Gut verschachtelt
Eine Hommage an die Bauhaus-Ära, ein bautechnisches Klimakonzept und der Nachbar in Schrebergarten-Nähe. Die Tel Aviv Arcades von Studio Precht stellen das Hochhaus auf den Kopf.
Für Menschen, die sich privat mit Vorliebe hinter einer meterhohen Thujenhecke verschanzen, ist es wohl das Falsche. Die üppig begrünten Terrassen sind auf maximale Öffnung ausgerichtet und so ineinander verschachtelt, dass sie sich gegenseitig Schatten spenden. Die Privatsphäre des Einzelnen wurde dem Klimakonzept der Gemeinschaft geopfert. Doch möglicherweise ist das vertikale Schrebergarten-Konzept auch mehr Gewinn als Opfer. Mit den Tel Aviv Arcades setzt das österreichische Studio Precht einmal mehr auf ländliche, nachbarschaftliche Nähe im dichten urbanen Kontext.
Der Entwurf könnte zwar in jeder beliebigen Stadt umgesetzt werden, doch geplant ist er für Ramat Gan, einer Großstadt vor den Toren Tel Avivs. Für einen deutschen Immobilienentwickler haben die Architektur-Pioniere ein 18-stöckiges Wohnhaus entworfen, das eine Auseinandersetzung mit dem architektonischen Erbe Tel Avivs ist.
Eine Hommage an Tel Avivs Bauhaus-Ära
Zu diesem Erbe zählt die Weiße Stadt, die seit 2003 zum Unesco Welterbe zählt. Tausende Bauhaus-Gebäude sind hier vereint und zählen zu den architektonischen Sehenswürdigkeit der Stadt. Die Architekten haben die Bauweise an das heiße Klima Israels angepasst und sie auf Pfeilerkonstruktionen gesetzt, um eine Hinterlüftung und Kühlung zu erzielen. Die typischen Langfenster von Le Corbusier ersetzten sie durch bandartige Balkone, die Fensterfronten durch Lichtleisten. So konnten sie die Beschattung maximieren.
Mit seiner klaren Formensprache an Bögen und Linien können die Tel Aviv Arcades als Hommage an die Bauhaus-Ära gesehen werden.
Chris Precht, Architekt
Ähnlich gingen die Architekten von Studio Precht an die Sache heran und orientierten sich auch an den Gestaltungsgrundsätzen des Bauhaus. „Für Architekten ist Tel Aviv mit der größten Ansammlung an Bauhaus-Gebäuden eine inspirierende Stadt. Eine Ära, die Offenheit, formale Klarheit und rationale Geometrie forcierte“, erklärt Studio Precht. „Mit seiner klaren Formensprache an Bögen und Linien können die Tel Aviv Arcades als Hommage an die Bauhaus-Ära und als Bindeglied zum architektonischen Erbe der Stadt gesehen werden.“
Beschattung durch Verschachtelung
Neben der ästhetischen Anlehnung lieferten die Bauten der Bauhaus-Ära auch konzeptionelle Inspiration. Mit der ausgeklügelten Verschachtelung der Terrassen lieferten die Architekten auch ein Energiesparkonzept, das an der baulichen Struktur des Hochhauses festgemacht ist. Während bei herkömmlichen Hochhäusern aufgrund der Sonneneinstrahlung meist eine energieintensive Klimatisierung im Inneren notwendig ist, setzt Studio Precht hier auf eine natürliche Kühlung.
„Eines der wichtigsten Kriterien in einem Balkonhochhaus ist die Verschattung“, sagt Chris Precht, der gemeinsam mit seiner Frau Fei Precht für ökologisches Design und radikale Entwürfe steht. Die Apartments des 32-stöckigen Wohnhochhauses sind durchgängig von Terrassen umgeben. Diese Terrassen sind zugleich Beschattungselemente, die direkte Sonneneinstrahlung verhindern und die Innenräume auf natürliche Weise kühlen. „So kann sich das Gebäude zu seiner Umgebung hin öffnen ohne dem mediterranen Klima ausgesetzt zu sein“, ergänzt Precht.
Das Gebäude kann sich zu seiner Umgebung hin öffnen, ohne dem mediterranen Klima ausgesetzt zu sein.
Chris Precht, Architekt
Der bauliche Entwurf besteht aus dreidimensionalen Betonfertigteilen, die mit Backsteinen verkleidet sind und damit auf die architektonische Umgebung Bezug nehmen. Mit einer Höhe von 116 Metern bietet der Turm 17.650 Quadratmeter Wohnfläche.
Raumerweiterung durch Transparenz
Jeder einzelne Raum hat direkten Zugang zum Außenbereich, der durch Arkaden räumlich abgegrenzt ist. Der Sichtbezug nach Außen ist von jedem Raum aus gegeben. „Durch diese Transparenz ergibt sich eine Erweiterung der Innenräume um die angeschlossenen Terrassen“, erklärt Studio Precht, das zuvor mit seinem abstandstauglichen Park und dem Comic-inspirierten Baumhaus für Aufsehen sorgte.
Die gestapelten Terrassen dominieren das rhythmische Erscheinungsbild der Fassade und sollen ein Abbild des pulsierenden Lebens in Tel Aviv sein.
Die Terrassen bilden eine vertikale Nachbarschaft und spiegeln das Leben in der Stadt wider.
Chris Precht, Studio Precht
Das Schrebergarten-Gefühl, das die übereinander geschachtelten Terrassen erzeugen, lag durchaus in der Intention der Architekten. Sie sehen die Außenbereiche als eine Art hängender Privatgärten, auf denen die Bewohner miteinander in Kontakt treten können. „In gewisser Weise bilden die Terrassen eine vertikale Nachbarschaft und spiegeln die positive Atmosphäre und das Leben in der Stadt wider.“
Text: Gertraud Gerst
Renderings: Studio Precht, Studio Penda