Ao-ft hat das Spruce House & Studio aus Massivholz in eine Londoner Reihenhaus-Zeile eingefügt. Und zeigt damit, dass sich Historie und Moderne nicht ausschließen. Zusammen kann beides sogar nachhaltig sein.

Walthamstow im Nordosten Londons. Laut der britischen Tageszeitung Daily Telegraph aktuell das coolste Viertel im gesamten Vereinigten Königreich. In den letzten Jahren fand hier eine klassische Gentrifizierung statt: Junge Familien siedelten sich in dem aufstrebenden Stadtteil ebenso an wie kreative Handwerksbetriebe, hippe Yoga-Studios und trendige Lokale mit hochwertigen, aber leistbaren Produkten.

Was vom „alten“ Walthamstow blieb, ist das markante Straßenbild, geprägt von klassischen englischen Reihenhäusern. Die Beulah Road ist hier keine Ausnahme. In früheren Zeiten mit zahlreichen Geschäften versehen, befinden sich in der Gasse heute zahlreiche, einstöckige Wohngebäude in unterschiedlichen Baustilen. Wobei eines seit 2021 besonders hervorsticht: Das Spruce House & Studio, entworfen von Ao-ft.

Fichten-Haus

Im Laufe des letzten Jahrhunderts wandelte sich die Beulah Road von einer Hauptstraße des Dorfs Walthamstow in eine beschauliche Wohngegend. Nach und nach schlossen die angesiedelten Läden – doch ebendiesem Vermächtnis wollten das Architekturbüro Rechnung tragen. Zumal es sich bei dem Viertel um eine bauliche Schutzzone handelt.

Ao-ft, bestehend aus Liz Tatarintseva und Zach Fluker, entwarf die Fassade des „Fichten-Hauses“ (spruce = Fichte) daher als modernes Schaufenster; eine Glasfront erstreckt sich über die Außenwand des Erdgeschosses. Als Sichtschutz fungieren vertikale Holzlatten und -pfosten. Nicht nur sie sorgen beim Betrachten für den augenscheinlichsten Kontrast zu den umliegenden Häusern, denn die Architektin und ihr Partner designten ihr gesamtes Gebäude mit Brettsperrholz (CLT).

Spruce Studio, London
Im Garten befindet sich das Studio, …

Ao-ft Studio
… das Büro des Architektur-Paars.

Home & Office

„Ihr“ Gebäude ist übrigens hier in doppeltem Sinn korrekt. Liz und Zach sind nicht nur geschäftlich, sondern auch privat ein Paar. Das Spruce House dient ihnen als Zuhause, während das Studio ihr Arbeitsbereich ist. Dieses befindet sich im Hinterhof des Grundstücks, durch einen zwölf Meter langen Garten vom Haupthaus getrennt und wurde ebenfalls aus CLT errichtet. Hier sorgen neben einer Glastür eine Reihe von Obergadenfenstern für natürlichen Lichteinfall.

An der Stelle des Hauses befanden sich im 19. Jahrhundert ein Spielzeughersteller und ein Schuster; seit den 1960er-Jahren verfiel es allerdings zusehends. Da von der alten Bausubstanz nichts mehr zu retten war, entschieden sich Liz Tatarintseva und Zach Fluker für eine komplette Neuerrichtung aus nachhaltigen Materialien. Auch im Inneren dominiert Holz, bis hin zu kreativen Einbaumöbeln.

Spruce House & Studio

Es werde Licht

Wohn-, Ess- und Küchenbereich liegen im Erdgeschoss, wo für die Böden Beton verwendet wurde. Gegossene Betonsockel dienen zudem als Sitzgelegenheit an den Fenstern sowie als Fundament für Schränke und Einbaugeräten, die den Ess- und Küchenbereich flankieren.

Großflächige Verglasungen sollen die Abgrenzung vom Innen- zum Außenbereich minimieren, so Ao-ft. Fenster erstrecken sich daher über die volle Raumhöhe, Glastüren mit Holzrahmen sorgen sowohl vom Wohn- als auch vom Essbereich aus für eine visuelle und physische Verbindung zum Garten.

Spruce House & Studio, Garten
Großflächige Verglasung verbindet Innen und Außen, …

Spruce House, Treppe
… und sorgt für natürlichen Lichteinfall .

Musterhafte Struktur

Eine weiße Stahltreppe führt in den ersten Stock, in dem sich zwei Schlafzimmer und ein Badezimmer befinden. Das Dachgeschoss schließlich beherbergt das Hauptschlafzimmer mit eigenem Bad. Hier dominieren Holz, Edelstahl und polierter Beton, um das Licht in den Innenräumen zu reflektieren und so eine helle Atmosphäre zu schaffen. Die perforierte Metalltreppe sorgt ebenfalls für verstärkten Lichteinfall und „subtile Strukturmuster“, wie die Architekten es ausdrücken.

Spruce House, innen

„Orte zu schaffen, die ihre Geschichte und ihre Funktionen neu interpretieren – in diesem Fall Geschäfte, die zu einem Zuhause werden: So entsteht ein faszinierender Designprozess“, erklärt das Architektur-Paar. „Wir nutzten das Projekt, um herauszufinden, wie wir diese Orte bauen können, die sowohl schön sind als auch minimale Auswirkungen auf die Umwelt haben“.

Text: Michi Reichelt
Bilder: Ao-ft, Google Maps

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