Weg vom Schattendasein
Auf Mallorca haben TEd’A arquitectes ein Einfamilienhaus entworfen, das so gar nicht zu den Nachbarhäusern passt. Und das hat im wahrsten Sinne des Wortes einen erhellenden Grund.
Jahrelang war Mallorca vor allem als Party-Insel berühmt – und berüchtigt. Seit Jahren aber kämpfen die lokalen Verantwortlichen um ein besseres Image abseits von Ballermann & Co und setzen auf Qualitäts- statt Massentourismus. Neben zahlreichen Maßnahmen für mehr Nachhaltigkeit und zur Modernisierung soll unter anderem auch die fortgeschrittene Zersiedelung gestoppt werden.
Ein 2023 verabschiedetes Dekret erschwert die Ausweisung von Neubaugebieten; Wohnraum soll vermehrt in bestehenden Ballungsräumen geschaffen werden. Wohnraum, wie er in Montuïri entstand – eine halbe Autostunde von der Hauptstadt Palma entfernt. TEd’A arquitectes entwarfen in der beschaulichen Gemeinde im Zentrum Mallorcas ein Wohnhaus für ein Elternpaar namens Guillem und Cati.
Haus am Ende der Straße
Das Architekturbüro war dabei mit einer interessanten Ausgangslage konfrontiert: Das 20 Meter lange und zehn Meter breite Grundstück liegt an einer Straßenecke und bildet den Abschluss einer Häuserzeile, in der alle Gebäude nach dem gleichen Muster aneinandergereiht stehen: Sie liegen an der Südseite des jeweiligen Grundstücks, während die Höfe nach Norden ausgerichtet sind. Aus diesem Grund bekommen sie die meiste Zeit des Jahres keine direkte Sonneneinstrahlung, weisen jedoch eine hohe Feuchtigkeit auf.
Irene Pérez, gemeinsam mit Jaume Mayol Gründerin und Inhaberin von TEd’A arquitectes, wollte das Schema dieser Einheitsarchitektur durchbrechen. Ihre Idee war es, statt des typischen Außenbereichs, der an das Wohngebäude anschließt, einen durchgehenden Hof zu schaffen. Eine langgestreckte Terrasse, die beide angrenzenden Straßen miteinander verbindet und gleichzeitig Zugang zu allen Räumen des Hauses ermöglicht. Zudem erhalten diese dadurch ausreichend Lichteinfall – genauso der Hof, der hier im wahrsten Sinne kein Schattendasein führen muss.
Fenster zum Hof
„Der erste Schritt war, die richtige Balance zwischen Haus und Hof zu finden“, so das Architekten-Paar. „Zu verstehen, dass sie einander ergänzen. Das eine ist nicht das Anhängsel des anderen – und umgekehrt.“ TEd’A arquitectes kreierten somit einen offenen Innenhof als Transformation des altbekannten zentralen Hofs. Quasi eine eigene Gasse vor dem Haus, die dieses flexibel zugänglich macht. „Der Standort am Eck des Häuserblocks hat diese alternative Herangehensweise erleichtert.“
Die Außenmauern des Einfamilienhauses ruhen auf einem Betonfundament. Sie wurden aus Marès von 15 bis 20 Zentimeter Dicke errichtet, einem Kalkstein, der auf den Balearen weit verbreitet ist und von den Inselbewohnern traditionell als Baumaterial genutzt wird. Die Wände im Inneren bestehen wiederum aus gepressten, unverputzten Betonblöcken. Deren Maße von 20 mal 20 mal 40 Zentimetern definieren auch die jeweilige Dimension der Räume im Erdgeschoss, die alle – wie in einer klassischen Enfilade oder einem landwirtschaftlichen Streckhof – in einer Reihe angeordnet sind.
Natürlich schön
Wohnzimmer, Esszimmer, Küche, Gästezimmer: Sie alle sind linear miteinander verbunden und werden dennoch durch ihren individuellen Zugang zur „Gasse“ des Innenhofs zu vier separaten Bereichen. Im oberen Stockwerk befinden sich außerdem das Schlafzimmer der Eltern, die beiden Kinderzimmer sowie zwei Badezimmer. Hier wurde auf das „Auffädeln“ der einzelnen Räume wie im Erdgeschoss verzichtet; sie sind alle vom Flur aus begehbar.
Das Konzept von TEd’A arquitectes sorgt nicht nur für individuellen Zugang zum Hof, das Haus wird dadurch auch optimal quergelüftet. Zudem bringt die schwere Außenfassade auch eine entsprechende natürliche Dämmung mit sich. Dies entspricht dem Motto des Architekturbüros, das es als seine Aufgabe sieht, aus den örtlichen Gegebenheiten das Beste zu machen und ideal umzusetzen. Dazu zitieren Irene Pérez and Jaume Mayol den katalanischen Künstler Pere Jaume Borrell i Guinart, Künstlername Perejaume: „Som on som. Wir sind, wo wir sind“.
Text: Michi Reichelt
Bilder: Luis Diaz Diaz