Nicht in der Schule lernen wir. Von der Schule lernen wir.
Google bildet: In seinem eigenen „The Schoolhouse“ zieht der Internetgigant im kalifornischen Headquarter künftige Führungskräfte heran. Der Nachwuchs soll im eigenen System jene effektiven Fähigkeiten und brillanten Denkweisen entwickeln, die in einer modernen Welt gefordert sind.
Sie nennen es einfach „The Schoolhouse“, also übersetzt: das Schulgebäude. Doch das ist natürlich pures Understatement: Am Google-Campus, dem Googleplex, im kalifornischen Mountain View errichtete das weltumspannende Internet-Unternehmen eine moderne, smarte Bildungseinrichtung für zukünftige High-Tech-Führungskräfte aus der ganzen Welt.
Strategische Designberatung
Entworfen wurde Googles Schoolhouse von Rapt Studio, einem 1995 in San Francisco gegründeten Design- und Architekturbüro, das sich als Unternehmen für strategische Designberatung versteht. Geschäftsführer und Chief Creative Officer David Galullo und sein Team wollen Marken wie Google dabei unterstützen, „die komplexen Herausforderungen dieser sich ständig verändernden Welt zu meistern.“
Die 630 Quadratmeter großen Räumlichkeiten (plus sonnigem Außenbereich) sollen ein Prototyp für neues Lernen sein. Teilnehmer werden ermutigt, durch großes persönliches Engagement ihre eigenen Erfahrungen und Problemlösungen zu erarbeiten. Die Ausbildung wird inhaltlich auf jeden einzelnen Teilnehmer zugeschnitten und soll dessen Entwicklung maßgeschneidert fördern.
Der Fokus ändert sich
Der zentrale Raum von „The Schoolhouse“ lässt sich jederzeit an die Offenheit oder auch Intimität jener Situation anpassen, die der Lehrplan gerade erfordert. Mechanisch hochzieh- und absenkbare Vorhänge helfen, den Raum in drei unabhängige Bereiche aufzuteilen. Vier Eichenholz-Regale, die in Zusammenarbeit mit Kyle Minor Design entworfen wurden, verstehen sich zusätzlich als variable Raumteiler: Dank großer Räder rechts und links lassen sich die drei Meter hohen Multifunktionsregale am Stand geschmeidig 360 Grad um die eigene Mittelachse drehen – womit gleichzeitig neue Fokuspunkte dem Auge des Betrachters alternative Blickwinkel eröffnen.
Die Nutzer sollen den Raum nach ihren eigenen Erfahrungen personalisieren können.
Kyle Minor Design
Doch damit noch nicht genug des mobilen Interieurs in Googles Nachwuchsakademie: Denn natürlich sind Tische, Sofas und Pflanzenbehälter auf Rädern ebenfalls beliebig verschiebbar. Die Idee dahinter klingt einfach: „Das Design ist auf die Einbindung der Nutzer ausgerichtet. Sie sollen die Möglichkeit haben, sich selbst, aber auch die Einrichtung zu bewegen. Sie sollen den Raum nach ihren eigenen Erfahrungen personalisieren können.“
Requisiten sollen anregen
Die bereits erwähnten Regale schlüpfen im originellen Raumkonzept übrigens in verschiedene Rollen: Auf der einen Seite beinhalten sie praktische Schließfächer, in denen die Studenten persönliche Gegenstände verwahren können. Auf der wortwörtlich anderen Seite sind sie mit teilweise skurrilen Requisiten gefüllt: Teleskope, alte Radios, landwirtschaftliche Modelle von Pilzen und andere Flohmarktfunde sollen die Gedanken anregen und bei Bedarf das Bedürfnis nach haptischen Erlebnissen erfüllen.
Rapt Studio stützte sich bei seinen Entwürfen auf Erfahrungen ihrer Partner von der D.School. Dieses Design-Programm der Stanford University versteht seinen eigenen Ansatz als Glauben daran, dass jeder Mensch kreativ sein könne – und Design grundsätzlich helfen könne, kreatives Potenzial abzurufen und auszuschöpfen.
Zentraler Raum als Bühne
Dafür wurden im Vorfeld große Inspirationsquellen, etwa am New Yorker Broadway oder in Disneyland, besucht und untersucht. Und so ist es kein Wunder, dass der zentrale Raum als Bühne und das bewegliche Interieur als Requisiten verstanden werden können, auf der sich die Studenten selbst in Szene setzen. „Letztlich“, so die Conclusio von Rapt Design, „hat sich gezeigt, dass es bei erfolgreichen Lernerfahrungen nicht nur um die Inhalte geht, sondern auch darum, wo und wie gelernt wird.“
Im Hintergrund des Designs, das in seiner Planung durch Forschungen von Susan Magsamen und ihrem International Arts + Mind Lab unterstützt wurde, laufen deshalb Prinzipien der Neuroästhetik ab. Die Absolventin der Johns-Hopkins-University arbeitet seit Jahren an der Schnittstelle von Gehirnforschung und Kunst und weiß, wie individuelle ästhetische Erfahrungen menschliches Potenzial verstärken können. Und über all diesen Überlegungen liegt im gesamten Schulgebäude und auch im Außenbereich mit seinem verführerischen Naschgarten ein eigenes Duftkonzept, das von Parfumdesignerin Mandy Aftel entwickelt wurde …
Sensorische Erlebnisse
Den neuroästhetischen Prinzipien folgend wurden auch sechs kleinere Nebenräume gestaltet. In diesen Räumen können Studenten in Kleingruppen über knifflige Aufgabenstellungen grübeln oder einfach abschalten und relaxen. Die Stimmung kann durch personalisierte Musik-Playlists, Farben und Lichttemperaturen adaptiert werden.
Einer der Räume besticht durch eine Wand mit essbaren Pflanzen und Kräutern, die Studenten dazu verleiten sollen, sich selbst frischen Tee zuzubereiten – und diesen wiederum ihren Kollegen auf Rollwagen zu servieren, deren Griffe mit speziellen Stoffen überzogen sind. „Diese sensorischen Erlebnisse, die neuroästhetische Aspekte ansprechen“, sagt Rapt-CEO David Galullo, „helfen mit, den Körper zu aktivieren.“
The Schoolhouse – Think big!
Google selbst bringt seine Mission kurz und knapp auf den Punkt: „die Informationen dieser Welt organisieren und allgemein zugänglich und nutzbar machen“. Ausgesprochenes Ziel ist es dabei, das Leben aller Menschen zu verbessern. Dass das 1998 von den Stanford-Studenten Larry Page und Sergey Brin gegründete Unternehmen damit allein im Jahr 2020 einen Umsatz von 181,69 Milliarden Dollar, umgerechnet 157,36 Milliarden Euro, erwirtschaftete, ist für seine Aktionäre natürlich ein hübscher Nebeneffekt.
Grundlage des Erfolgs von Google ist nicht zuletzt die Gabe, groß – also, siehe etwa Google Earth: wirklich groß! – zu denken. Im neuen Schoolhouse in Mountain View sollen nun angehende Führungskräfte aus der ganzen Welt in Richtung zukünftiger Herausforderungen herangebildet werden. Hausintern verantwortlich für den Bau und die Kooperation mit Rapt Studio war die HR-Strategin Maya Razon. Aus ihrer Sicht gehe es darum, die Führungsqualitäten künftiger Spitzenmanager zu schulen und zu verbessern: „Der Kern des Programms besteht aus Impulsen und Inspiration. Die sensorischen Erlebnisse bringen Elemente von Ehrfurcht, Überraschung und Neuartigkeit mit sich, die man fast schon als ‚kindlich‘ bezeichnen kann.“
Neue Qualitäten braucht die Welt
David Galullo freut sich jedenfalls, dass sein Schulhaus von Google so positiv aufgenommen wurde: „Ich bin stolz darauf, dass das Konzept so einfach und gleichzeitig so wirkungsvoll ist. Es produziert eine neue Einstellung zum Thema Lernen an sich. Und das ist wichtig: Wenn sich die Arbeitswelt verändert, müssen sich auch die Führungsqualitäten ändern.“
Text: Hannes Kropik
Fotos: Rapt Studio