BIG in Japan
Während der Rest der Welt bloß von der Stadt der Zukunft spricht, drückt Toyota aufs Gas. Und baut mit dem Architekturbüro BIG in Japan seine Stadt der Zukunft. Baubeginn: schon 2021.
Wenn ein Autoriese auf der CES 2020 (Consumer Electronics Show) etwas „Großes“ vorstellen möchte, dann denkt man in Zeiten wie diesen eher an Wasserstoff-Autos oder ähnliche neue Antriebe, die mit Nachhaltigkeit punkten. Nicht so Toyota. Der Weltkonzern ließ in Las Vegas auf besagter Tech-Bühne nun mit einem gigantischen Konzept einer visionären Zukunfts-Stadt aufhorchen.
Woven City verblüfft
In einer 20-minütigen und völlig schnörkellosen Präsentation stellte Akio Toyoda, aktueller CEO und Enkel von Firmengründer Toyota, seine „Woven City“ (zu Deutsch: „Verwobene Stadt“) vor. Dabei verblüffte er nicht nur mit der bereits vorhandenen Detailplanung, sondern auch mit Selbstironie.
Konkret scherzte der 63-Jährige nämlich auf der Bühne, dass Skeptiker wohl fragen würden: „Hat dieser Mann den Verstand verloren? Hält er sich für eine Art japanischen Willy Wonka?“ Tatsächlich ist das Projekt innerhalb des Toyota-Konzerns durchaus umstritten und sein Vergleich mit der exzentrischen Figur aus „Charlie und die Schokoladenfabrik“ nicht einmal an den Haaren herbeigezogen.
Jedenfalls aber hat es Toyoda geschafft, das Projekt schon vor seiner Präsentation in Kalifornien von der Reißbrettebene auf die Zielgerade zu bugsieren. Soll heißen: Seine persönliche Stadt der Zukunft wird quasi im Jetzt errichtet – Der Baustart ist für 2021 angekündigt.
Zukunfts-Stadt auf Realisierungskurs
Fakt also ist: Unter all den großartig-visionären Stadtplanungskonzepten, die mit der Nachhaltigkeitswelle durch den Architektur-Äther geschossen kommen, ist so gut wie keines noch auch nur ansatzweise auf Realisierungskurs. Jenes von Toyota allerdings sehr wohl.
Allein der zeitnahe Baubeginn verrät, dass die Planung bereits weit vorangeschritten sein dürfte. Und für diese zeichnet das international aktuell erfolgreichste Architekturbüro verantwortlich: Bjarke Ingels Firma BIG ist mit der Gesamtrealisierung betraut.
Eckdaten einer Vision
Als idealen Standort für Woven City hat Toyoda ein ehemaliges Fabriksgelände des Konzerns auserkoren. Auf 71 Hektar Fläche – das sind rund 100 Fußballfelder – wird die hausgewordene Vision schon bald für 2000 Menschen Lebensraum bieten. In Sachen Größe darf man sich also keine Metropole erwarten, die da direkt am Fuße des Vulkans Mount Fuji erwachsen wird. In Sachen Nachhaltigkeit wird die Toyota-Stadt allerdings alle Großstädte locker in den Schatten stellen.
Emissionsfreie Stadt
Als vorrangiges Ziel haben sich die Erbauer der neuen Stadt dazu verpflichtet, nicht nur ein energieautarkes, sondern auch emissionsfreies System zu etablieren. Schließlich würde das gesamte Projekt an eben diesen Parametern gemessen werden, ist man sich sicher. Und so lautet der Plan, vorrangig auf Wasserstoff-Brennstoffzellen zu setzen, um die Stadt mit Energie zu versorgen. Diese großen Betonanlagen sollen allesamt unter der Erde verschwinden, während überirdisch Holzbauten dominieren werden.
Dabei stellen sich die Planer große Wohnblöcke mit geschwungenen Dächern vor, auf denen maximal effiziente Photovoltaik-Anlagen zur Hausenergie-Erzeugung liegen. Hier ist also ein weiterer, nachhaltiger Energieträger – aber eben kein vom Sonnenlicht unabhängiger – im Spiel.
Abgefahrenes Verkehrskonzept
Auf der Hand liegt, dass der Autobauer Toyota bereits jetzt mit einem fix und fertigen Verkehrs- und Infrastrukturkonzept auffahren kann: Ingels und sein Team stellen sich ein dreispuriges Straßensystem vor: Eine Spur für schnelle und durchfahrende Fahrzeuge, die zweite für eine Mischung aus entschleunigtem Personenverkehr – sowohl auf rollendem Untersatz als auch zu Fuß. Die dritte Spur ist als reine Flaniermeile im Park-Stil und ausschließlich für Fußgänger gedacht.
Besonderes Augenmerk hat man auf die Nutzung autonomer Mehrzweck-Fahrzeuge gelegt, an denen Toyota bereits seit vielen Jahren intensiv arbeitet. Diese sollen nicht nur für den Transport der Bewohner genutzt werden, sondern sogar Geschäfte oder Büros mobil machen. Wir erinnern uns: Derartige Wagen hat der Konzern vor zwei Jahren bereits unter dem Namen e-Palette vorgestellt. Eben die nächsten Generationen dieses Konzepts werden hier zum Tragen kommen.
Gemeinschaft steht im Vordergrund
Grundsätzlich sieht Akio Toyoda mit dem Bau von Woven City seinen ganz persönlichen Lebenstraum realisiert. Gleichzeitig aber fängt für ihn mit dem Moment der Besiedelung seiner Stadt auch ein neues Experiment an. So habe er die Stadt bewusst als eine Art „lebendes Labor“ konzipiert, erklärt er. Konkret meint Toyoda damit, dass in den Straßen von Waven City hochtechnisierte Angebote in beispiellosem Umfang auf die sozialen Komponenten einer Gesellschaft treffen werden.
Damit diese dabei nicht unter die Räder kommen, wurden in der Planung von Anfang an eigene Angebote für das Sozial-Tier Mensch mitgedacht. Insbesondere ein zentraler Platz für Veranstaltungen und gemeinsame Aktivitäten wurde fest ins Stadtbild integriert. Ganz nach dem Vorbild alter, gewachsener Städte also, die stets einen echten Ortskern haben, der für das Miteinander essentiell ist. Zusätzlich legt man auf eine vollumfängliche Gesundheitsvorsoge Wert. Und: Das Zusammenleben der Generationen soll durch unterschiedlichste Angebote im Wohnbereich intensiv unterstützt und vereinfacht werden.
Gemeinsam für eine neue Welt
Doch auch in der Planungs- und Bauphase sieht der Toyota-CEO eine Art Versuchs-Situation: So lud er alle interessieren Unternehmen ein, mit ihm gemeinsam die Stadt seiner Träume in die Tat umzusetzen. Der Hintergedanke: Es gehe um eine neue Welt, die man gemeinsam und nicht einsam erschaffen sollte.
Vielleicht der unrealistischste Aspekt an Woven City. Wie werden es jedenfalls tatsächlich bald sehen.
Text: Johannes Stühlinger
Fotos: BIG