Für Mensch & Umwelt in Chicago
Stadterneuerung, die sich gegen den Klimawandel und für gerechtere, gesündere Lebensbedingungen engagiert: Ein Entwurf von Studio Gang und The Community Builders setzt einen spannend zukunftsorientierten neuen Komplex in die drittgrößte Metropole der USA.
Was fällt Ihnen zuerst ein, wenn Sie an Chicago denken? Der Beiname „Windy City“, der sich vor allem auf den Wind bezieht, der vom Michigansee her durch die Straßen fegt? Die fabelhafte Jazz-Szene? Oder eher soziale Unruhen und Gangster-Legenden, die sich um Al Capone oder John Dillinger ranken? In Sachen Verbrechensrate liegt die drittgrößte US-Metropole zwar leider auch heute über dem Durchschnitt. Allerdings: Ein Besuch lohnt sich allemal. Denn diese Stadt hat viel zu bieten. Vor allem für Fans moderner Architektur. Und bald umso mehr. Denn Studio Gang und The Community Builders (TCB) setzen mit „Assemble Chicago“ ein schönes Zeichen in Sachen Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit und Lebensqualität.
Großstadt auf neuen Wegen
Erst vor wenigen Wochen gab Bürgermeisterin Lori E. Lightfoot bekannt, dass der Entwurf von Studio Gang und Entwickler TCB Chicagos C40-Wettbewerb gewonnen hat. Eine gewichtige Entscheidung, weil es dabei explizit um „Neuerfindung“ geht: C40 ist ein Netzwerk der größten und einflussreichsten Städte der Welt, die kooperieren, um den Klimawandel zu bekämpfen und gesunde, sozial gerechte Gemeinden zu schaffen. Und „C40 Reinventing Cities“ ist ein globaler Wettbewerb, der vorbildliche CO2-neutrale und zukunftsfitte Stadterneuerungsmaßnahmen fördert.
In Chicago ging es diesfalls konkret um Vorschläge für ein ungenutztes, stadteigenes Gelände im Zentrum. Der Siegerentwurf wird dort nun 207 Wohnungen für Arbeitnehmer mit mittlerem und niedrigem Einkommen schaffen und den angrenzenden Pritzker Park revitalisieren. Zugleich wird Studio Gang und TCBs Konzept dem „Chicago Loop“, also dem kompakten Stadtzentrum, neue Gemeinschaftsräume und -einrichtungen bescheren, die Kommunikation und Zusammenhalt der Bewohner fördern sollen.
Verbesserung „für alle“
„Dieses Projekt steht sinnbildlich für die äußerst positiven Auswirkungen, die eine von der Gemeinschaft betriebene Stadtteilentwicklung auf unsere gesamte Stadt haben kann“, ist Bürgermeisterin Lightfoot überzeugt. „Assemble Chicago“ werde nicht nur dazu beitragen, den Bedarf an mehr nachhaltigen, erschwinglichen Wohneinheiten zu decken. Das Projekt hat auch zum Ziel, den umliegenden Pritzker Park durch verbesserte Infrastruktur neu zu beleben. Es soll, kurzum, so Lightfoot, „Chicago zu einem besseren und gerechteren Ort für alle Einwohner machen“.
Große Erwartungen an ein Bauwerk, dessen Design durchaus zum Musterbeispiel taugt. Was das Konzept für „Assemble Chicago“ jedenfalls erfüllt, sind die strengen C40-Kriterien und die stadteigenen Design Excellence Guiding Principles. Auch die Lage könnte kaum passender sein: Der Bauplatz des 20-stöckigen, klimaneutralen und gemischt genutzten Komplexes befindet sich im Herzen von Downtown Chicago. Und zwar in unmittelbarer Nähe des öffentlichen Nahverkehrs und mit Blick auf den neu gestalteten Pritzker Park an der State Street.
Besser wohnen mit Studio Gang & TCB
Die ersten beiden Etagen des Neubaus bilden den so genannten „NeighborHub“. Dort wird nicht nur Raum für Veranstaltungen, Treffen und Zusammenarbeit gemeinnütziger Organisationen aus ganz Chicago geschaffen. Als schöne Extras stehen nämlich auch eine Food Hall mit kleinen, von Minderheiten betriebenen Restaurants, ein Lebensmittelmarkt und eine Klinik auf dem Plan. Obendrein lädt gleich auf der anderen Seite der Hochbahn-Gleise, die den „Chicago Loop“ umziehen, die Harold Washington Library (städtische Zentralbibliothek, zu sehen links im Beitragsbild) zum Besuch.
Eine großzügige Tribünentreppe verbindet Pritzker Park und „NeighborHub“. Wie in den Sitzreihen eines Stadions, können Besucher dort etwa bei im Park gebotenen Events Platz nehmen. Veranstaltungen, die sonst im Mehrzweckraum stattfinden, können bei gutem Wetter ins Freie verlagert werden. Und die Nordseite der Treppe wird großzügige Flächen für Wandmalereien lokaler Künstler bieten.
Licht, Luft & Ruhe
Die gegliederte Ziegelfassade, die das klassische „Chicago Window“ neu interpretiert, lässt Tageslicht in jede Wohnung. Neben fixen Scheiben sind bedienbare Seitenfenster eingesetzt, die den Bewohnern die Möglichkeit geben, Frischluft durch die Räume zirkulieren zu lassen. Diese Fenster werden so ausgerichtet, dass der Lärm vorbeirollender Hochbahn-Züge die „Assemble Chicago“ Bewohner möglichst gering belastet. Auch an die Möglichkeit, auf den Fensterbänken kleine Gärtchen zu pflanzen, haben die Studio Gang Architekten gedacht.
Zusammen mit dem aufgewerteten Park wird der „NeighborHub“ von „Assemble Chicago“ einen neuen gesellschaftlichen Anker für die ganze Stadt bilden. Einen attraktiven Treffpunkt, der die Innenstadt bereichert, gute Nachbarschaft fördert und Menschen zusammenführt.
Unser Entwurf verbindet die architektonischen Traditionen Chicagos mit den Bautechnologien des 21. Jahrhunderts, um die dringenden Probleme der ungleichen Wohnverhältnisse und des Klimawandels anzugehen.
Jeanne Gang, Architektin und Studio Gang Gründerin
Dass das Team um Studio Gang Gründerin Jeanne Gang und TCB bei der Konzeption das „echte“ Leben der künftigen Nutzer in Auge behielten, lässt sich am Entwurf erkennen. Dass selbiger ein Gewinn für die gesamte Stadt ist, betont Jacky Grimshaw, Vizepräsidentin für Regierungsagenden des Center for Neighborhood Technology (CNT): „Es ist fantastisch, einen Raum zu schaffen, der den Gemeinschaften und Gemeinschaftsgruppen offensteht. Bei CNT kooperieren wir mit Gemeinden in der ganzen Stadt. Mit dem NeighborHub können wir unter anderem einen Ort schaffen, an dem wir unsere Partner, lokale Beamte und Führungskräfte aus der Nachbarschaft zusammenbringen.“
Durch innovative Gebäudetechnologien und kommunale Partnerschaften soll „Assemble Chicago“ die Abhängigkeit von Kohlenstoff reduzieren und das Abfallaufkommen erheblich senken. Obendrein ist das Projekt dazu gedacht, urbanes Gärtnern, biologische Vielfalt und nachhaltige Praktiken insgesamt voranzutreiben. Ganz abgesehen davon, dass es die Kriterien der begehrten LEED Platin, LEED Zero Energy und Zero Carbon Zertifikate erfüllen soll. Anders gesagt: Man strebt den Status eines neuen Modells für zukunftssichere Gemeindeentwicklung an. Und dies nicht nur innerhalb Chicagos, sondern weltweit.
Im Fokus: Umweltfreundlichkeit
Von außen betrachtet fügt sich der Neubau elegant in den historischen Kontext von Downtown Chicago ein. Dass mehr dahintersteckt, beweisen nicht nur die Verbindung mit dem neu gestalteten Pritzker Park und die Gemeinschaftsräume. Auch Solaranlagen und Regenwassersammeltank auf dem Dach, Wärmerückgewinnung und ein Garten auf den auskragenden unteren Etagen belegen, dass es hier um mehr als ein weiteres Hochhaus geht.
Wie exzellent sich Studio Gang darauf versteht, innovative und markante Bauten perfekt ins jeweilige Umfeld einzufügen, hat das Team längst mehrfach demonstriert. So, wie etwa mit Projekten wie dem „University of Chicago Center“ in Paris oder Gebäude „F“ in San Franciscos neuem Viertel „Mission Rock“. Der neue Komplex in der „Windy City“ hat durchaus das Zeug, zum nächsten Aushängeschild des US-Büros zu werden.
Leistbar und CO2-neutral
„Unser Entwurf verbindet die architektonischen Traditionen Chicagos mit den Bautechnologien des 21. Jahrhunderts, um die dringenden Probleme der ungleichen Wohnverhältnisse und des Klimawandels anzugehen“, schildert Jeanne Gang. Und die Star-Architektin fügt hinzu: „Assemble Chicago ist Studio Gangs erste absolut erschwingliche Wohnsiedlung innerhalb des ehrgeizigen, CO2-neutralen Rahmens von C40 im Herzen der Innenstadt“.
Dass die Großstadt durch dieses Vorhaben mehr Wohnungen für weniger Begüterte bekommt, bezeichnet auch TCB als essenziell. Es sei wichtig, „dass Assemble Chicago dringend benötigte gesunde und erschwingliche Innenstadt-Wohnmöglichkeiten für arbeitende Menschen mit Einkommen von 75.000 Dollar oder weniger“ bieten wird.
Architektonischer Hoffnungsträger
Will Woodley, TCBs Vizepräsident für Immobilienentwicklung dieser Region, geht noch weiter: „Dieses Projekt ist nicht nur Chicagos nächste große architektonische Leistung. Es ist auch ein Beispiel unseres Engagements für starke, gerechte und nachhaltige städtische Gemeinschaften für alle“. Bleibt zu hoffen, dass Konzept, Idee und erklärte Ziele des rund 21.000 Quadratmeter Fläche umfassenden Bauwerks tatsächlich zum Vorbild weiterer, ähnlicher Projekte geraten. Schließlich ist die Metropole am Michigansee nicht die einzige Großstadt, die derlei mittlerweile dringend nötig hat.
Text: Elisabeth Schneyder
Bilder: Studio Gang, Aesthetica