Rückzugsort auf der Teufelsinsel
Auf Seeland haben die Kopenhagener Architekturbüros von Jan Henrik Jansen und Marshall Blecher mit dem Vollerup Atrium Haus ein Refugium für eine generationenübergreifende Familie entworfen.
Der dänische Volksmund nennt sie Teufelsinsel, in Wahrheit kann man auf Seeland, der größten Insel Dänemarks und der Ostsee, jedoch nicht wirklich Diabolisches ausmachen. Insbesondere der Westen Seelands mit der Halbinsel Røsnæs ist eine vielmehr paradiesische, an Naturschutzgebieten reiche Region. Kein Wunder also, dass stressgeplagte Menschen aus der im Osten gelegenen Hauptstadt Kopenhagen Ruhe und Erholung auf der anderen Seite der Insel suchen.
So wie jenes ältere Ehepaar, das sich auf einer Kiefern- und Eichenwiese in der Feriensiedlung Vollerup an der Küste des Großen Belt ein Ferienhaus wünschte. Oder genauer: Einen Rückzugsort für die gesamte Familie. Man beauftragte die Architekturbüros Jan Henrik Jansen Arkitekter und Studio Marshall Blecher mit dem Entwurf; das Ergebnis trägt einen bezeichnenden Namen: das Vollerup Atrium Haus.
Schutz vor den Elementen
Denn Herzstück des Projekts ist ein Atrium. Eines, wie es in klassischer, altrömischer Architektur zu finden war, bei der die Räume eines Hauses rund um einen zentralen Innenhof angeordnet wurden.
Hier hat der Freibereich jedoch noch einen anderen Sinn: „Der Standort liegt an einem exponierten und windgepeitschten Abschnitt der dänischen Küste. Das monolithische Atrium bietet einen soliden und standhaften Zufluchtsort vor den Elementen“, so Marshall Blecher, Gründer des gleichnamigen Studios aus Kopenhagen, in einem Interview mit der Architekturplattform Dezeen. Als Generationenhaus konzipiert, wollte der Kunde ein zweites Zuhause für die gesamte Großfamilie errichten. Ein Refugium, das die kommenden Jahrzehnte problemlos überdauert.
Das Vollerup Atrium Haus umfasst einen 90 Quadratmeter großen Haupttrakt, ein „durchgängiger pavillonartiger Raum“, wie es seitens der Studios heißt. Hier befinden sich Ess- und Küchenbereich, eine Lounge sowie die Schlafzimmer. Im 30 Quadratmeter großen Gästeflügel können in zwei zusätzlichen Zimmern insgesamt bis zu sechs weitere Personen übernachten; dieser Teil des Hauses kann bei Nichtgebrauch vom Haupthaus abgetrennt bleiben. Darüber hinaus verfügt der Zweitwohnsitz über eine versteckte Garage und eine überdachte Terrasse.
Kalk, Stein, Eiche
Das Studio entschied sich für italienischen Travertin als Baumaterial, da sich Kalkstein mit zunehmendem Alter verändert. Laut Marschall Blecher ist dessen „Oberfläche nicht reflektierend, sie verändert mit der Zeit leicht ihre Farbe und wird weicher“. Ein erwünschter Effekt.
Die Volumen wurden um das zentrale, mit einem Holzboden ausgestattete Atrium angeordnet, das man wiederum als flexiblen Raum konzipierte. So können die ihn umgebenden Steinwände Schutz vor dem dänischen Wind bieten, Bäume und ein Reflexionsteich sollen beim Sonnenbad für Abkühlung sorgen.
„Bei der Ankunft erwartet das Haus seine Besucher mit einer großen, geschlossenen Wand aus Travertin und zwei riesigen, mit Eichenholz getäfelten Schiebetoren, die den Zugang zur Garage und zum zentralen Atrium ermöglichen“, heißt es von den Studios.
„Die Kontinuität der Räume und die weiten Ausblicke nach Norden schaffen trotz der kleinen Grundfläche ein Gefühl von Offenheit und ruhiger Erhabenheit“, so die Architekten.
Natürlich konzipiert
Im Inneren verkleidete man die Wände mit Eichenholz, da es sich dabei um „lokales dänisches Material handelt“, wie Blecher erklärt. Der satte Honigton der geölten Eiche sorge zudem – im Kontrast zum verwendeten Stein – für etwas Wärme. In einer Dachlaterne befinden sich Obergadenfenster, die den Innenraum mit natürlichem Licht versorgen. Diese werden elektronisch bedient, sie sorgen für passive Querlüftung und Südsonne direkt in den Wohnräumen. Die beiden Studios versahen außerdem die Räume auf einer Seite des Hauses mit großen Glasfenstern, um zusätzlich Tageslicht hereinzulassen.
Um Platz zu sparen, haben Jan Henrik Jansen Arkitekter und Studio Marshall Blecher spezielle Einbaumöbel für das Ferienhaus entworfen. „Das Haus ist recht klein und durch die Entwicklung individuell angefertigter Möbel konnten wir die kleinen Räume optimieren“, sagt der Studiochef. „Der Tisch ist zum Beispiel so platziert, dass der Küchenblock den Gästen als Rückenlehne dient. Und das Bett im Hauptschlafzimmer verfügt über eine Kopfstütze, die gleichzeitig als Schreibtisch genutzt werden kann.“
Obwohl es sich in einem traditionellen Sommerhausgebiet befindet, sei das Vollerup Atrium Haus ein Beispiel für eine neue Art von Zweitwohnsitz, so Studio Marshall Blecher abschließend. Eine, die dem „Work-from-Home“-Lebensstil folgt und einen bewussten Kontrast zu einer Innenstadtwohnung darstellt.
Text: Michi Reichelt
Bilder: José Campos