Zedern im 35. Stock
Stefano Boeri gilt als Pionier der biodiversen Architektur. In einem Vorort von Lausanne entsteht mit dem Torre dei Cedri ein weiteres seiner spektakulären Hochhäuser. In diesem vertikalen Wald wachsen 80 Bäume.
Die städtischen Ballungszentren dieser Erde verbrauchen 75 Prozent aller natürlichen Ressourcen. Gleichzeitig entstehen hier 70 Prozent der globalen CO₂-Emissionen. Die Bäume und Wälder dieses Planeten absorbieren jedes Jahr an die 40 Prozent aller Emissionen aus fossilen Brennstoffen. Das heißt, mehr Bäume und Pflanzen in den Städten helfen dabei, die Luft zu reinigen, CO₂- Emissionen zu senken und die Biodiversität zu steigern. So lautet die Prämisse zum Urban Forestry Manifest von Stefano Boeri.
Der vertikale Wald
Der Mailänder Architekt hat es sich zum Ziel gesetzt, die Städte grüner zu machen und gilt als Vordenker der biodiversen Architektur. Seine Vision geht über die simple Fassadenbegrünung hinaus und schafft eine neue Art der Verschränkung von gebauter Umwelt und Natur. Mit seinen bewaldeten Hochhäusern erlangte er internationale Bekanntheit. Als Prototyp gilt der Bosco Verticale in Mailand, ein Hochhaus-Komplex mit zwei Türmen, auf dem 900 Bäume und an die 2000 verschiedene Pflanzen wachsen.
Die Hauptbewohner dieses Hauses sind – neben oder sogar vor dem Menschen – die Zedern.
Stefano Boeri, Architekt
Ein weiterer Vertreter von Boeris vertikalem Wald entsteht derzeit in Chavannes-Près-Renens nahe der Schweizer Stadt Lausanne. Das Projekt trägt den Namen La Torre dei Cedri, zu Deutsch Zedernturm, und entsteht in Zusammenarbeit mit dem Architekten Marco Bernardini. „Die Hauptbewohner dieses Hauses sind – neben oder sogar vor dem Menschen – die Zedern“, heißt es vonseiten des Architekturbüros Stefano Boeri Architetti über den 117 Meter hohen Wohnturm.
Die Zeder trotzt dem Klimawandel
Diese Baumart hat eine hohe Widerstandskraft gegenüber klimatischen Veränderungen, da sie sehr wärme- und trockenheitstolerant ist. Im Zuge der Klimaerwärmung setzen Städteplaner in Zentraleuropa vermehrt auf exotische Bäume im urbanen Grünraum. Der Grund dafür ist, dass viele der heimischen Arten die sommerliche Hitze in der Stadt nicht mehr ohne Bewässerung überstehen.
Insgesamt werden an der Fassade über 80 Bäume von drei verschiedenen Zedernarten gepflanzt. Zusammen mit den Sträuchern und anderen Pflanzen ergibt sich eine gesamte Grünfläche von rund 3.000 Quadratmetern. Ähnlich wie beim Ausgangsprojekt in Mailand werden die Bäume in tiefe Betonwannen gepflanzt. Damit sie Wind und Stürmen standhalten können, befinden sich am Boden der Wannen Gitter, an denen die Wurzeln zusätzlich Halt finden.
Pflanzen verbessern das Mikroklima
Die überdimensionalen Töpfe der Bäume sind Teil der Außengestaltung, die dem Prinzip der aufgelösten Fassade folgt. Die Architekten beschreiben das Design wie folgt: „Das Gesamtvolumen des Turms ist durch eine Serie an auskragenden Elementen geprägt – wie den Loggias, die unterschiedlich lang und übereinander gestapelt sind. Dieses Arrangement integriert die gigantischen ‚Töpfe‘ und belebt die Fassade, indem die strenge vertikale Anordnung der Stockwerke aufgebrochen wird.“
Das Gesamtvolumen des Turms verfügt über eine Serie an auskragenden Elementen wie den Loggias, die unterschiedlich lang und übereinander gestapelt sind.
Stefano Boeri, Architekt
Die Bepflanzung an der Fassade des Torre dei Cedri hat neben der Bindung von CO₂ viele weitere Vorteile. Zum einen entstehen neue Lebens- und Nahrungsräume für Insekten und Vögel. Zum anderen verbessern die Pflanzen das Mikroklima in den Wohnungen und auf den Terrassen. „Dadurch wird die Lebensqualität der Bewohner verbessert und der Bezug zur Natur in einer städtischen Umgebung hergestellt“, erklären die Architekten.
195 Wohnungen für 400 Menschen
In den 36 Stockwerken des Zedernturms sind 195 Wohnungen geplant, an die 400 Menschen sollen in Zukunft hinter der bewaldeten Fassade wohnen. Bei der Nutzung setzen Architekten und Developer auf eine gute Durchmischung. Neben ganzen Bürogeschossen soll es im grünen Hochhaus auch ein Fitnesscenter und ein Restaurant geben.
Zwar fehlt es derzeit noch an entsprechenden Langzeitstudien zu dieser Art Häuser, aber Messungen in den Mailänder Türmen sollen die positiven Auswirkungen bestätigen. Die Luftqualität in den Wohnungen sei für die Gegend deutlich besser. Zudem hätten sich in der grünen Fassade bereits Vögel eingenistet, die man in der italienischen Metropole schon lange nicht mehr gesehen hat.
Text: Gertraud Gerst
Visualisierungen: Stefano Boeri Architects