Faszinierende Schichtarbeit
Ein Schicht-Konzept sorgt beim Mischnutzungsgebäude The Vibes für interessante Übergänge von außen nach innen. Gleichzeitig erreichte Infinitive Architecture damit ein angenehmes Raumklima, optimale Lichtverhältnisse und die Verringerung des Energieverbrauchs.
Ho-chi-minh City in Vietnam kennen viele Menschen noch unter dem alten Namen Saigon. Nach den politischen Umwälzungen trat Ho-chi-minh im Jahr 1975 nicht nur den alten Namen sondern auch den Status als Hauptstadt ab. Dennoch ist Ho-chi-minh – vor Hanoi – mit rund 9,5 Millionen Bewohnern immer noch die größte Stadt der sozialistischen Republik. Und sie ist auch das wirtschaftliche Zentrum des langgestreckten Landes in Südostasien.
Von der Lage her gehört Ho-chi-minh der Vegetationszone der Savannen an, mit tropischem bis subtropischem Klima. Das bedeutet durchschnittliche Tagestemperaturen höher als 30 Grad Celsius – das ganze Jahr über. Architekten tun gut daran, diesen Umstand bei Neubauten zu berücksichtigen.
Bioklimatisches Mixed-Use-Gebäude
Dem hat das lokale Studio Infinitive Architecture mit dem Entwurf zum Multifunktionsgebäude The Vibes gut entsprochen. Die Sehnsucht der Städterinnen und Städter, der Hitze und Enge – und dem Verkehr – der City zu entkommen, ist verständlicherweise groß. Für die arbeitende Bevölkerung ist die Mittagspause in einem klimatisierten kleinen Büro vielfach die Norm. Hier setzt The Vibes einen wohltuenden Kontrapunkt.
Nachhaltige oder bioklimatische Häuser sind so konzipiert, dass sie optimale Wohn- oder Nutzungsbedingungen bieten und gleichzeitig die Umweltbelastung minimieren sowie den Energieverbrauch reduzieren. Dabei wird nicht nur beim Bau, sondern auch bei der Bewirtschaftung auf die optimale Nutzung der natürlichen Ressourcen geachtet.
Insgesamt ist das Projekt des Eigentümers und Bauherrn The Vibes Co. Ltd. auch ein Beispiel für den Versuch, der Stadt beziehungsweise dem Viertel einen funktionalen, angenehmen Bereich zu schenken, ohne ein großes Grundstück zu beanspruchen beziehungsweise ohne die vorhandene Fläche übermäßig zu bebauen.
The Vibes: Arbeiten, Entspannen, Feiern
Das Zentrum dient einerseits als Co-Working-Space und Business Meeting-Treffpunkt. Andererseits befinden sich auf den rund 1.300 Quadratmetern Fläche im The Vibes Räumlichkeiten für Galerien, Veranstaltungen, Kurse und Workshops.
Im Untergeschoss des vierstöckigen Gebäudes sind zudem gastronomische Angebote vorhanden. Mitten im Stadtzentrum von Ho-chi-minh steht den Bewohnern nun ein Ort zum Arbeiten, Entspannen und zum Feiern zur Verfügung.
The Vibes sei mit der Vision gegründet worden, avantgardistische, biophile Büros zur Verfügung zu stellen, heißt es beim Bauherrn und Betreiber The Vibes Co. Ltd. „Unsere Hubs sind ein großartiger Ort, sowohl um zu arbeiten und Kontakte zu knüpfen als auch um zu entspannen.“
Tatsächlich findet sich einiges in The Vibes, um zu entschleunigen: Neben den Gärten sind Duschen und Saunen vorhanden, ein Power-Nap lässt sich in den eigens dafür angelegten „Pods“ halten.
Sanfte Übergänge von außen nach innen
Obwohl es sich um einen Flachbau handelt, weist das Projekt eine Vielzahl von Frei- und Grünflächen auf, sodass im verdichteten, städtischen Gebiet nahe des Saigonflusses eine ruhige und friedliche Resortatmosphäre geschaffen wurde. Dies schien umso wichtiger, als sich das Gebäude in einer engen Wohnstraße befindet. Infinitive Architecture war es daher wichtig, einen guten Übergang von der Wohngegend zum Arbeitsumfeld zu kreieren.
Vor diesem Hintergrund schlug Infinitive Architecture einen Mehrzonen-Masterplan vor. „Die Hauptfassade befindet sich im Inneren, am zentralen Garten. Der Vorgarten setzt die Außenfassade in einem angemessenen Abstand zurück. So entsteht eine Art Pufferzone. Zum Foyer gelangt man über diese verschiedenen Phasen, den Vorgarten, den schattigen Eingangsbereich und den zentralen Garten.“
Schicht-Konzept mit begrünten Fassaden und Bambus
Die Architekten haben die Außenhaut des Gebäudes so gestaltet, dass die Nutzer und Gäste von The Vibes schrittweise von außen nach innen, in eine ruhige, grüne Oase gleiten. Eine Sichtschutzwand aus mit Rankhilfen angebrachten Kletter- und Schlingpflanzen hebt die Grenzen zwischen Innen und Außen auf.
Die „Mandevilla“, eine tropische, zur Gattung Dipladenia gehörende Kletterpflanze mit farbenfrohen Blüten, spielt die Hauptrolle. Sie bildet den Eingang zum Innenraum. Von diesem Eingangstor an der Vorderseite aus kann der Blick zum Innenhof wandern.
Im Inneren bewegt man sich über eine Kombination aus Übergangsbereichen und vertikalen Verkehrswegen und Korridoren. Diese Planung sorgt so auch für allmähliche Übergänge der Temperaturen. Die Platzierung eines großen Wasserspiels, das etwa ein Fünftel der Gartenfläche einnimmt, verbessert das Mikroklima in den Außenbereichen. Zur Kühlung trägt zudem das abgehängte Dach mit einer Fläche von mehr als 200 Quadratmetern als schattiger Pufferraum zu den darunter liegenden Räumen bei.
Große Laubbäume in der Lobby
In der acht Meter hohen Lobby haben sogar große Laubbäume Platz. Sie spenden Schatten und Kühle und stellen auch einen Übergang zum Hofgarten her. Kletter- und Hängepflanzen auch zwischen den offenen Aufenthaltsräumen und bei den Korridoren dienen als Raumteiler.
Insgesamt haben die Nutzer des Gebäudes das Gefühl von viel Grün und viel Frische. Der hohe Grad an Begrünung und Bepflanzung bringen dem Gebäude die gewünschte, angenehme Kühle. Alle öffentlichen Räume sind natürlich belüftet. Aber die Pflanzen haben natürlich auch eine positive Wirkung auf das Gemüt.
Die Methode der Kühlung per Flower Power hat auch Architekt Vo Trong Nghia beim Chicland Hotel im vietnamesischen Da Nang hervorragend umgesetzt.
Bemerkenswert beim The Vibes sind außerdem die Schichten aus acht Meter hohen Bambus-Spalieren. Gemeinsam mit den Glasfassaden umschließen sie die Innenräume. Sie fungieren als „Sonnenschutzschirme“ und reduzieren den Wärmeeintrag ins Gebäude. Gleichzeitig erhalten die Arbeitsbereiche durch die „Überschneidungen“ mit dem Außenbereich viel natürliches Licht, was den Energiebedarf minimiert.
Die Idee der Schichten schafft eine Art Semitransparenz. So bleibt die Privatsphäre zwischen den einzelnen Nutzungsflächen gewahrt.
The Vibes stellt für uns ein Experiment dar, bei dem die Architektur auch durch Bewegung und Klang umgesetzt wird.
Infinitive Architecture
Die Bambusschicht interagiert auch mit den mattierten Mustern auf den Trennwänden. Dies führt zu einem interessanten visuellen Moiré-Effekt im gesamten Innenraum.
Leise Windspiele
Doch bei den optischen Spielereien allein hat es Infinitive Architecture nicht belassen: Bei einer leichten Brise erzeugen die Bambusstäbe leise Töne, ähnlich wie jene des Schlagwerks „T’rưng“. Das ist das traditionelle vietnamesische Bambus-Xylophon. „Ein Experiment, bei dem die Architektur auch durch Bewegung und Klang umgesetzt wird“, wie es bei Infinitive Architecture heißt.
Mit den gestalterischen Elementen scheint das Gebäude mit dem städtischen Raum und dessen Parks zu verschmelzen. Im Innenhof ist es still, der Verkehrslärm weicht dem Zwitschern der Vögel und Zirpen der Zikaden, während der Wind durch den Bambus-Fassadenvorhang säuselt.
Umweltfreundliche Materialien
Bei den verwendeten Materialien hat sich The Vibes Co. Ltd. neben den pflanzlichen Sichtschutz- und Trennwänden für Porenbeton, Bambus und Glas entschieden. Porenbeton gilt als umweltfreundlicher und langlebiger Baustoff – zur Herstellung werden Quarzsand, Branntkalk, Wasser sowie geringe Mengen eines Treibmittels benötigt. Die Qualitäten des Baustoffs sorgen auch bei hohen Temperaturen oder einem feuchtwarmen Klima für eine angenehme Atmosphäre.
Bei den Möbeln hat Infinitive Architecture teils auf wiederverwertete und restaurierte antike Holzmöbel zurückgegriffen. Auch die Außenbänke sind aus recycelten alten Holzstämmen. Viele der Pflanzgefäße sind aus Stoff.
Bewahrung des kulturellen Erbes
Während das Erdgeschoss vor allem Gastronomie beherbergt, sind die Büros, Co-Working-Spaces und Meeting-Räume im ersten und zweiten Obergeschoss untergebracht. Ganz oben sind die Räumlichkeiten und auch Teile des Dachgartens der darunter liegenden Ebene für jegliche Art von Kultur-, Bildungs- und Vortrags-Tätigkeit gedacht. Es findet sich sogar eine kulturgeschichtliche Galerie, die für die breite Bevölkerung zugänglich ist.
Die Deckengestaltung ist von der asiatischen Faltkunst Origami inspiriert. In Permanenz erinnert eine Installation an der Fassade der „Heritage Gallery“ aus mehr als 3.000 Stück rund 160 Jahre alter Tondachziegeln an eine der ältesten noch bestehenden Kirchen der Stadt.
Es ist daran gedacht, regelmäßig Ausstellungen fotografischer Exponate, von Gemälden und Karten über das alte Saigon stattfinden zu lassen – als Beitrag zur Erhaltung des kulturellen Erbes in Vietnam.
Über Infinitive Architecture
Infinitive Architecture mit Sitz in Ho-Chi-Minh wurde 2008 gegründet. Bisher hat das Design- und Architekturbüro Projekte in den Bereichen Gewerbe, Golfclubs, Gastronomiebetriebe, Wohnen, sowie Eventveranstaltungsorte realisiert.
Mit den Jahren hat sich Infinitive Architecture zunehmend „Healthy Building“-Konzepten verschrieben und auf umweltfreundliche Baustoffe und Konstruktionen gesetzt. „Der einfache Zugang zu Grünflächen und das Erbe traditioneller Werte im Architekturdesign stehen bei unseren Arbeiten im Vordergrund.“
Text: Linda Benkö
Fotos: Infinitive Architecture