Das Hotel fällt nicht weit vom Stamm
Adel verpflichtet. Der Name aber auch. Im Falle des neuen Londoner The BoTree Hotels stand der Bodhi-Baum Pate, unter dem Buddha die Erleuchtung erlangt haben soll. Concrete Amsterdam entwarf ein ent- wie ansprechendes Interior-Design für das Fünf-Sterne-Haus.
An der Straßenecke Marylebone Lane und Henrietta Place, dort wo die Londoner Stadtteile Marylebone, Mayfair und Soho aufeinandertreffen, steht seit kurzem eine neue 15.000-Quadratmeter-Luxusunterkunft: The BoTree Hotel der Shiva-Gruppe. Links prägen dunkle, filigrane Ziegel, rechts heller, robuster Beton und Naturstein die Straßenansicht. Durchbrochen wird die nüchterne Fassade durch stark abstrahierte Bay-Windows, die die Stilelemente der umgebenden historischen Gebäude aufnehmen – auch wenn sie weniger optisch denn vielmehr in ihrer Funktion an viktorianische Erkerfenster erinnern. So weit, so wenig ungewöhnlich für einen Hotel-Neubau in Londons Zentrum, der nicht ganz aus der gewachsenen Häuserreihe tanzen will. Doch findet sich zwischen den beiden 2023 von EPR Architects fertiggestellten Gebäudeteilen ein Portal in eine andere Welt.
Vorhang auf
Ob das Design des Eingangs wohl Besucher des Hotels auf das dahinterliegende Interior-Erlebnis vorbereiten will? Jedenfalls ist er wie ein aufgezogener Vorhang gestaltet. Die Inspiration lieferte der Bodhi-Baum, auch Buddha-Feige genannt. Er gilt als der heiligste Baum der Buddhisten. Ältere Vertreter der Gattung bilden teils riesige Luftwurzelgeflechte, die sich um den Stamm legen. Und ein eben solches Geflecht zieht sich nun über dem Eingang in Richtung Himmel und gab damit The BoTree Hotel nicht nur seinen Namen, sondern auch ein Programm.
Das markante Bronzegitter „wächst“ über die gesamte Gebäudehöhe nach oben. Und während es in den oberen der insgesamt 14 Etagen Privatsphäre für die dahinterliegenden Balkone der Zimmer und Suiten bietet, teilt sich das Gitter unten, um Gäste einzulassen und Passanten einen Blick in die Lobby zu gewähren. Mit Blumen und Grün berankt – womit die für das Marylebone-Viertel typische Begrünung aufgegriffen wird –, erhält der Hoteleingang zudem das Potenzial, auch als südliches Tor zum Village wahrgenommen zu werden und zu dessen Erkundung einzuladen. Wenn man es denn schafft, das Hotel auch zu verlassen …
Hotspot auch für Locals
Denn es gibt viele gute und vor allem schöne Gründe, seine Zeit in London einfach in The BoTree Hotel zu verbringen. Dafür hat Concrete Amsterdam gesorgt. Das multidisziplinäre Innenarchitekturstudio mit Sitz in einem Grachtenhaus mitten im Amsterdamer Rotlichtviertel entwickelt nämlich seit 1997 innovative Konzepte, die die traditionellen Grenzen der Gestaltung sprengen. So auch hier in der UK-Hauptstadt, wo die Planer nicht nur das Interior-Design der Zimmer des Fünf-Sterne-Hauses entworfen haben, sondern auch jenes der Lobby und der BoTree Bar.
Die Kern-Idee der Innenarchitektur? Die Atmosphäre des Stadtviertels in das Gebäude hineinzuholen. „Marylebone ist stylisch, chic und einfach charmant. Es gibt hier viele kleine, individuelle Boutiquen – vom Bürstenladen über den Marmeladen-Shop bis hin zum Geschäft für Schleifen und Bänder“, erzählt Projektleiterin Melanie Knüwer. „Im Viertel fallen zudem immer wieder Bepflanzungen auf, die sich an Laternen, Zäunen oder Hauseingängen emporranken. Wir wollten den durch Mode und Blumen geprägten Charme des Stadtteils in unserem Design widerspiegeln und so einen Ort kreieren, der auch Einheimische anzieht.“
Bar mit Pfau-Effekt
Dies ist vor allem durch die BoTree Bar gelungen. Sie ist nämlich nicht nur für Hotelgäste zugänglich, sondern verfügt auch über einen eigenen Eingang von der Straße. Allabendlich kommen nun auch die Anwohner auf dem Weg vom Büro nach Hause vorbei, und genießen neben dem After-Work-Drink auch das „Sehen und gesehen werden“-Flair. Als fancy Rahmen dafür schuf Concrete ein von Pfauenfedern inspiriertes Interior. Sehr passend – kann man diese Designwahl doch durchaus als kleine Anspielung auf das Sich-zur-Schau-stellen der Gäste sehen.
Das Pfauenfedermotiv zieht sich durch den gesamten Raum – nicht nur mit der Farbgebung in Blau-Grün-Tönen. Abstrakt reflektiert wird es auch in der Decke, durch große runde Leuchten und sich verjüngende Rippen. Und der handgefertigte Terrazzoboden mit Messingprofilen greift das Muster ebenfalls auf.
Bei Tageslicht strahlt die Bar ein warmes, einladendes Licht aus, am Abend ist sie in Petrol- und Rottöne getaucht, was eine noch intimere Atmosphäre schafft. Eine beleuchtete Rückwand als Teil des dynamischen Beleuchtungssystems dient als Hintergrund für eine eklektische Ausstellung von Artefakten, die sorgfältig ausgewählt wurden, um das Ambiente und den Charme der Bar zu unterstreichen. Der Bartresen selbst – eine maßgefertigte Platte aus grünem Marmor – ist mit speziell entworfenen Tischlampen bestückt. Strategisch platzierte Spiegelwände erweitern zudem die räumliche Wahrnehmung und schaffen die Illusion von Tiefe.
Von Kunst empfangen
Hotelgäste betreten The BoTree Hotel in der Regel aber natürlich durch den schon beschriebenen Eckeingang unter dem Bronzebaum. So landen sie zunächst in der Lobby. (Leder-)Sofas in Naturtönen wurden hier mit farbenfrohen Designklassikern kombiniert. Hinterleuchtete Regale, die sich um eine zentrale Säule winden, werfen einen warmen, laternenartigen Schein in den Raum. Und an der runden Credenza-Bar werden den Gästen Begrüßungsgetränke oder lokale Tees angeboten.
Der wahre Hingucker ist aber eine geschwungene Wandinstallation mit Schwenkfunktion. Die einzelnen Dreiecke können manuell gedreht werden. So verändert die Installation ständig ihre Gestalt. Am Morgen ist sie Spiegelwand, am Abend ein Bild und dazwischen fungiert sie als Vitrine für Exponate lokaler Künstlerinnen und Künstler. Um die Geschichten hinter den ausgestellten Kunstobjekten zu beleuchten, wurde in der Lobby zudem ein spezieller Bereich eingerichtet, der die Künstler vorstellt.
Lobby oder doch Wintergarten?
Weiter hinten in der Lobby trennt ein ähnliches Element den Ankunftsbereich vor den Aufzügen ab. Hier allerdings bestehen die drehbaren Teile aus bernsteinfarbenem Glas-Paneelen – für warme Lichteffekte. Ansonsten wird die Atmosphäre in der Lobby von Pflanzen geprägt. Sie erinnert deshalb auch eher an einen großen Wintergarten oder eine Orangerie. Passend dazu setzten die Interior-Designer auf dunkelgrüne Keramikfliesen für den Boden, die von natürlichem Marmor kaum zu unterscheiden sind. Auch sonst dominieren warme Grüntöne das Farbschema, erweitert um Cognacfarben und Rottöne, die dem Raum eine gemütliche Note verleihen und die natürlichen Materialien optisch perfekt ergänzen.
Apropos natürliche Materialien: Holzlamellen, die sich vom Boden bis zur Decke erstrecken, sind entlang einer geschwungenen Linie angeordnet und schaffen einen natürlichen Fluss durch die verschiedenen Bereiche. In den Pflanzbehältern eingebaute Strahler setzen sowohl die üppige Flora als auch die holzvertäfelte Decke in Szene, die – wie die vor den Wänden sitzenden Rippen – aus Eiche gefertigt ist. Elegant wurde die Lüftungstechnik in schmalen Schlitzauslässen parallel zu den Fugen der Holzdecke untergebracht.
Verschiedene Bedürfnisse
Eine bequeme Sitzecke entlang des Fensters, die eher an ein Wohnzimmer als eine Lobby erinnert, steht für das Erledigen der Formalitäten bereit. Ist das Einchecken vollzogen, wird der Gast auf sein Zimmer geleitet. Nicht unbedingt vom Personal, den Job erledigt nämlich auch schon die Architektur alleine ganz gut. Der Dank gebührt einer „kuratierten Anordnung der verschiedenen Zonen und Räume, in denen der Gast auf natürliche Weise seinen Weg findet“, so Melanie Knüwer.
Sein Weg führt ihn dann in eines von insgesamt 199 buchbaren Zimmern. 30 davon sind Suiten, 56 Interconnecting-Zimmer, 20 barrierefreie Unterkünfte. Zudem können einige Suiten zusammengelegt werden. Etwa jene wie ein Tortenstück geformten Balkon-Räume über dem Hoteleingang. Diese können in einigen Etagen sowohl der einen als auch der anderen Suite zugeordnet werden.
Es ist eine für ein neues Hotel sicher ungewöhnliche Diversifikation, doch damit wird man den unterschiedlichsten Bedürfnissen der Reisenden bestens gerecht. Während die Suiten mit bis zu 80 Quadratmetern (Präsidentensuite) alle Ansprüche von luxusverwöhnten Gästen erfüllen, sind die regulären Zimmer auch für schmalere Wochenend-Citytrip-Budgets noch erschwinglich.
Gefühlte Großzügigkeit
Mit 24 Quadratmeter sind Letztere für ein Fünf-Sterne-Haus recht klein. Zumindest auf dem Papier. Das innovative, offene und anpassungsfähige Layout, das sich über traditionelle Grenzen hinwegsetzt, lotst den Gast beim Betreten des Zimmers durch eine „Privatsphärenschleuse“ im Stil eines Wohnhauses. Hinter dieser liegt ein Ankleideraum, der als Übergang zwischen Eingang und Schlafbereich dient und Reisenden das Gefühl gibt, ihr eigenes privates Refugium zu betreten. Durch transluzente Schiebeelementen, die nur im geschlossenen Zustand das Bad mit Ankleidezimmer und Kleiderschrank vom Schlafbereich abtrennen, wird der „gefühlte“ Raum deutlich größer und wirkt großzügig wohnlich. Die Milchglasfüllung der Schiebeelemente erinnert dabei an handgeschöpftes Japanpapier und kreiert den warmen Lichteffekt einer Laterne.
Ein weiterer „Raumwunderkniff“ sind die Bay-Windows, die charmant für die Erweiterung der Zimmer genutzt wurden: Ausgestattet mit Lesesesseln, Récamieren oder auch mal einem Schminktisch schaffen die Erker kleine Rückzugsinseln innerhalb des fließenden Grundrisses. Der Holzrahmen mit strukturierten Rippendetails und eine leicht abgesenkte Decke schaffen zudem einen schönen Rahmen für die Aussicht auf das lebendige Treiben im Stadtviertel.
Lokale Insipiration für The BoTree
Apropos Stadtviertel: Jede Suitenkategorie ist nach einer lokalen Straße benannt und hat einen eigenen Charakter. Im obersten Geschoss ist etwa die Decke der BoTree-Suite mit künstlichen Seidenblumen geschmückt, die eine bezaubernde Atmosphäre schaffen. Doch auch auf jeder anderen Etage kann man in Loft-Luxus, reicher Handwerkskunst und der Liebe der Designer zum Detail schwelgen.
Denn eines eint nicht nur alle Suiten, sondern auch Zimmer: die zu Bildern zusammengesetzten Paneele an den Wänden, die auch als Kopfteile der Betten fungieren. Sie zeigen florale Motive, die auf den ersten Blick wie Aquarelle aussehen, vielleicht noch wie übergroße Fotodrucke von Blumen. Tatsächlich handelt es sich aber um Blüten-Darstellungen in unterschiedlichen Webarten, die einen subtilen 3D-Effekt mit einer angenehmen Haptik verbinden.
Schau, was kommt von draußen rein
Die vier verschiedenen, für die Standardzimmer und Suiten entwickelten Motive stammen aus der grafischen Abteilung von Concrete. Mit ihnen gelang es den Planern und Designerinnen einmal mehr, das nachbarschaftliche Gefühl von Marylebone, den Schick von Mayfair und die Originalität von Soho einzufangen und ihre Vision zu verwirklichen, „die Straße in das Gebäude zu bringen“.
Kurz gesagt: The BoTree Hotel bietet nicht einfach nur Übernachtungsmöglichkeiten, sondern sorgfältig kuratierte Erlebnisse, die eine intelligente Raumplanung, luxuriöses Design und den pulsierenden Geist der Umgebung zelebrieren. „In der sich wandelnden Hotelzimmer-Landschaft ist guter Schlaf zwar nach wie vor entscheidend. Doch die Gäste von heute erwarten mehr. Ein Hotelzimmer ist heute ein zentraler Dreh- und Angelpunkt für das Stadterlebnis, nicht nur ein Ort zum Ausruhen“, so Rob Wagemans, Creative Director und Gründer von Concrete. Die neu gestalteten Gästezimmer im The BoTree Hotel sind ein Beispiel für diesen Wandel: „Wir haben die traditionellen Grenzen aufgehoben und offene, flexible Räume geschaffen, die dem Lebensstil des modernen Gastes Rechnung tragen.“
Mit den Gästezimmern im The BoTree Hotel haben wir die traditionellen Grenzen aufgehoben und offene, flexible Räume geschaffen, die dem Lebensstil des modernen Gastes Rechnung tragen.
Rob Wagemans, Creative Director und Gründer von Concrete Amsterdam
Die Hotelkette selbst nennt das übrigens „Conscious Luxury“. Und mit The BoTree Hotel bleibt sie ihrem Ethos treu, nicht nur den Tourismus an ihren Destinationen gedeihen zu lassen, sondern auch Menschen, Planet und Gemeinschaften.
Text: Daniela Schuster
Bilder: Simon Brown for Concrete and The BoTree