Fingerabdruck der Handwerkskunst
Eingebettet in die Natur. Das indische Architekturbüro Terratects hat in seiner Heimat mit dem Urul Haus einen Rückzugsort geschaffen, auf den ebendiese Beschreibung perfekt passt. Und das in mehrfacher Hinsicht.
Die Verbindung von Architektur und Natur, das Einbinden von Gebäuden in ihre natürliche Umgebung – sowohl baulich als auch, was die verwendeten Materialen betrifft: Insbesondere beim Errichten von Eigenheimen gewinnen diese Anforderungen überall auf der Welt an Bedeutung. Nachhaltigkeit, das achtsame Umgehen mit der Umwelt und Ressourcen, (Rück-)Besinnung auf das Handwerk. Diese Parameter sind definitiv in der individuellen Architektur angekommen.
Ein Projekt wurde nun nach ebensolchen Parametern in Wayanad im südwestindischen Bundesstaat Kerala umgesetzt. Das Architekturstudio Terratects entwarf mit dem Urul Haus einen Zweitwohnsitz für einen im Umweltbereich tätigen Auftraggeber; dementsprechend waren die Vorgaben: Das Gebäude sollte in seine Umgebung regelrecht eingebettet werden, der Impact auf die Natur so gering wie möglich sein.
Natürliches Konzept
„Das Kernkonzept hinter dem Entwurf bestand darin, ein Wohnhaus zu schaffen, in dem jede Ecke, jedes Element eine einzigartige Geschichte der Handwerkskunst und des Zusammenspiels der Natur erzählt“, so Terratects Chefarchitekt Roshith Shibu. Das Design vereint Handwerk und natürliche Materialien wie Holz und Lehm, es entstand somit ein Gebäude, das sich in vielerlei Hinsicht „mit seiner Umgebung verbunden anfühlt“, wie das Studio es ausdrückt.
Urul wurde an einem abschüssigen Waldrand errichtet, wo es sich mit einer Kombination aus erdigen, rostroten und steingrauen Farbtönen harmonisch in die Landschaft einfügt. Das Haus hat klare geometrische Formen, wiewohl es in verschiedene Bereiche unterteilt ist. Das untere Stockwerk besteht aus drei quaderförmigen Betonvolumen, flankiert von einer schwarzen, C-förmigen Konstruktion an der Seite des Baukörpers. Diese bildet den Eingangsbereich. Von hier aus gelangt man direkt in den Wohnbereich sowie daran anschließend in ein Schlafzimmer samt begehbarer Garderobe und Badezimmer. Von einer Terrasse an der Vorderfront eröffnet sich der Ausblick bergab in Richtung der vorbeiführenden Straße.
Individuelle Raumaufteilung
Im angrenzenden, hinteren Teil des Hauses ist die Treppe ins Obergeschoss untergebracht, daneben führt, vorbei an einem kleinen Innenhof, ein gläserner Übergang in einen separaten Teil von Urul: Das Esszimmer samt offener Küche.
Oben findet sich ein zweites Schlafzimmer inklusive Arbeitsbereich, ebenfalls mit eigenem Bad und Umkleidebereich ausgestattet. Der erste Stock weist eine kleinere Grundfläche auf als der darunter liegende – und bildet somit einen an drei Gebäudeseiten verlaufenden Balkon – vor Regen und direktem Sonnenlicht vom überhängenden Flachdach geschützt. Den Balkon kann man mittels hölzerner Brücke (über dem Wohnzimmer) direkt von der Treppe aus erreichen, ohne das Schlafzimmer durchqueren zu müssen. Somit ist er auch für Gäste jederzeit nutzbar.
Harmonie & Ausgewogenheit
In beiden Stockwerken sorgen wandhohe Glasfronten für weite Fernsicht sowie intensiven natürlichen Lichteinfall. Im ausladenden Wohnzimmer wird das helle, freundliche Ambiente durch die weißen Polstermöbel unterstützt. Nicht nur Holzmöbel verleihen dem Erdgeschoss zudem eine natürliche Atmosphäre: Lehmverputzte Wände sowie naturbelassene Holzlatten an der Decke verstärken den Eindruck, dass man hier – im wahrsten Sinne – der Natur ganz nahe ist. Der Sichtbeton sowie die Stahlelemente der Treppe wiederum geben dem Raum zusätzlich eine moderne Struktur.
„Lehm wurde aufgrund seiner wärmeisolierenden Eigenschaften und seiner natürlichen Ästhetik ausgewählt“, so Terratects. „Er weist die Fingerabdrücke der örtlichen Gemeinschaft auf und erzählt eine Geschichte traditioneller Handwerkskunst erzählt.“ Die Anordnung der Räume stellen zudem einerseits die Privatsphäre der Bewohner sicher, lassen allerdings auch soziale Interaktion zu. Beziehungsweise fördern sie sogar. Roshith Shibu: „Jeder Raum erfüllt seinen Zweck, trägt aber gleichzeitig zur Harmonie und Ausgewogenheit des Hauses bei.“
Text: Michi Reichelt
Bilder: Prasanth Mohan