Sportlich hoch hinaus
Intelligente Dachnutzung: Das chinesisch-deutsche Architekturstudio Crossboundaries hat auf einer Dachfläche von nicht weniger als 77.000 Quadratmetern den Skypark kreiert. Wo es diesen langen Sport- und Freizeitstreifen gibt? In der Megalopolis Shenzhen natürlich.
Allein in Wien könnten laut dem „Green Market Report Austria“, einer Markt-Analyse des Innovationslabors grünstattgrau, 18 Millionen Quadratmeter Dachfläche mit geringem Aufwand begrünt werden. Nicht auszudenken, wie viele Quadratmeter es in einer Megalopolis wie Shenzhen wären. Einen kleinen Anteil davon besetzt nun der Skypark des Architekturbüros Crossboundaries.
Es muss nicht immer nur ein Dachgarten oder Fassadenbegrünung sein: Der Skypark bietet viele Möglichkeiten zur sportlichen Betätigung sowie zur Erholung hoch oben auf dem Dach.
Man kann es sich kaum vorstellen: Shenzhen soll vor 40 Jahren ein kleines Fischerdorf gewesen sein. Heute beherbergt die chinesische Stadt fast 17 Millionen Einwohner. Shenzhen ist eine der modernsten Städte Chinas. Ein guter Teil der sehr jungen Bevölkerung Chinas lebt in dieser dicht besiedelten Megalopolis.
Städtischer Erholungsstreifen über der U-Bahn-Remise
Verständlich, dass diese jungen Menschen „Auslauf“ benötigen. Und den bekommen sie auch. Stadtparks sowie Freizeit- und Erholungsräume sind wesentliche Bestandteile der Infrastruktur in Shenzhen, die zum Wohlbefinden der lokalen Gemeinschaften beitragen. Da in Shenzhen das ganze Jahr über ein angenehmes Klima herrscht, können diese Erholungsräume im Freien optimal genutzt werden.
Eine pfiffige Idee der Stadtverwaltung ist es, das Dach des südlichen Terminals und Depots der Shenzhener U-Bahn-Linie 2 in einen städtischen Erholungsstreifen zu verwandeln. Die U-Bahn-Linie führt nach Shekou, einem wichtigen Übergang zum benachbarten Hongkong mit Haltestellen für Fähren, Busse und Züge.
Normalerweise gehören Infrastruktur- und Verkehrsflächen in China der öffentlichen Hand und sind nicht für die private Nutzung vorgesehen. Aber Shenzhen geht hier neue Wege.
Der Skypark des Architekturbüros Crossboundaries www.crossboundaries.com wertet nicht nur das bis dato ungenutzte Dach auf. Das Projekt schlägt gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe: Die Sport- und Freizeitzone kann von den umliegenden Schulen genutzt werden. Zudem wurden Einrichtungen für Profi-Sport-Events, etwa der lokalen Sportvereine, sowie für Wettkämpfe mit Publikum geschaffen. Dritter Benefit: Neben den Sportanlagen wurde auch eine Art Erholungspark kreiert. So hat auch die breite Öffentlichkeit Zugang zu den Freizeitflächen.
Drei Nutzer-Szenarien
Und so ergibt sich die Einteilung der Zonen fast von selbst nach Nutzergruppen: Eine für die allgemeine Öffentlichkeit, für soziale und kulturelle Interaktion. Die zweite zur ausschließlichen Nutzung durch die angrenzenden Schulen. Und dann noch Zonen für den Profisport, für Trainingsaktivitäten und die Austragung von Sportveranstaltungen vor Publikum. Alle drei Nutzungsszenarien können jedoch ungehindert gleichzeitig stattfinden.
1,2 Kilometer lang
Bei der Umsetzung sahen sich die Experten von Crossboundaries mit einigen Herausforderungen konfrontiert: Mit 1,2 Kilometern ist der Gebäudekomplex sehr lang gestreckt. Die Gesamthöhe beträgt etwa 15 Meter bei einer Breite von 50 Metern an der schmalsten Stelle, die sich bis zu 70 Metern ausdehnt. Damit schnitt der ursprüngliche Komplex die umliegenden Stadtteile vollständig von der Bucht ab. Das Dach erfüllte zuvor keinen bestimmten funktionalen Zweck und schon gar nicht bot es einen ästhetischen Mehrwert.
Die nächste Überlegung von Crossboundaries war, wie man eine derart große Fläche in die Umgebung integriert und mit den Wohn- und Bildungsgebäuden in der unmittelbaren Nachbarschaft verbinden kann – wiewohl die Realisierung von Überführungen, Brücken und Korridoren weder zum ursprünglichen Auftrag noch in die erste Bauphase verlegt worden war.
Gesamtfläche von 77.000 Quadratmetern
Darüber hinaus sollte die Gesamtprojektfläche von fast 77.000 Quadratmetern räumliche Lösungen sowohl für offene als auch für geschlossene Zonen bieten. Und die Stadtverwaltung wollte sowohl dynamisch-sportliche Aktivitäten inklusive Wettkämpfe als auch „ruhigere“ Aktivitäten, die der Erholung dienen, ermöglichen.
Tennis-Courts, Basketball-Plätze, Fußballfelder, Laufbahnen … alles, was des Sportlers Herz begehrt: Insgesamt finden sich auf dem Dach fünf Tennis- und sechs Basketballplätze sowie zwei Fünfer-Fußballfelder, zudem mehrere Laufbahnen (460 m, 160 m plus eine gerade 200-m-Bahn), zwei Rasenplätze und sechs Wettkampf-Tennisplätze.
Ergänzt wird der Skypark um vier Trainings- und zwei Sandplätze sowie zwei Volleyballplätze. Der Gemeinschaftsbereich verfügt über Grünflächen und einen Fußballplatz in voller Größe. Erreichbar ist das Sport- und Erholungsdach über sechs Zugänge, unter anderem auch von Bodenniveau aus.
Die Wege sind eingeteilt in Freizeitwege, Fußgängerwege und Sportwege für Läufer und Skater. Dies spiegelt sich auch in den verwendeten Materialien wider. Während der Fußgängerweg größtenteils mit Steinen gepflastert ist, ist der Freizeitweg überwiegend mit Holz belegt. Die Sportwege sind mit Gummibelag versehen.
Das internationale Architekturstudio Crossboundaries mit Hauptsitz in Peking wurde 2005 von Binke Lenhardt und Dong Hao gegründet. 2012 gesellte sich ein Partnerbüro in Frankfurt hinzu. Das Büro hat zahlreiche internationale Auszeichnungen erhalten, zuletzt die Architizer A+Awards und den Iconic Award 2020.
Text: Linda Benkö
Fotos/Renderings: Bai Yu, Crossboundaries, v2com