Stammhaus Blumer Lehmann, Gossau, Schweiz, K&L Architekten, Holzbau, ICD Universität Stuttgart
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Am Anfang war der Stamm

Das renommierte Schweizer Holzbauunternehmen Blumer Lehmann hat ein neues Stammhaus. Dass es ein Holzbau der Superlative werden würde, war klar. Das zentrale Atrium mit dem begehbaren „Stamm“ ist ein Wunderwerk der Konstruktion.

Das Unternehmen Blumer Lehmann blickt auf eine lange Geschichte zurück. Als sich die Familienunternehmen von Holzbau-Pabst Hermann Blumer und dem Sägewerksbetreiber Leonhard Lehmann Ende der 1990er-Jahre zusammenschlossen, entstand einer der international größten Player in der Planung und Fertigung des modernen Holzbaus. Im Zuge des internationalen Holzbau-Booms der letzten Jahre ist der Hauptsitz in Gossau, einer Stadt im Kanton St. Gallen, zu klein geworden. Während neue Produktionsräumlichen mittlerweile die gestiegenen Kapazitäten abdecken, folgte nun auch das dazugehörige Büro- und Empfangsgebäude. Das fünf-stöckige Stammhaus ist ein konstruktiver Holzbau, der in den eigenen Werkshallen vom Band lief. 

Stammhaus Blumer Lehmann, Gossau, Schweiz, K&L Architekten, Holzbau, ICD Universität Stuttgart
Die Freiformkonstruktion im Atrium des neuen Stammhauses windet sich wie ein Baumstamm durch das Gebäude.

Den Ursprung vom Holz, den Stamm, wollten wir auf besondere Weise inszenieren. 

Thomas Lehmann, Architekt und Partner von K&L Architekten

Namensgeber für den neuen Hauptsitz ist eine spektakuläre Freiformkonstruktion im Atrium des Empfangsraums. „Den Ursprung vom Holz, den Stamm, wollten wir auf besondere Weise inszenieren. So ist die Idee entstanden, dass ein Baumstamm vom Erdreich durchs Gebäude wächst. Es sollte ein Ort sein, der erlebbar und bespielbar ist, und in dem man sich bewegen kann“, erzählt Thomas Lehmann, Architekt und Partner von K&L Architekten, die für das Blumer Lehmann’sche Stammhaus verantwortlich zeichnen.

Freiformkonstruktion aus gekrümmtem CLT

Der skulpturale Stiegenaufgang reicht vom Erdgeschoss bis zum Oberlicht, das aus Folienkissen besteht und das gesamte Atrium mit Tageslicht versorgt. Der architektonische Entwurf und das digitale Master-Modell der Treppenkonstruktion stammen vom Institut für Computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung (ICD) der Universität Stuttgart. Als Baumaterial für die gekrümmten Holzelemente diente das neu entwickelte CLT Curved von Blumer Lehmann.

Stammhaus Blumer Lehmann, Gossau, Schweiz, K&L Architekten, Holzbau, ICD Universität Stuttgart
Die vorgehängte Fassade aus vertikalen Holzlisenen sorgt für die nötige Beschattung.

Stammhaus Blumer Lehmann, Gossau, Schweiz, K&L Architekten, Holzbau, ICD Universität Stuttgart
Im Erdgeschoss befinden sich flexibel nutzbare Veranstaltungsräume.

Das Projekt verknüpft auf eindrucksvolle Weise computerbasierte Planungsmethoden, digitale Fertigung und handwerkliche Holzbaukunst. „Diese architektonische Synthese macht die zukunftsweisenden Möglichkeiten des traditionellen Bauwerkstoffs Holz auf eindrückliche Art räumlich erfahrbar“, heißt es vonseiten der Universität. 

Wie aus einem Stamm geschnitzt

Es war dies eine Bauaufgabe, die einen besonderen Spagat zwischen räumlichen, konstruktiven, statischen und fertigungstechnischen Aspekten erforderte, wie Achim Menges, Architekt und Leiter des ICD erklärt: „Bereits minimale Variationen in der Neigung der gekrümmten Holzelemente zueinander führen zu signifikanten Veränderungen der Verschneidungskurven und bestimmen, wie sich die Elemente in der Gesamtstruktur verhalten.“

Stammhaus Blumer Lehmann, Gossau, Schweiz, K&L Architekten, Holzbau, ICD Universität Stuttgart
Die skulpturale Treppe erforderte einen besonderen Spagat zwischen räumlichen, konstruktiven, statischen und fertigungstechnischen Aspekten.

Der Entwurf zielt im Wesentlichen darauf ab, aus den architektonischen Eigenschaften gekrümmter Holzflächen ein einzigartiges und identitätsstiftendes räumliches Erlebnis zu schaffen.

Achim Menges, Leiter ICD, Universität Stuttgart

Stammhaus Blumer Lehmann, Gossau, Schweiz, K&L Architekten, Holzbau, ICD Universität Stuttgart
Trotz der geringen Wandstärke von 130 Millimeter übernimmt die Treppe auch eine tragende Funktion im Gebäude.

Ausgehend vom Leitbild des Stammes entwickelte man das Atrium aus der maßgefertigten Anordnung und Verschneidung gebogener Brettsperrholz-Elemente. Die präzisen Anschlüsse an die unterschiedlichen Krümmungswinkel lassen den Aufgang bisweilen erscheinen, als wäre er aus einem einzigen, riesigen Stamm geschnitzt. 

Ein naturnaher Ort mit Aufenthaltsqualität

Wie das weit ausladende Geäst eines Baumes bildet die Treppe nach oben hin sogenannte Begegnungsnischen aus. Anstatt eine rein funktionale Verbindung zwischen den Geschossen zu schaffen, wird die Treppe damit zum kommunikativen Instrument. Es entsteht ein Ort mit Aufenthaltsqualität, der je nach Höhe unterschiedliche Ein- und Ausblicke ermöglicht.

Stammhaus Blumer Lehmann, Gossau, Schweiz, K&L Architekten, Holzbau, ICD Universität Stuttgart
Der architektonische Entwurf und das digitale Master-Modell der Treppenkonstruktion stammen vom Institut für Computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung (ICD) der Universität Stuttgart.

Die räumliche und atmosphärische Qualität, die dieser Stamm erzeugt, hat etwas Spielerisches an sich. „Der Entwurf zielt im Wesentlichen darauf ab, aus den architektonischen Eigenschaften gekrümmter Holzflächen ein einzigartiges und identitätsstiftendes räumliches Erlebnis im Zentrum des Gebäudes zu schaffen“, wie Menges ausführt.

Skulptur mit tragender Funktion

Zugleich übernimmt die Treppe auch eine tragende Funktion für die angrenzenden Geschossdecken und die Dachstruktur. Trotz eines schlanken Wandaufbaus von nur 130 Millimeter erreicht die Konstruktion eine „außergewöhnliche Steifigkeit“, wie es vonseiten des ICD heißt. Mit dem außergewöhnlichen Wangen Turm der Allgäuer Landesgartenschau 2024 konnte das Institut bereits einschlägige Erfahrungen mit gekrümmten Brettsperrholz-Konstruktionen sammeln.

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Die präzisen Anschlüsse an die unterschiedlichen Krümmungswinkel erwecken den Eindruck, als wäre die Treppe aus einem einzigen, riesigen Stamm geschnitzt. 

Das biophile Design stellt mithilfe des Holzes und der organischen Formen eine Verbindung zwischen Mensch und Natur her. Zugleich bildet die Freiform-Konstruktion einen bewussten Kontrast zur sonst sehr rationalen Struktur des Gebäudes. 

Mit dem neuen Haupthaus, das 180 Büro-Arbeitsplätze bietet, wollte man vor allem auch positive Veränderungen fürs Arbeitsklima schaffen. Neben dem zentralen Atrium sorgen auch Orte wie die Cafeteria, dem sogenannten Stammlokal, für Interaktion. Und Besucherinnen und Besuchern des neuen Stammhauses kann Blumer Lehmann gleich in der Lobby ein praktisches Anwendungsbeispiel für ihr neuestes Produkt vor Augen führen.

Text: Gertraud Gerst
Fotos: ICD University of Stuttgart, Jan Thoma / Blumer Lehmann / Focus Format

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