Ein bodenanständiges Wohnprojekt
Mit regenerativer Architektur die umgebende Natur positiv beeinflussen? Das Wohnprojekt Sumu Yakushima zeigt, was möglich ist. Architekt Tsukasa Ono hat die Gebäude auf der japanischen Insel Yakushima so konzipiert, dass sie das Myzel-Wachstum im Boden fördern.
Die Insel Yakushima im Süden Japans wird gerne als Naturparadies bezeichnet – nicht nur von Reiseführern. An den Berghängen wachsen jahrtausendealte Sicheltannen gen Himmel. Als ältestes Exemplar gilt die japanische Zeder Jōmon Sugi. Wie viele Jahresringe sie unter ihrer Rinde hat? Darüber streiten die Expert:innen noch. Je nach Messung kommen sie auf bis zu 7.200. Doch nicht nur ihretwegen hat die UNESCO die Insel 1993 zum Weltnaturerbe erklärt. Die Flora ist insgesamt beeindruckend artenreich, die Rhododendren-Blüte Anfang Juni atemberaubend.
Reiseziel für Natur- und Anime-Fans
Der Dank für die üppig sprießende Natur gebührt ausgiebigen Niederschlägen. „35 Tage im Monat“ soll es auf Yakushima regnen. Dieses in Japan schon geflügelte Wort, das auf den berühmten Roman „Ukigumo“ von Fumiko Hayashi zurückgeht, scheint Besucher jedoch nicht abzuhalten. Im Gegenteil. 300.000 Touristen kommen jährlich zum Wandern auf die Insel. Der Yakushima-Nationalpark, der fast die Hälfte des Eilands umfasst, ist ein Top-Reiseziel. Nicht zuletzt für viele Anime-Fans. Denn der dichte immergrüne Feuchtwald diente Hayao Miyazaki als Inspiration für seinen inzwischen auch international bekannten Animationsfilm „Prinzessin Mononoke“.
Umweltschäden reduzieren
Leider hat der wachsende Tourismus – wie vielerorts – auch seine Schattenseiten. Er hinterlässt zunehmend Spuren. Neben der Abfallwirtschaft macht insbesondere die Bodenerosion dem empfindlichen ökologischen Gleichgewicht auf der Insel zu schaffen. In Sachen Umweltschutz gilt es daher neue Wege zu beschreiten. Und es ist ausgerechnet ein genossenschaftliches Wohnprojekt, das hier seit kurzem nicht nur mit gutem Beispiel vorangeht, sondern dabei sogar noch eine Extrameile zurücklegt. Es nennt sich „Regenerative Life Studio Sumu Yakushima“, kurz Sumu Yakushima.
Regenerative Architektur
Der Name ist Programm – bedeutet Sumu doch sowohl „leben“ als auch „klar werden“. Man könnte auch sagen: Die Namenswahl bringt das Kernkonzept des Projekts zum Ausdruck. Nämlich auf eine Weise zu leben, die sich positiv auf die Landschaft auswirkt. Die innovative Baugenossenschaft hinter Sumu Yakushima setzte dafür auf regenerative Architektur, die traditionelle japanische Baukunst mit moderner Technologie verbindet. Mit dem erklärten Ziel, die Beziehung zwischen menschlichem Wohnen und der umgebenden Natur neu zu denken und zu konzipieren.
Acht Eigentümer, ein Plan
Die Idee dazu entwickelte sich 2020, als Tokio während der Covid-19-Pandemie abgeriegelt war. „Wir wohnten vorübergehend im Hotel meines Freundes Yuki Imamura auf der Insel“, erinnert sich Projekt-Architekt Tsukasa Ono in einem Interview mit dem Architektur-Onlinemagazin dezeen. „Dort haben wir viel über Ideen gesprochen und oft darüber diskutiert, wie unser zukünftiges Leben hier aussehen könnte.“
Gemeinsam mit einem weiteren Freund begannen Ono und Imamura ein Konzept für ein kleines Wohnprojekt auf Yakushima zu erstellen. „Aber es war so aufregend, dass es immer größer wurde und wir weitere gute Freunde aufnahmen.“ Heute gehört Sumu Yakushima insgesamt acht Eigentümern, die unterschiedlichste Expertisen zum Projekt beisteuerten – unter anderem als Projektmanager, Finanzberater, Energiespezialist oder eben Architekt.
Positive Beziehung
Tsukasa Ono war aber nicht nur der Architekt von Sumu Yakushima und damit für das Designkonzept verantwortlich. Er ist auch Gründer von tono Inc., was übersetzt so viel wie „Beziehung“ bedeutet. Und sein Büro nimmt den sich selbst gegebenen Auftrag ernst. Es plant ausschließlich „Gebäude, die eine starke und positive Beziehung zwischen der Natur und den Menschen schaffen“, so Ono. „Wir sind stolz darauf, eine regenerative Architektur zu entwerfen.“
Ono, Spezialist für die Verwendung von Bakterien und Pilzen in der Architektur, glaubt daran, dass die richtige Umsetzung dieser Konzepte die Natur bereichern und gleichzeitig die Gebäude robuster und komfortabler machen kann. Derzeit arbeitet tono Inc. nicht nur in Japan, sondern auch in Europa, Afrika, Südamerika und anderen Teilen der Welt an regenerativen Architekturprojekten, die alle das Ziel verfolgen, die Umwelt durch ihre einzigartige Form günstig zu verändern.
Verbesserung der Bodenqualität
Auch Sumu Yakushima wurde mit dem Gedanken entworfen, Umweltschäden nicht nur zu reduzieren und die Auswirkungen auf das Land so gering wie möglich zu halten. Vielmehr sollte sich die Architektur positiv auf die natürliche Umgebung auswirken. Vor diesem Hintergrund hat Tsukasa Ono das Regenerative Life Studio so geplant, dass es das Wachstum von Myzel und Bakterien begünstigt. Die Gebäude tragen also aktiv zur Verbesserung des Bodens bei.
Dafür wurden unter den Fundamenten Holzpfähle mit verkohlter Oberfläche in den Boden gerammt. „Das verkohlte Holz fördert das Wachstum von Myzel. Die Pilzfäden regen wiederum das Wurzelwachstum der Bäume an und tragen zur Stärkung des Bodens bei“, erklärt Ono. „Die regenerative Bauweise von Sumu hält die Mikroorganismen im Boden am Leben und durch die Aktivierung der Bakterien kann sich das künstliche Gebäude mit dem natürlichen Netzwerk verbinden.“
Gründliche Prüfung
Das Wohnprojekt der Gemeinschaft befindet sich auf einem Hanggrundstück mit Meerblick. Es gehört einem der Miteigentümer und ist Teil eines Bauernhofs. Der Standort und die Anordnung der Gebäude wurden erst nach einer gründlichen Prüfung der vorhandenen Bäume, des Wasserflusses und anderer Umweltfaktoren festgelegt. „Das Wohnprojekt Sumu Yakushima ist kein isolierter Ort, sondern betrachtet das gesamte Gebiet von den Bergen bis zum Meer. Der Entwurf berücksichtigt unter anderem folgende Aspekte: die Gestaltung der unterirdischen Umwelt, die Ausrichtung der Gebäude auf der Grundlage eines fundierten Verständnisses der Wasser- und Luftströme in der Landschaft und die Schaffung einer ständigen Verbindung mit der Natur durch die Architektur“, betont der Architekt. So schmiegen sich die Häuser heute an den vorhandenen Baumbestand an und sind über den Waldboden angehoben, um den natürlichen Luftstrom von den Hügeln zum Ozean zu fördern.
Gutes Raumklima
Die campähnliche Anlage umfasst mehrere Hütten. Sie sind über Terrassen und Wege im Freien miteinander verbunden, die sie in die Natur einbinden. Einige der Hütten beherbergen Aufenthaltsraum, Küche und Essbereich, andere werden als private Unterkünfte genutzt. Gemein ist ihnen, dass für die Gebäude Zedernholz aus Yakushima verwendet wurde. Das hielt nicht nur die Transportwege kurz. Laut Ono hat es auch einen höheren Ölgehalt als Zedernholz aus anderen Regionen. Es ist dadurch haltbarer und für die Verwendung in Yakushimas feuchtem Klima besonders geeignet.
Innen kam fermentierter Putz für Wände und Böden zum Einsatz, der durch die Mischung von Holzkohle und einer speziellen Bakterienart hergestellt wurde. „Der Putz trägt dazu bei, ein stabiles Innenklima zu schaffen, indem er Schimmel und andere Fäulnisbakterien verhindert“, sagt der Architekt. Die komfortablen Wohnräume erreichen durch architektonisches Know-how eine effektive Luftdichtheit und Isolierung, wodurch der Bedarf an künstlicher Heizung und Kühlung minimiert wird. „Die gesamte Energie wird durch Sonnenkollektoren erzeugt und in Batterien gespeichert, wobei zum Heizen und Kochen lokales Brenn- und Treibholz verwendet wird, das die Bewohner selbst sammeln.“
Einsatz für Umwelt und Gemeinschaft
Letztere Aktivität ist – neben dem Mähen von Gras zur Verbesserung der Luftzirkulation auf dem Gelände – „ein wichtiger Teil des regenerativen Lebensstils, den die Bewohner der Genossenschaft pflegen“, betont Ono. „Solche Aufgaben stärken nicht nur das Gemeinschaftsgefühl. Sie helfen auch der natürlichen Umwelt, sich zu entwickeln, und mildern die negativen Auswirkungen der Bauarbeiten ab.“
Er ist überzeugt, dass sich Sumu Yakushima nicht nur, aber auch deshalb deutlich von herkömmlichen Naturerlebniseinrichtungen unterscheidet. „Das Projekt ermutigt eine breitere Schicht der Gesellschaft, sich mit dem Ziel zu beschäftigen, die Zukunft unseres Planeten zu verbessern“, meint Architekt Ono. Das Design von Sumu trage zusätzlich dazu bei, „weil es unsere Beziehung zur Umwelt verändert. Es gewährt den Bewohnern, neue Möglichkeiten der Interaktion mit der Natur zu entdecken und ihre Denk- und Handlungsweise anzupassen, um so eine generationenübergreifende Beziehung zur Natur aufzubauen. Wird dieser einzigartige Ansatz in größerem Umfang angewandt, hat er das Potenzial, Umweltinitiativen zu beschleunigen.“
Lösung vieler Probleme
Tsukasa Ono geht sogar noch einen Schritt weiter. Er ist überzeugt davon, dass sich die globale Umwelt mit erstaunlicher Geschwindigkeit erholen würde, „wenn sich regenerative Architektur auf der ganzen Welt verbreitet. Die innovativste Idee ist der Wandel der Architektur von einer negativen zu einer positiven Auswirkung.“
Mit Sumu Yakushima zeigt er jedenfalls, dass sich einige Aspekte heutiger Umwelt-Probleme architektonisch lösen lassen. Und das blieb alles andere als unbemerkt. So wurde das Regenerative Life Studio auf der japanischen Insel bereits mehrfach ausgezeichnet. Unter anderem erhielt es den bedeutenden iF Design Award „Gold“.
In der Begründung heißt es: „Mit außerordentlicher Sorgfalt, um das feine Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur in dieser Welterbestätte nicht zu stören, ist dieses Gebäude reich an subtilen Darstellungen japanischer Handwerkskunst. Wie ein Haiku offenbart diese Form ihre Tiefe erst bei näherer Betrachtung.“
Im Falle von Sumu Yakushima muss man sogar bis in den Boden hineinschauen.
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Text: Daniela Schuster
Bilder: Hinano Kimoto / Rui Nishi / Wataru Aoyama / Tsukasa Ono via v2com-newswire.com