In freier Schwebe
Der TUM Campus im Münchner Olympiapark zeigt, wie eine durchdachte Holzkonstruktion Ressourcen und damit auch Kosten sparen kann. Der aktuell größte Holzbau Europas wurde jetzt für den DAM Preis 2024 nominiert.
Das berühmte Zeltdach aus Plexiglas im Münchner Olympiapark beeindruckt auch nach über 50 Jahren noch. Die Konstruktion von Günter Behnisch und Frei Otto hat trotz ihrer Transparenz und Leichtigkeit das Potenzial, mögliche Neubauten in der direkten Umgebung zu überschatten. Umgekehrt besteht auch die Gefahr, dass das architektonische Erbe im Zuge neuer Entwicklungen verblasst. In diesen Kontext hineinzubauen ist jedenfalls eine komplexe Herausforderung, die dem Architektenteam von Dietrich Untertrifaller im Fall des neuen TUM Campus meisterhaft geglückt ist.
Ein Superlativ im Holzbau
Ebenso wie bei den Olympiabauten von 1972 spielt beim TUM Campus das Dach eine maßgebliche Rolle in der Gestaltung. Auf einer Länge von 153 Metern kragt es 19 Meter aus und scheint in einer Geste der Leichtigkeit über der Tartanbahn zu schweben. Es schafft nicht nur einen schützenden Schirm über dem Zuschauerbereich, sondern auch beste Voraussetzungen für die Sportlabore im Erdgeschoss. Hier können die Leistungen von Sportlern witterungsgeschützt gemessen werden. Bei den Designentscheidungen stand also stets die Funktion im Vordergrund.
‚Licht, Frische und Großzügigkeit‘: Der Slogan der Olympischen Spiele München 1972 gilt auch heute für unseren Entwurf im denkmalgeschützten Olympiapark.
Dietrich Untertrifaller, Architekturbüro
Der gesamte Komplex, in dem die TUM School of Medicine and Health, eine Fakultät der Technischen Universität München, untergebracht ist, gilt als derzeit größter Holzbau Europas. 2023 eröffnet, wird er heute von 125.000 Studierenden und 30.000 Uni-Beschäftigten genutzt. Mit seiner gestalterischen Zurückhaltung und der horizontalen Ausrichtung fügt er sich wie selbstverständlich ins olympische Ensemble ein, ohne mit dem ikonischen Bestand zu konkurrieren.
Erschließung durch die Rue interieure
„‚Licht, Frische und Großzügigkeit‘: Der Slogan der Olympischen Spiele München 1972 gilt auch heute für unseren Entwurf im denkmalgeschützten Olympiapark“, erklären die Architekten ihr Leitmotiv. Das Bregenzer Architekturbüro Dietrich Untertrifaller mit Zweigstellen in Wien, München, Paris und St. Gallen gewann den ausgeschriebenen Wettbewerb gemeinsam mit den Landschaftsarchitekten Balliana-Schubert aus Zürich.
Während andere Wettbewerbsteilnehmer versuchten, formell an die ikonische Zeltdachkonstruktion anzuknüpfen oder die Bauvolumen unter einem Grasdach zu verbergen, reduzierten sich die Wettbewerbssieger auf das Wesentliche. „Der klar strukturierte Komplex ist in je zwei Hallen- und Institutscluster entlang einer zentralen Erschließungsachse gegliedert.“ Diese sogenannte „Rue interieure“ erschließt das gesamte Gebäude von Osten nach Westen und bildet zugleich einen kommunikativen Bereich. Geschosshohe Verglasungen bieten Einblicke in die einzelnen Sporthallen und machen das Raumprogramm transparent und nachvollziehbar.
Holzbau beim Brandschutz vorne
Ein entscheidendes Argument für den Siegerentwurf waren nicht zuletzt die Kosten, wie Architekt Much Untertrifaller gegenüber dem Magazin „Detail“ erklärte: „Unser Entwurf war bei weitem der kostengünstigste. Holz ist nachhaltig und war bisher auch kostengünstig, da es im Gegensatz zu Stahl nicht zusätzlich mit Brandschutzanstrichen geschützt werden muss.“ War früher der Brandschutz der große Hemmschuh des Holzbaus, so gilt Holz heute im Fall eines Brandes als Sicherheitsgewinn. Im Gegensatz zu Stahl brennt Holz zum einen kontrolliert ab, zum anderen bildet es eine schützende Verkohlungsschicht an der Oberfläche, wodurch der Kern von tragenden Konstruktionen lange unbeschädigt bleibt.
Unser Entwurf war bei weitem der kostengünstigste.
Dietrich Untertrifaller, Architekturbüro
Das Geheimnis des spektakulär auskragenden Vordachs, das ohne zusätzliche Stützen auskommt, ist eine spezielle Leichtkonstruktion aus Brettschichtholz-Fertigteilen, produziert von Rubner Holzbau. Die einzelnen vorgefertigten Elemente sind 28 Meter lang, 3,75 Meter breit und bestehen aus handelsüblichen Furnierlagenplatten und Brettschichtholzrippen. Die fertig verklebten Hohlkastenelemente haben eine sehr hohe Steifigkeit bei minimalem Eigengewicht. Auf diese Weise konnte der große Ausleger zu wirtschaftlich vertretbaren Kosten realisiert werden.
Hallencluster in zwei Monaten errichtet
Gesamt betrachtet handelt es sich um eine Hybridkonstruktion. Während manche Bauteile, wie das Untergeschoss und die zentrale Erschließungsachse als Stahlbetonkonstruktion ausgeführt wurden, hat man die Sporthallen, die Institutsbereiche und die komplette Dachkonstruktion in Holzbauweise errichtet. Die hohe Vorfertigung der Holzbauelemente ermöglichte zudem eine rasche Montage. „Mit der entsprechenden Logistik für Planung, Fertigung, Anlieferung und Montage konnten die Hallencluster in nur zwei Monaten Bauzeit errichtet werden.“
Für das Architektenteam stand bei der Wahl der Baumaterialien in erster Linie allerdings ein anderes Argument im Vordergrund. „Die Wahl fiel auf Holz, um die Verbindung zwischen Landschaftsraum und Architektur zu bewahren“, wie es heißt. Eine Verbindung, wie sie auch die denkmalgeschützten Olympiabauten herstellen.
Frei Otto, dessen visionäre Multihallle in Mannheim derzeit aufwändig saniert wird, war stets auf der Suche nach neuen und freien Formen des Bauens. Mit der Leichtigkeit des Holzbaus knüpft der neue TUM Campus an diesen Forschergeist an und zeigt, wie sich ein großes Bauvolumen mit selbstverständlicher Ressourcenschonung umsetzen lässt. Eine selbstbewusste Ergänzung für den Olympiapark und ein Bauwerk, das dem aktuellen Zeitgeist in der Architektur Ausdruck verleiht. Mit Feingefühl für den Kontext und einem bewussten Blick auf die planetaren Grenzen.
Der Campus der TU München wurde mit dem Austrian Green Planet Building Award ausgezeichnet und ist aktuell für den DAM Preis 2024 nominiert.
Text: Gertraud Gerst
Fotos: Aldo Amoretti, Marcus Buck, David Matthiessen