Vom Sultan besiegelt
In Istanbul wachsen gerade zwei spektakuläre Türme der Ziraat Bank in den Himmel. Ihre Form orientiert sich an einer alten Kalligrafie. Ihr Innenleben an den modernsten technischen Standards.
Viele geschwungene Linien. Ein paar senkrechte Striche. Schlingen. Schlaufen. Kunstvoll sieht sie aus, die so genannte Tughra. Und niemals gleich. Schließlich hat jede noch so kleine mit einem Federkiel gezogene Form eine große Bedeutung. In Summe aber ergibt jede dieser alten Kalligrafien den Namen und die Herkunft eines Sultans. Sie waren im Osmanischen Reich das, was der Westen als Siegel für sich entwickelte: Die offizielle Signatur der Herrscher.
Handschrift als Grundlage
Eben an dieser im 11. Jahrhundert entwickelten Form der wertvollen Signatur orientiert sich nun im modernen Heute ein spektakuläres Bauwerk: Der neue Hauptsitz der Ziraat Bank in Istanbul. Die Architekten von Kohn Pedersen Fox Associates (KPF) haben für das Geldinstitut einen Entwurf präsentiert, der zwei Türme vorsieht, die Anleihen an der alten Handschrift nehmen. Damit wolle man das kulturelle Erbe Istanbuls und die historische Architektur der Stadt in einem zeitgemäßen Kontext aufgreifen, heißt es offiziell.
Und tatsächlich lässt sich diese optische Logik selbst für einen Laien erkennen: Beide Gebäude sind als separate Strukturen konzipiert. Sie bilden offensichtlich die senkrechten Linien, wie sie sich in einer Tughra finden, ab. Beide aber ruhen auf einem verbindenden achtstöckigen Atrium, das ob seiner weichen Kurven ebenfalls einen klaren Hinweis auf die alte Kalligrafie liefert.
Die Ziraat Bank wird zum neuen Herzstück
Rein äußerlich betrachtet ist also schon jetzt, kurz vor Baubeginn klar: Die beiden Türme der Ziraat Bank werden nach ihrer Fertigstellung das Herzstück des neuen Istanbul International Financial Centre (IIFF) bilden. Mit dieser Anforderung waren die Architekten auch ins Rennen geschickt worden. Und so freut sich Mustafa Chehabeddine, Projektleiter bei Kohn Pedersen Fox zurecht und sagt: „Die Ziraat Bank ist ein Beispiel für zeitgenössisches Design, das den Kontext und die reiche Geschichte des Landes respektiert. Wir sind davon überzeugt, dass sie ein passendes Herzstück für das neue Finanzzentrum werden wird.“
Gleichzeitig betont er eilig, dass man bei der Entwicklung freilich nicht bloß auf das äußere Erscheinungsbild der 320 Meter hohen Türme geachtet habe. Außen hui, innen hui sei die Devise gewesen. Das bedeutet in diesem Fall, dass man sich vor allem um das Wohlbefinden der in Zukunft darin arbeitenden Menschen gekümmert hat. „Die 40 und 46 Stockwerke wurden so konzipiert, dass sie den Komfort und das Wohlbefinden der Mitarbeiter fördern“, heißt es offiziell. Zu den in Zukunft gebotenen Annehmlichkeiten gehören Gebetsräume, natürlich belüftete Bereiche und begrünte Balkone für entspannte Pausen.
Variable Raumhöhen zur Auflockerung
Zudem wurden zwischen den einzelnen Geschoßen Atrien mit doppelter Raumhöhe integriert. So will man abwechslungsreiche Arbeitsumgebungen schaffen, die die soziale Interaktion zwischen den Etagen fördern. Ähnliches sollen verbindende Brücken zwischen den beiden Türmen der neuen Ziraat Bank-Zentrale bewirken. „Es geht um visuelle und physische Verbindungen“, so die Architekten.
Auch würde so darauf geachtet, eine Blendung der auf 350.000 Quadratmeter verteilten Arbeitsplätze zu verhindern. Monitore und Sonnenlicht vertragen sich bekanntlich nicht sonderlich gut. So würde man auch eine Überhitzung durch Sonneneinstrahlung verhindern. Dieser Effekt wird jedoch schon von einem Spezialglas unterdrückt, das in der gesamten Fassade verbaut werden soll. Weitere technische Innovationen seien noch in Planung, heißt es. Man wolle erst nach Baubeginn weitere Details verkünden – diese sollen aber spektakulär werden.
Es ist also ganz offensichtlich: Die Architekten der geschwungenen Türme wollen das Gleiche, wie auch die Auftraggeber der Ziraat Bank: Der Stadt Istanbul ihren Stempel aufdrücken. Oder besser gesagt – ihre Tughra.
Text: Johannes Stühlinger
Bilder: Tom Spall