Eine Dosis Mid-Century-Destillat
Wie sehr es sich lohnt, Nachkriegsarchitektur nicht abzureißen, sondern weiterzubauen, zeigt der Wiener Ableger der britischen Hotelkette The Hoxton. Dank der Transformation durch BWM Architekten läuft der einstige Sitz der Wirtschaftskammer zur Höchstform auf.
Die Geschichte der britischen Hotelkette The Hoxton begann im Jahr 2006 im Londoner East End, wo auf einem Parkplatz an der Great Eastern Street der Prototyp eines neuen Hotelkonzeptes entstand. Anstatt auf die Reproduzierbarkeit eines Signature-Looks für die neue Kette zu setzen und ein schickes, einheitliches Design-Konzept zu generieren, lieferten die Gründer mit The Hoxton, Shoreditch eine Blaupause für das Open House Hotel, wie sie es nennen. Ein Konzept, das auf der kulturellen, geschichtlichen, architektonischen und sozialen Identität eines Ortes beruht, zusammengeköchelt auf ein atmosphärisches Destillat, das den Hotelgästen in unterschiedlichsten Formen und Dosen verabreicht wird.
Sei es über ausgesuchte Möbel mit Geschichte, eine Eventschiene der lokalen Kreativszene bis hin zu Bücher- und Städtetipps von Einheimischen. Und ganz zentral: Eine Lobby, die allen offen steht. Die andauernde Überschneidung mit den Locals öffnet das Hotel nach außen und bietet mit seiner ortsbezogenen Identität – dem sogenannten Genius Loci – möglicherweise eine Art Gegenentwurf zur boomenden Privatvermietung auf Airbnb und Co.
Ein Nachkriegsbau unter Denkmalschutz
Es folgten weitere Ableger in Europa und Übersee, vorzugsweise in charaktervollen Bestandsbauten, die transformiert, umgenutzt und mit ortsspezifischem Flair versehen wurden. So etwa eine ehemalige Telefonzentrale im Londoner Stadtteil High Holborn, ein prunkvolles Palais aus dem 18. Jahrhundert in Paris oder das einstige Hauptquartier der L.A. Railways in Los Angeles. Im April 2024 kam mit dem ehemaligen WKO-Gebäude im dritten Wiener Gemeindebezirk ein Nachkriegsbau hinzu, der in seiner neuen Nutzung brilliert und fortan für die Nachwelt erhalten bleibt.
Lange Zeit war die Wiener Nachkriegsarchitektur ein ungeliebtes Erbe, für dessen Erhalt es weder Fürsprecher noch denkmalrechtliche Richtlinien gab. Zahlreiche Bauten der umfassenden Werkliste des Architekten Carl Appel, darunter das Steyrhaus am Kärntner Ring und das ehemalige Haas-Haus am Stephansplatz, wurden ohne merklichen Widerspruch geschliffen. Das nun transformierte und zwischen 1952 und 1954 nach seinen Plänen erbaute Gewerbehaus der Wirtschaftskammer hat man dagegen 2020 unter Denkmalschutz gestellt. Im oftmals leichtfertigen Umgang mit dem gebauten Erbe der Mid-Century-Ära scheint ein Umdenken stattzufinden.
Ein vererbter Ort mit Charakter
Wie sehr sich das lohnt, das zeigt sich schon beim Betreten des neuen Hotels The Hoxton Vienna, das in direkter Nachbarschaft zum Stadtpark liegt. Die zweistöckige Lobby mit dem originalen Terrazzoboden und den Travertin-verkleideten Wänden wurde mit handverlesenen Vintagemöbeln bestückt. Für das Interior zeichnet AIME Studios verantwortlich, das sich sowohl an Carl Appels Ästhetik als auch an der Wiener Werkstätte anlehnte.
Statt in standardisiertem Pflanzdesign kommen die Mid-Century-tauglichen Schwiegermutterzungen und umrankten Kokosstäbe in individuellen Töpfen daher, als hätte man sie im Privaten über Jahre gehortet. Der Empfangsbereich mit der hohen Glasfassade zum Rudolf-Sallinger-Platz hin versprüht insgesamt so viel Charakter, wie es einem Neubau niemals gelingen würde.
Für uns ist es immer wichtig, dass atmosphärische und kulturelle Werte vorhanden sind. Selbst ein Nachkriegsgebäude stellt einen Wert für die Generationen danach dar.
Markus Kaplan, Architekt und Partner bei BWM
„Für uns ist es immer wichtig, dass atmosphärische und kulturelle Werte vorhanden sind. Selbst ein Nachkriegsgebäude stellt einen Wert für die Generationen danach dar. Auch wenn das nicht zu jedem Zeitpunkt erkannt wird“, räumt Markus Kaplan ein. Er ist zuständiger Architekt und Partner bei BWM Designers & Architects, das den adaptiven Re-Use im Auftrag von JP Immobilien umgesetzt hat. Das Architekturbüro mit Sitz in Wien beschäftigt sich seit vielen Jahren hauptsächlich mit dem Bauen im Bestand, in vielen Fällen auch unter den strengen Auflagen des Denkmalschutzes.
BWM ist die Transformation eines ehemaligen Priesterwohnheims in das Wiener Hotel Magdas ebenso zu verdanken wie die Wiederbelebung so manchen verwaisten Kurhotels in Bad Gastein. Dass der Bestandsbau der Wiener Wirtschaftskammer heute das Siegel „erhaltenswert“ trägt, ist auch zum Teil ihr Verdienst. Als Teil eines Arbeitskreises entwickelten sie nämlich für die Städte Wien und Brünn eine eigene Bewertungsmethodik für die vielfach verschmähte Nachkriegsarchitektur.
Dem Original verpflichtet
Bei der architektonischen Umplanung fühlte man sich jedenfalls „dem Original verpflichtet“. Die ursprüngliche Natursteinfassade hat man in ihrer Materialität und Tektonik – samt plastischer Vor- und Rücksprünge – wiederhergestellt.
Das Dachgeschoss, das in den 1980er-Jahren um einen Aufbau erweitert wurde, befindet sich heute wieder in seinem ursprünglichen Zustand, wie Architekt Carl Appel ihn einst im Sinn hatte. Die neue Rooftop Bar samt Außenpool ist allgemein zugänglich und demokratisiert diesen exklusiven Ausblick über die Wiener Innenstadt.
Wir konnten hier besonders nachhaltig agieren und 196 Zimmer mit wirklich geringem ökologischen Fußabdruck errichten.
Markus Kaplan, Architekt und Partner bei BWM
Anstatt das bestehende Auditorium für eine andere Nutzung zu adaptieren, wurde es erhalten und mit einem eingeschossigen Baukörper nachverdichtet. Für die Hotelkette ist diese große Event-Location ein Novum und „ein echter Meilenstein in der Hox-Geschichte“, wie sich auf der Website nachlesen lässt. Auch sonst hat man auf unpersönliche Konferenzsäle verzichtet. Stattdessen bietet das Hotel mit The Apartment drei individuell eingerichtete Räume mit Wohnatmosphäre und einer offenen Küche.
Klimaschonende Ressourcenbilanz
Beim Bauen im Bestand geht es heute neben dem Erhalt eines identitätsstiftenden Erbes immer auch um eine möglichst klimaschonende Ressourcenbilanz. Denn die Umnutzung von bereits bestehender Bausubstanz trägt dazu bei, dass die graue Energie darin erhalten bleibt und weniger neue Emissionen bei der Schaffung von Nutzfläche entstehen. „Wir konnten hier besonders nachhaltig agieren – der Bestand wurde von einem Bürogebäude in ein Hotel umgebaut, ohne dabei massiv an Kubatur schaffen zu müssen. 196 Zimmer konnten mit wirklich geringem ökologischen Fußabdruck errichtet werden,“ führt Kaplan dazu aus.
Auf den Travertinplatten in der Lobby ist heute noch die originale Inschrift der vormaligen Bauherrschaft zu lesen. Ein Zeugnis davon, wie Alt und Neu im Design Hotel The Hoxton eine ungezwungene Einheit bilden. Es scheint, als hätte das Gebäude erst mit seiner neuen Nutzung zu seiner wahren Bestimmung gefunden. Und obendrein trägt das Re-Use-Projekt zum Erhalt jenes reichen kulturellen Erbes bei, für das Wien über seine Grenzen hinaus bekannt ist.
Text: Gertraud Gerst
Fotos: BWM Designers & Architects / Ana Barros