„The Weaves“ verwebt Natur und Stadt (Bild: MVRDV)
#stadtplanung

Fein gesponnen wie Seide

Seoul wird bald um eine spektakuläre Erholungszone reicher. „The Weaves“, entworfen vom niederländischen Büro MVRDV, setzt eine verspielte, grüne Freizeitlandschaft ans Flussufer im Tancheon Tal – und verwebt damit Natur und Metropole auf innovative Art.

Das Konzept, mit dem das Architekturbüro MVRDV jüngst den Wettbewerb um die Neugestaltung von Seouls Tancheon Waterfront gewann, verspricht eine gigantische Erholungszone. Geplant ist ein verschlungenes Netz von Rad- und Fußwegen, die sich zwischen Wasser und Grün durch die Anlage winden. Mittendrin prangen elegant um-designte, neu genützte Teile stillgelegter Autobahnen. Dahinter thront die Skyline der südkoreanischen Hauptstadt. Kurzum: Das „The Weaves“ genannte Großprojekt „verwebt“ die Metropole mit Natur. Und zwar auf innovative, nachhaltige Art.

Ökologisch und verlockend

Die Wettbewerbsjury begründete ihre Wahl unter anderem mit der guten Balance zwischen Ökologie und kreativem Programm. MVRDVs Vorschlag biete eine hervorragende Strategie: „The Weaves“ schaffe Event- und Ruhezonen für die Städter. Und zwar solche, die unterschiedlichste Zielgruppen in die neue Anlage locken. Von Seouls Regierung in Auftrag gegeben, sollen die Bauarbeiten 2021 beginnen und 2024 fertiggestellt werden. 

Das Großprojekt „The Weaves“ wird Seouls Uferzone in einen modernen, nachhaltigen Park verwandeln. (Bild: MVRDV/Seoahn Total Landscape Architecture
Das Großprojekt „The Weaves“ wird Seouls Uferzone in einen modernen, nachhaltigen Park verwandeln.

Der 630.000 Quadratmeter Fläche umfassende Park liegt mitten in der Großstadt. Genauer gesagt: Zwischen dem ehemaligen Olympiastadion im Stadtteil Jamsil und dem schnell wachsenden Business-Viertel in Gangnam. Wo der Tancheon in den Han-Fluss mündet, dominieren derzeit Parkplätze und Autobahntrassen. Ein kilometerlanger Abschnitt des Tancheon-Flusses und ein großer Teil der Uferpromenade des Han werden durch das Design nun völlig neu gestaltet.

Erholung am renaturierten Fluss

„The Weaves“ soll drei tragende Elemente verbinden: Natürliche Ökosysteme, Bewegungsfreiheit für Fußgänger und ein öffentliches Programm, das Raum für Aktivitäten aller Art bietet. Schritt eins des Plans: Der Fluss soll wieder sanft durch die Landschaft mäandern. Seine jetzt unwirtlich harte Umgebung soll üppig grünen Ufern weichen und der zum geradlinigen Kanal regulierte Strom seine ursprüngliche Natürlichkeit zurückbekommen. 

„The Weaves“ verwebt Natur und Stadt. (Bild: MVRDV)
Verschlungene Wege, natürlicher Wasserlauf: MVRDVs Konzept webt ein verspieltes Netz aus Natur, Freizeitangebot und urbanem Leben.

MVRDVs Plan setzt auf sorgfältig gewählte, einheimische Vegetation. Wasserpflanzen sind dazu gedacht, die Grenze zwischen Land und Wasser zu verwischen. Zudem sollen Rückhaltebecken, Inseln und Reinigungsströme das gesunde Ökosystem der Uferpromenade wiederherstellen.

Als Projekt-Partner haben die Architekten lokale Spezialisten beigezogen: Das Seouler Studio NOW Architects und Seoahn Total Landscape Architecture tragen mit ihrer Expertise zur Umsetzung von „The Weaves“ bei.

Urbane Neugestaltung für mehr Lebensqualität: „The Weaves“. (Bild: Atchain)
Urbane Neugestaltung für mehr Lebensqualität: „The Weaves“.

„The Weaves“ verwebt Natur und Stadt. (Bild: Atchain)
Die neue, grüne Uferzone wird Stadt und Fluss verbinden.

Phase zwei des beeindruckenden Projekts ist die Entwicklung des Netzes gewundener, miteinander verbundener Wege. Diese sollen Fußgängern freien Zugang zur Uferpromenade eröffnen und den Besuchern die Vielfalt der Natur nahebringen.

Das Besondere daran ist, dass die Pfade nicht nur ebenerdig verlaufen. Oft überqueren sie andere in luftiger Höhe, überbrücken Wasser und Straßen, oder verbinden Fußwege auf erhöhter Ebene.

Nicht nur zu ebener Erde: „The Weaves“ macht Wege auch zu Brücken und „Dächern“, auf und unter denen sich Event-Plätze und andere Highlights finden. (Bild: MVRDV)
Nicht nur zu ebener Erde: „The Weaves“ macht Wege auch zu Brücken und „Dächern“, auf und unter denen sich Event-Plätze und andere Highlights finden.

Das Wege-Netzwerk integriert die vorhandene Infrastruktur des Geländes. Denn MVRDVs Entwurf änderte das Vorhaben der Stadt-Regierung, das Areal durchlaufende Autobahnabschnitte abzureißen: Manche der stillgelegten Trassen werden beibehalten, umgebaut und neu genutzt.

„The Weaves“ macht Autobahn zum Park

Eine Idee, die das renommierte Architekten-Team schon bei seinem Seoullo 7017-Projekt im Zentrum von Seoul erfolgreich realisiert hat. Und eine, die der berühmten New Yorker High Line ähnelt. Denn dort wurde – unter anderem nach Plänen des Büros Diller, Scofidio + Renfro – eine einstige Güterzugtrasse im Westen von Manhattan zu einer Parkanlage umgebaut.

„The Weaves“: Durchdachtes „Gewirr“ verschiedenster Pfade. (Bild: MVRDV)
Durchdachtes „Gewirr“. Ein Auszug aus dem Katalog zeigt, …

Auszug aus dem Katalog der vielen Pfad-Varianten des „The Weaves“ Projekts. (Bild: MVRDV)
… wie bunt und vielfältig die Wege „The Weaves“ gestalten werden.

Das Konzept der verwobenen Wege ist zugleich der Schlüssel zum vielseitigen Angebot des Parks. Die Pfade überlappen, steigen, fallen, kreuzen, teilen und drehen sich. Dadurch schaffen sie Plätze und Aussichtspunkte, führen zu Amphitheatern, Cafés und anderen Annehmlichkeiten. Das Ergebnis ist ein öffentlicher Park mit einem außergewöhnlichen, dreidimensionalen Charakter.

„The Weaves“ verwebt Natur und Stadt. (Bild: MVRDV)

„The Weaves“ verwebt Natur und Stadt. (Bild: MVRDV)

„Seoul unternimmt erstaunliche Schritte, um graue, veraltete Infrastruktur in lebendige grüne und soziale Räume zu verwandeln“, lobt MVRDV-Gründungspartner Winy Maas.

Mit der Entscheidung für „The Weaves“ werde auch ein Stück lokaler Identität wiederbelebt. Schließlich lässt sich der Name des Projekts mit „Gewebe“ übersetzen. Und der Stadtteil Jamsil ist als historisches Zentrum für Seidenproduktion bekannt.

Fein gesponnen, wie einst vor Ort die Seide

Das Design der neuen Parkanlage erinnert spielerisch an vergangene Zeiten, in denen vor Ort noch seidene Fäden zu kunstvollen Stoffen verwoben wurden. Maas: „Es wird zu einem ineinander verschlungenen Gedicht, in dem Bewegung zur Landschaftspoesie wird.“

„The Weaves“ verwebt Natur und Stadt. Elegante Pfade „greifen“ wie Finger in den Fluss. (Bild: MVRDV)
Elegante Pfade „greifen“ wie Finger in den Fluss.

Ein Highlight von „The Weaves“ ist die Fußgängerbrücke, die das Viertel Gangnam mit dem Olympiapark verbindet. Ein Bündel von Pfaden erhebt sich über den Fluss. Die Wege bilden dort eine Kreuzung mit Aussichtsplattform, kleiner Tribüne und Medien-Etage. Zudem mündet die Brücke in einen Pfad, der am Olympiastadion vorbei führt und sich bis zum „Tree Pier“ schlängelt, wo wiederum mehrere Wege wie Finger in den Han-Fluss greifen.

„The Weaves“ verwebt Natur und Stadt. (Bild: Atchain)

Nicht minder spektakulär sind weitere, integrierte Elemente wie der Event Dome: Mehrere erhöhte Kreuzungspfade formen einen darunterliegenden, halbüberdachten Veranstaltungsraum.

An anderer Stelle lockt der Familienspielplatz, auf dem der Weg sich in viele Linien zerstreut, die Kletteranlagen, Bänke und Tierfiguren bilden. Und an einem Abschnitt, am Seoul Water Path, „schreiben“ die Wegschleifen das Wort „Seoul“ über den Han-Fluss.

Im „The Weaves“ können Besucher übers Wasser gehen. Der Pfad, der's möglich macht, „schreibt“ den Namen der Metropole in den Fluss. (Bild: MVRDV)
Im „The Weaves“ können Besucher übers Wasser gehen. Der Pfad, der’s möglich macht, „schreibt“ den Namen der Metropole in den Fluss.

Eine alte Autobahnrampe entlang der Westseite des Tancheon wird in eine erhöhte Grünzone umgewandelt und mit dem Wegenetz verbunden. Und ein Abschnitt, der die Mündung des Tancheon überquert, wird zum Teil erhalten, um Platz für einen Radknotenpunkt zu schaffen.

Moderne, grüne Wunderwelt

Dass das Team von MVRDV darin erfahren ist, Natur in Großstädte zu holen, ist bekannt. Aktuell lässt sich dies anhand anderer, beeindruckender Projekte in Shenzhen und Eindhoven belegen. Wobei: „The Weaves“ ist ein ganz eigenes Projekt, dessen verspieltes Konzept mit vielen Überraschungen aufwartet. Das große Ziel: Ein Park, der seinen Besuchern erstklassige Erholung mit vielen Highlights bietet. Eine grüne, zu Fuß oder per Fahrrad bequem erkundbare Wunderwelt, die Südkoreas Hauptstadt ein großes Stück Natur ins Herz pflanzt und ihren Bewohnern mehr Lebensqualität verspricht.

Text: Elisabeth Schneyder
Bilder: MVRDV, Atchain,  MVRDV/Seoahn Total Landscape Architecture  

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