in der Uferlandschaft des Iskitimka Flusses thronen. Östlich des Zentrums der sibirischen Stadt Kemerovo, zwischen Sovetskiy und Pritomskiy Prospekt. Weithin sichtbar und öffentlich zugänglich. In die Umgebung eingebunden durch ein Netz öffentlicher Promenaden und Plätze. So soll der futuristisch anmutende Theater- und Museumskomplex zu einem Wahrzeichen Kemerovos werden. Das Design des extravaganten Projekts stammt vom österreichischen Architekturbüro Coop Himmelb(l)au. Und wer den Entwurf als „großes Theater“ bezeichnet, trifft den Nagel auf den Kopf.
Schwieriger Einstand
Die Präsentation dieses Coop Himmelb(l)au Großprojekts für Kemerovo ging im Winter 2020 im Zuge der Diskussionen über ein anderes nahezu unter: Dass das Studio auf Initiative des russischen Präsidenten Putin auch ein Opernhaus für Sewastopol gestaltet, sorgte für mitunter heftige Kritik. Schließlich handelt es sich dabei um die größte Stadt der Halbinsel Krim, deren Besetzung durch Russland von UNO und EU sanktioniert wurde.
Im hitzigen Diskurs über Ort und Auftraggeber dieses Vorhabens geriet jenes im kalten Sibirien ein wenig ins Abseits. Obwohl das Design des Neubaus in Kemerovo ein spektakuläres Meisterwerk verspricht.
Das transparente, offene Gebäude wird vier Hauptfunktionen erfüllen: Ein Theater, ein Museum, ein Kunstzentrum und ein öffentliches, rund um die Uhr zugängliches Foyer.
Theater-Herz
Als Herzstück des neuen Kulturzentrums sehen die Coop Himmelb(l)au Architekten ein Auditorium für 950 Besucher. Dieses umfasst auch Bühnenturm und Back-of-House-Bereiche. Das Design verwebt alle Teile des Neubaus zu einem unverwechselbaren Ensemble.
Eine elegante, „fliegende“ Theaterwolke, zwei „Kristalle“ fürs Museum und das Kunstzentrum umschließen das öffentliche 24h-Foyer auf dem Sockel. Der erhöhte öffentliche Raum verteilt nicht nur die Besucher auf die verschiedenen Funktionen. Er soll auch als neuer kommunaler Treffpunkt der Stadt fungieren. Ausstellungen im Foyer, verschiedenste Veranstaltungen und ein Restaurant sollen das kulturelle Leben in Kemerovo künftig bereichern.
Zehn Stockwerke Kultur
Zusatz-Funktionen wie Büros, VIP- und Proberäume sind in der Wolke angeordnet. Die bebaubare Fläche des Grundstücks umfasst 44.466 Quadratmeter, die Grundfläche des neuen Gebäudes liegt bei 20.982. Der Komplex mit seinen zehn Etagen soll 64 Meter hoch, 267 Meter lang und 92 Meter breit werden. Dass das Gelände des Standorts zum Teil abschüssig ist, hat Coop Himmelb(l)au bei der Planung wohldurchdacht berücksichtigt.
Ein Vorplatz und öffentliche Zugänge zum Foyer befinden sich im südwestlichen Bereich der Anlage. Besucher gelangen über Aufzüge, Stiegen und Rolltreppen ins im Sockel liegende Erdgeschoss. Im Foyer selbst werden auch Garderoben, Ticketverkauf und Service-Angebote Platz finden. Rundum verglast, wird diese weitläufige zentrale Zone freien Blick nach draußen eröffnen.
Alles für optimalen Kunstbetrieb
Ebenfalls an der Südwest-Seite positioniert ist das VIP-Entrée, das vom Parkdeck im ersten Untergeschoss direkt in den neuen Kultur-Tempel von Kemerovo führt. Künstler-Garderoben und -Lounges, Probe- und Serviceräume sind auf verschiedenen Ebenen um die Bühne angeordnet. Dies garantiert kurze Wege und sorgt für reibungslosen Theaterbetrieb.
Mitarbeiter und Ladegut hingegen werden über einen Zugang an der Nordostseite ins Gebäude gelangen. Dieser liegt im ersten Stock und wartet mit Lastenaufzügen auf, die direkten Transport zur Bühne ermöglichen. Natürlich stehen dort auch Technik- und Lagerräume zur Verfügung.
Main Stage und Kammersaal
Die Bühne im Zentrum dimensioniert Coop Himmelb(l)au mit 16 mal 16 Metern (Spielfläche: 18 mal 18). Der Kammersaal im öffentlichen Bereich unter dem Hauptfoyer ist für 300 Sitzplätze konzipiert. Er wird laut Plan über Treppen, Rolltreppen und Aufzüge mit der großen Eingangshalle verbunden sein.
Zugang zu Museum und Kunstzentrum werden Besucher über die im Sockel gelegenen Räume finden. Diese beiden Funktionen teilen sich zwar im synergetischen Sinne Räume, arbeiten aber völlig unabhängig voneinander.
Einladend gut vernetzt
Der große Saal des Prachttheaters von Kemerovo ruht in der Mitte des Gebäudes. Das Auditorium soll sowohl über das Hauptfoyer, als auch über zwei Balkone zugänglich sein. Jede Ebene hat ins Foyer auskragende Plattformen und bietet Zuschauern Platz für angenehmen Aufenthalt während der Pausen.
Regie und Lichtregie befinden sich auf allen Ebenen in der hinteren Mitte des Saales. Eine Loge für VIP-Gäste haben die Coop Himmelb(l)au Architekten zentral in den ersten Rang gesetzt – mit eigenem Zugang.
Einer exklusiven Zielgruppe vorbehalten soll der monumentale Theater- und Museumsbau in Kemerovo freilich keinesfalls werden. Im Gegenteil: Auftraggeber GORKA LLC (Russland) schwebt ein kultureller Treffpunkt vor, der Besucher aller Präferenzen anzieht.
Allzeit offener Treffpunkt
So hat Coop Himmelb(l)au etwa auch frei zugängliche Terrassen eingeplant. Diese sollen an der – der abfallenden Seite des Geländes zugewandten – Außenfront der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. Und zwar ganzjährig, zu jeder Tageszeit und auch an Feiertagen.
Dass die renommierte österreichische Architektenkooperative um Mitbegründer Wolf Dieter Prix avantgardistische, famos durchdachte Werke schafft, ist bekannt. Nicht umsonst konnte Coop Himmelb(l)au etwa auch den Wettbewerb ums Großprojekt „Science & Technology Museum” in Xingtai für sich entscheiden.
Ein Highlight mehr in Russland
Mit dem Kultur-Hotspot für Kemerovo erweitert das international gefragte Studio die Reihe spektakulärer neuer Projekte auf russischem Boden um ein weiteres Highlight.
Zu den anderen zählen etwa die Neugestaltung des Badaevskiy-Brauerei Geländes durchs Top-Büro Herzog & de Meuron und Star-Architekt Renzo Pianos Verwandlung der GES-2-Energieversorgungsanlage in ein „Kultur-Kraftwerk“. Auch das von einem Tanzband inspirierte Irina Viner-Usmanova Zentrum oder MVRDVs Design des Mixed-Use-Komplexes „Red 7“ finden sich auf der Liste der aufsehenerregenden Neuheiten.
Alle vier genannten Bauten befinden sich in Moskau. Was Coop Himmelb(l)au für Kemerovo entworfen hat, hat absolut das Zeug, zum neuen Wahrzeichen der Stadt zu werden. Ein guter Anlass für Architekturinteressierte, ihre Aufmerksamkeit auch auf einen fernab der Hauptstadt gelegenen Teil der Russischen Föderation – auf Sibirien – zu lenken.
Text: Elisabeth Schneyder
Bilder: Coop Himmelb(l)au