Architektur zum Denken
In dieser öffentlichen Bibliothek in Songdo International City in Südkorea darf das Denken frei fließen: Der von aoe entworfene Vertreter ausgefallener Bibliotheksarchitektur ist komplett rund.
Frei nach dem Spruch „Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung ändern kann”: In der neuen Bibliothek von Songdo International City können sich Bibliophile zu Freigeistern entwickeln. Denn der von aoe, einem in Peking ansässigen Architekturbüro, entworfene Lesetempel ist rund.
Moderne Bibliotheksarchitektur, die Inszenierung und Zugänglichkeit von Wissen im Raum, dürfte viele Planer und Designer dazu hinreißen, ganz besonders ausgefallene Objekte zu entwerfen. Dies gilt ganz sicher für die Huldigung an alle Bücherwürmer von MAD auf der Insel Hainan. Auch das norwegische Erfolgsbüro Snøhetta hat in Peking mit dem „Wald des Wissens” neue Standards gesetzt. Als Hort für kollektives afrikanisches Bewusstsein will Sir David Adjaye die Thabo Mbeki Presidential Library in Johannesburg wissen.
Kulturelle Bindung der Bürger
Bei der städtischen Bibliothek von Songdo spielten Funktionalität, einladende Atmosphäre und Nachhaltigkeit eine große Rolle. Songdo liegt in der Nähe des Incheon-Flughafens, etwa 56 km westlich von Seoul, der Hauptstadt Südkoreas. Die Einwohner nennen die „Planstadt” auch New Songdo City oder kurz Songdo City.
Die Stadt hat sich als Finanz- und Wirtschaftsplatz sowie Technologiezentrum etabliert und ist ein ideales Standbein für Geschäfte und Handel in Nordostasien. Doch das ist den Stadtvätern zu wenig. Sie wollen auch die Kultur fördern. Während die Infrastruktur immer ausgereifter wird, wolle man verstärkt Augenmerk auf kulturelle Gebäude wie die öffentliche Bibliothek legen. Die Bürger sollen sich so auch kulturell gebunden und verbunden fühlen.
Und so wurden in diesem runden Gebäude zwei Räume mit unterschiedlicher Nutzung geplant: Da ist einerseits der Lesesaal mit Blick auf die Natur im Süden. Und dann gibt es noch den Gemeinschaftsraum mit Blick auf die Stadt im Norden, in dem sich Bürger und Besucher versammeln können oder in dem Veranstaltungen abgehalten oder Ausstellungen ausgerichtet werden.
Ideal geneigt: Die neue Songdo Bibliothek
Die abgerundete Form hat natürlich etliche Vorteile: Sie ermöglicht Zugang aus verschiedenen Richtungen. Und sie maximiert die Freiflächen, auf denen sich die Bürger treffen können. Darüber hinaus neigt sich das Gebäude nach genauen Berechnungen der Planer in einem Winkel von 18,5° nach Süden.
Der Grund: So kann man optimal im Sommer die direkte Sonneneinstrahlung vermeiden. Im Winter dagegen hält sich die Wärme in den Räumlichkeiten für die Lesungen und Veranstaltungen besser. Und sie sind heller, als wenn sie nicht so konzipiert wären.
„Charred wood” für die Optik und Langlebigkeit
Als Tragwerk wird eine Betonkernwand mit einem Kragarm-Fachwerksystem verwendet. Die Lesehalle kommt so mit nur vier diagonalen Stützen aus. Damit steht den Besuchern ein möglichst großer Raum zum Lesen zur Verfügung.
Holz und Glas sind die Hauptmaterialien der Fassade. Die Kombination dieser beiden Materialien stellt nicht nur einen optisch interessanten Kontrast her. Das verkohlte Holz („charred wood”) ist darüber hinaus auch wasserabweisend, robust und haltbar. Die ursprünglich japanische Technik („shou sugi ban”) hat sich auch als natürlicher Schutz gegenüber Insekten- und Schimmelbefall herausgestellt.
LEED-konformes Design
Obwohl das Internet aus dem täglichen Leben nicht mehr wegzudenken ist, spielen Bibliotheken immer noch eine wichtige Rolle bei der Sammlung und dem Transfer von Wissen, ist man beim Pekinger Architekturbüro aoe überzeugt. Die komfortablen Leseplätze und der multifunktionale öffentliche Raum sollen den Wert der Bibliothek auch als Ort der Bewahrung von Zivilisation wieder ins rechte Licht rücken. Und so wurde das „smarte” Gebäude vor allem auch unter dem Gesichtspunkt der Langlebigkeit entworfen.
Die LEED-konformen Designstrategien – LEED bedeutet „Leadership in Energy and Environmental Design”, eine Zertifizierung ökologischer Gebäude – umfassen neben der natürlichen Belüftung und dem geringem Energieverbrauch auch einem Maximum an erneuerbarer Energie.
Runde Sachen
Runde Gebäude haben es immer wieder den unterschiedlichsten Architekten angetan. Eines der bekanntesten ist wohl das Guggenheim-Museum in New York. Es wurde von Frank Lloyd Wright entworfen und 1959 eröffnet. Ein jüngeres rundes Objekt ist The Exchange von Kengo Kuma & Associates. Das Bürgerzentrum im pulsierenden Stadtteil Darling Harbour in Sydney verfügt ebenfalls über eine öffentliche Bibliothek. Daneben finden sich Büros, Kinderbetreuungsstätten sowie ein Lebensmittel-Markt im Mixed-Use-Gebäude. Das Gebäude erhielt einen der Awards des Prix Versailles 2020.
Eines der beeindruckendsten Gebäude ist nicht nur rund sondern gleich kugelförmig: Die Technosphäre von Architekt James Law in Dubai. Er nennt seinen Ansatz „Cybertecture”. Das riesige Objekt beherbergt unter anderem Büros, Geschäfte, Hotels sowie ein Ausstellungs- und Konferenzzentrum.
Text: Linda Benkö
Fotos/Renderings: v2com / Ramka Co, aoe, Plomp, Jean-Christophe Benoist, Adjaye Associates