Die geliehene Landschaft
Die japanische Küstenstadt Tottori ist für ihre weitläufige Dünenlandschaft bekannt. Mit dem Takahama Café haben Kengo Kuma & Associates einen Holzbau geschaffen, der sich diesen Landstrich einverleibt hat.
Steht man auf dem Parkplatz direkt vor dem Takahama Café in der japanischen Küstenstadt Tottori, dann präsentiert sich der Bau als hölzerner Monolith in einer weitläufigen Asphaltlandschaft. Blickt man aber von der Terrasse des Cafés im zweiten Obergeschoss in Richtung Meer, dann wird einem klar, worauf sich die geneigte Kubatur bezieht. In Form- und Farbgebung gleicht sie den Dünen, die sich zwischen der versiegelten Verkehrsfläche und dem Ostmeer auftun.
Die Architekten von Kengo Kuma and Associates berufen sich in ihrem Konzept auf das traditionelle japanische Prinzip shakkei, das übersetzt so viel bedeutet wie „geliehene Landschaft“. Es stammt ursprünglich aus der Gartengestaltung und meint eine natürliche Landschaft, die als bewusstes gestalterisches Stilelement in den Garten integriert ist. Das Tottori Takahama Café neigt sich zur Küste hin und schafft eine symbolische Brücke zur Dünenlandschaft, die ein touristischer Anziehungspunkt ist.
Eine Treppe zum Himmel
Die starke Verbindung zwischen Natur und gebauter Umwelt ist ein vielzitiertes Merkmal der japanischen Architektur. In Zeiten von Klimawandel und gebotener Ressourcenschonung kommt ihre eine besondere Bedeutung zu. Die jahrtausendealte Holzbautradition in Japan trifft heute auf modernste Technologien, insbesondere im Hinblick auf die Holzwerkstoffe.
Konzipiert als ‚Treppe zum Himmel‘ schafft der Baukörper aus Brettsperrholz eine warme Textur, die mit den umgebenden Sanddünen eine Einheit bildet.
Kengo Kuma & Associates
Das Café mit Dünenblick besteht aus einem hybriden Tragwerk, das von einem aussteifenden Betonkern und einer Holzkonstruktion gebildet wird. „Konzipiert als ‚Treppe zum Himmel‘ schafft der Baukörper aus Brettsperrholz eine warme Textur, die mit den umgebenden Sanddünen eine Einheit bildet“, heißt es von Kengo Kuma. Das Büro setzt den Naturbaustoff Holz regelmäßig in seinen Projekten ein, zuletzt unter anderem beim Urban-Farming-Projekt Nest we Grow in Hokkaido.
Tiroler Holz in Japan
Obwohl der Ausbau von Brettsperrholzwerken in Japan seit 2014 kontinuierlich vorangetrieben wurde, lag die jährliche Produktion von CLT-Produkten im Jahr 2023 bei rund 80.000 Kubikmeter. Dies ist nur ein Bruchteil dessen, was beispielsweise in Österreich produziert wird. Hier stemmen einige Unternehmen wie Binderholz, Theurl oder KLH Massivholz für sich alleine schon mehr als die Gesamtkapazität Japans.
Für den Bau des Takahama Cafés hat man – vermutlich aus eben diesen Kapazitätsgründen – auf BSP-Produkte der Tiroler Firma Egger zurückgegriffen, wie das Holzbau-Portal Woodcentral berichtet. Das FSC- und PEFC-zertifizierte Holz, das hier verbaut wurde, stammt also aus den nachhaltig bewirtschafteten Wäldern Mitteleuropas.
Skulpturale Form und Kunsthandwerk
Die skulpturale Form des windschiefen Baukörpers erzeugt zusammen mit dem Brise Soleil über der Dachterrasse spannende Formationen. Je nachdem, aus welchem Blickwinkel man das Gebäude betrachtet. Direkt vor dem Haupteingang des Cafés gleicht der massive Bauteil einer Tasse, die Holzlattung darüber bildet einen Strahlenstrang. Zusammen ergibt es das symbolhafte Bild eines Heißgetränkes, das den Besucherinnen und Besuchern verheißungsvoll den Weg weist.
Als Hommage an Tottori, das für seine Volkshandwerkskultur („Mingei“) bekannt ist, ist die Inneneinrichtung von lokaler Handwerkskunst geprägt.
Kengo Kuma & Associates
Im Inneren des Cafés dominieren – ebenso wie im Äußeren – natürliche Holzoberflächen. Die Stühle sind aus Brettsperrholz konstruiert, und die Leuchten bestehen aus Washi-Papier, das mit lokalem Sand beschichtet ist. In den Bädern findet man Waschbecken von Nakai-gama, die aus der lokalen Mingei-Produktion stammen. „Als Hommage an Tottori, das für seine Volkshandwerkskultur („Mingei“) bekannt ist, ist die Inneneinrichtung von lokaler Handwerkskunst geprägt“, erklärt das Büro Kengo Kuma.
Das Takahama Café verleiht der größten Dünenlandschaft Japans, die jährlich über eine Million Touristen anzieht, eine neue Attraktion. Neben dem Sand Museum, in dem Skulpturen aus dem feinkörnigen Material zu sehen sind, ist nun ein Stück Architektur entstanden, das sich in seinem Design die berühmte Landschaft geliehen hat.
Text: Gertraud Gerst
Fotos: Kawasumi-Kobayashi Kenji Photograph Office