Ein Lernort für Nachhaltigkeit
Das neue Umweltbildungszentrum Augsburg leistet Aufklärungsarbeit in Sachen nachhaltiger Entwicklung. Die Architektur vom Büro Hess/Talhof/Kusmierz zeigt, wie sich ein hoher ästhetischer Anspruch besonders nachhaltig umsetzen lässt – in Holz und Lehm.
Lehm ist der Urtypus aller Baustoffe und ist seit über 10.000 Jahren im Einsatz. Während er im Zuge der Industrialisierung in Vergessenheit geriet, erlebt er heute im Hinblick auf die Klimaziele ein Revival. Denn wenn es darum geht, den Bausektor zu dekarbonisieren, kann der Lehm einiges dazu beitragen. Das Baumaterial ist neben Holz und Stroh ein wahres CO2-Wunder. Oftmals direkt aus dem Aushub der Baugrube gewonnen, muss der Lehm keine langen Transportwege zurücklegen. Dieses sogenannte Null-Kilometer-Material ist unbeschränkt vorhanden und lässt sich beliebig oft ohne Qualitätseinbußen recyceln.
Denn: „Stampflehm ist zu hundert Prozent getrocknete Erde, ohne Stabilisierung“, wie der Vorarlberger Lehmbauspezialist Martin Rauch von Lehm Ton Erde in einem Gespräch erklärte. Sieht man sich die Klimabilanz an, dann steht fest: Stampflehm ist der Beton der Zukunft. Dass er dem CO2-intensiven Beton auch ästhetisch in nichts nachsteht, zeigt der Neubau für das Umweltbildungszentrum in Augsburg, das kürzlich im Südosten der Stadt errichtet wurde.
Vorzeigebeispiel für klimagerechtes Bauen
Die Aufgabe des Zentrums ist es, Wissen zum Thema nachhaltige Entwicklung zu vermitteln. Dass das Gebäude selbst ein Vorzeigebeispiel dafür sein soll, wie man heute klima- und umweltgerecht baut, versteht sich von selbst. Das vom Münchner Architekturbüro Hess/Talhof/Kusmierz erarbeitete Konzept sieht daher ein Tragwerk aus Holz vor und skulpturale Wände aus Stampflehm.
Die gewählte Typologie des eingeschossigen Pavillons mit quadratischem Grundriss ist seiner Lage geschuldet. Das Zentrum steht nämlich auf einer Erweiterungsfläche des Botanischen Gartens und „somit an einer Schnittstelle zwischen Stadt und Natur“, wie es in der Projektbeschreibung heißt.
Im Spannungsfeld zwischen Stadt und Natur
Diese beiden gegensätzlichen Sphären – Stadt und Natur – sind die zentralen Themen des Konzeptes, auf dessen Basis die Form entwickelt wurde. Von außen betrachtet überwiegt die Linearität und Zweckmäßigkeit der Kubatur, während sich im Inneren des Gebäudes eine Formenwelt auftut, die der Natur abgeschaut ist. „Das Gebäude ist geprägt durch den Gegensatz der klaren, orthogonalen Gebäudefigur und den weichen, organischen Formen des zentralen Foyers“, so das Büro.
Das Gebäude ist geprägt durch den Gegensatz der klaren, orthogonalen Gebäudefigur und den weichen, organischen Formen des zentralen Foyers.
Hess/Talhof/Kusmierz, Architekturbüro
Die geschwungenen Lehmwände winden sich von drei Seiten ins zentrale Foyer, das Herzstück des Hauses. Es ist Ausstellungsfläche, kommunikativer Ort und Erschließungszone in einem. Die erkennbaren Schichten des Stampflehms erwecken den Eindruck von natürlicher Erosion. Als hätte sich ein Fluss über Tausende von Jahren in die Erde gegraben und dabei diese horizontalen Gesteinsschichten freigelegt.
Dass man sich an einem menschengemachten Ort befindet, das verrät nicht zuletzt die abgehängte Decke aus hölzernem Gitterraster, hinter der sich die Technik und die Beleuchtung verbergen. Sie bildet einen spannungsvollen Kontrast zu den sanft geschwungenen Wänden und wiederholt damit das Spiel mit den beiden Gegenpolen „organisch gekrümmt“ „zweckmäßig linear“.
Lehmwände schaffen Zonierung
Die nicht tragenden Lehmwände, die außen an der Holzfassade anschließen, geleiten die Besucherinnen und Besucher über die Haupt- und Nebeneingänge ins Innere. Hier gliedern sie das Raumprogramm in drei von einander getrennte Nutzungsbereiche: den Seminar- und Veranstaltungsbereich, den Büro- und Verwaltungsbereich sowie den Lager- und Werkstattbereich.
Die skulpturalen Erdwände öffnen sich zur Fassade hin und schaffen so einen nahtlosen Übergang zwischen innen und außen. Auch die umgebenen Grünbereiche hat man in die Gestaltung miteinbezogen. Die mäandernde Wegführung des Foyers setzt sich in die umgebenden Freiflächen fort, die sich dadurch nahtlos in die Ausstellungen integrieren lassen.
Am Ende seiner Lebensdauer lässt sich das flexibel geplante Gebäude gut transformieren und umnutzen. Bei einem Rückbau können die einzelnen Materialien und Bauteile gut von einander getrennt und wiederverwendet werden. Die Lehmwände, die weder chemisch noch mineralisch gebunden sind, können sogar an ihren Herkunftsort zurückkehren: in die Baugrube.
Text: Gertraud Gerst
Fotos: Florian Holzherr