Willkommen im Büro der Zukunft
Die aktuelle Pandemie beeinflusst die zeitgenössische Architektur. Das Büro Ole Scheeren propagiert mit seiner Shenzhen Wave den urbanen, pandemiefreundlichen Arbeitsplatz der Zukunft.
Dafür, dass er ein deutscher Stararchitekt ist, sind seine Projekte auf dem Bundesgebiet überschaubar. Stattdessen sorgt er an anderer Stelle des Globus für eine hohe Dichte seiner Signature-Architektur. Ole Scheeren hat sich darauf spezialisiert, die Skylines südostasiatischer Metropolen mit augenfälligen Landmarks zu pimpen. Sein neuester Entwurf trägt den Namen Shenzhen Wave und soll in Chinas Silicon Valley nicht nur optisch hohe Wellen schlagen.
Mit seinem „flexiblen Archetypen für den Arbeitsplatz der Zukunft“ will Scheeren für den Technologiekonzern ZTE die Schöne Neue Arbeitswelt ausrufen. Zugleich will er „ein Symbol schaffen für Chinas nächste digitale Revolution“. Die plakative Forderung: Kreativoasen statt Büro-Tristesse. Individuelle Entfaltung statt Arbeitsfrust. Ein ehrgeiziger Auftrag, den zuvor bereits Großkonzerne wie Amazon und Google an renommierte Stararchitekten vergeben haben.
Eine Plaza fürs Volk
Das einstige Fischerdorf Shenzhen nördlich von Hongkong gilt als eine der am schnellsten wachsenden Städte der Welt. In der Sonderwirtschaftszone mit dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen Chinas soll ein Super Headquarter District entstehen. In diesem Viertel der Konzernzentralen und Technologieriesen soll Scheerens Welle bis 2023 aufschlagen.
Eine neue Plaza entsteht unter dem schwebenden Volumen. So wird der Stadt wichtiger öffentlicher Raum zurückgegeben.
Ole Scheeren, Architekt
Dabei wollen die Architekten einen Bezug zum urbanen Kontext herstellen und die lokale Community integrieren. Die Shenzhen Wave will als lebendiger Teil der Stadt begriffen werden. Der Baukörper schwebt in luftiger Höhe über dem Bodenniveau und schafft dadurch einen großzügigen Raum darunter. „Eine neue Plaza entsteht unter dem schwebenden Volumen und verbindet die Küste mit dem städtischen Gefüge dahinter. So wird der Stadt wichtiger öffentlicher Raum zurückgegeben.“
Kein Skyscraper, aber voller Superlative
Mit einer Länge von 120 und einer Höhe von 60 Metern entspricht der Entwurf nicht dem typischen Scheeren-Bau. Der Architekt mit dem Faible für die Vertikale war hier durch die örtlichen Bauvorgaben limitiert. Daher entstand statt des Skyscrapers ein Landscraper. An potenziellen Superlativen fehlt es dem geplanten Bauwerk dennoch nicht.
Die einzelnen Geschoßplatten wirken im Rendering wie schludrig übereinander gestapelte Akten, in deren Zwischenräumen sich Menschen auf Terrassen tummeln. Jedes Geschoß ist so groß wie eineinhalb Fußballfelder und bietet komplett freie Formatierungsmöglichkeiten. Die Bürozelle als solche erklärt Scheeren für aufgelöst.
Flexibles Arbeiten in der Welle
„Das Projekt wurde als ‚lebendiger Organismus‘ konzipiert, der neue Formen des Arbeitens und Zusammenlebens ermöglichen soll“, heißt es im Konzept. Mit dem Entwurf wolle man im Zuge der Covid-19-Pandemie die Entwicklung des künftigen Arbeitsplatzes vorwegnehmen. Kernstück dieses Konzeptes ist die maximale Anpassungsfähigkeit der Arbeitsumgebungen.
Das Projekt wurde als ‚lebendiger Organismus‘ konzipiert, der neue Formen des Arbeitens und Zusammenlebens ermöglichen soll.
Ole Scheeren, Architekt
Die namensgebende Welle stülpt sich an zwei Stellen gläsern aus dem Kubus – einmal nach unten und einmal nach oben. Im Inneren der Kubatur ergibt sich dadurch ein diagonal verlaufendes Atrium, das für Luftzirkulation, Sichtbezüge und Begegnungsmöglichkeiten sorgt. Während die untere Welle die Lobby und einen Kultur-Bereich umschließt, ist die Dachwelle eine Tageslicht-Zone für die sozialen Bedürfnisse der Mitarbeiter.
Eine autarke Welt für sich
Üppige tropische Pflanzen erwecken hier den Eindruck eines Parks unter der Käseglocke. In einem Fitnesscenter, einem Café und einer Bar finden gestresste Mitarbeiter Ausgleich von ihrem Arbeitsalltag. Im Grunde müssen sie die Welle gar nicht mehr verlassen, sondern können alle ihre Bedürfnisse pandemiefreundlich direkt vor Ort decken. Eine autarke Welt für sich, die an so manchen Science-Fiction-Thriller erinnert und den propagierten Arbeitsplatz der Zukunft wohl nicht für alle schmackhaft macht.
In der Welle sollen künftig bis zu 5000 Menschen arbeiten. Und wenn es nach ihm gehe, so Scheeren, werden sie dort nicht nur arbeiten, sondern sich „als soziale Wesen entfalten“. Er sieht seinen Bau als Prototypen für das neue urbane Arbeiten, das als Teil des Lebens erlebt wird und nicht als dessen Schattenseite. Ein äußerst ambitioniertes Ziel für ein Architekturprojekt.
Text: Gertraud Gerst
Renderings: Büro Ole Scheeren