Shell dreht den Benzinhahn zu
Der britisch-niederländische Öl- und Gas-Gigant Shell baut eine Großtankstelle in London zu einem Elektro-Hub um. Mit viel Holz-Know-how aus Österreich.
Große Worte. Wenn Konzerne ein neues Feld betreten, messen sie dem gerne eine übergeordnete Bedeutung zu. „Dieses Projekt erlaubt uns, einen Blick in die Zukunft der Elektromobilität zu werfen“, kommentiert István Kapitány, Global Executive Vice President für Mobilität bei Shell den Bau des ersten EV (Electro Vehicle) Lade-Hub seines Konzerns in Großbritannien.
Abschied von der Großtankstelle
Bei dem Elektro-Hub im Westen der britischen Hauptstadt handelt es sich allerdings nicht um irgendeine beliebige Ladestation. Shell hat die Zeichen der Zeit erkannt und angesichts der massiv steigenden Zahlen an E-Autos eine alte Großtankstelle für Benzin und Diesel zu einem Areal umgebaut, an dem ausschließlich Strom getankt werden kann.
In der Nähe der Putney Bridge am Ende der Fulham Road soll den urbanen E-Mobilist:innen damit ein „ganzheitliches Ladeerlebnis“ geboten werden. Für den Konzern ist dies die erste Umwandlung einer klassischen Tankstelle in eine reine Ladestation für Elektrofahrzeuge und damit auch der erste EV-Charging Hub von Shell in UK.
Die Fahrerinnen und Fahrer von Elektrofahrzeugen suchen nach einer Ladelösung, die für sie so schnell, bequem und komfortabel wie möglich ist.
István Kapitány, Global Executive Vice President für Mobilität bei Shell
EV-Hub Fulham lädt zum Shoppen
Die E-Tankstelle am Nordufer der Themse ist mit zehn neuen Charging-Stationen des australischen Herstellers Tritium ausgestattet, beherbergt einen Supermarkt der Kette Little Waitrose & Partners sowie ein Café des in England sehr populären Anbieters Costa. Dazu gibt es Sitzgelegenheiten und einen Wartebereich für Kunden sowie Gratis-WLAN.
Außerdem wurde das klassische Tankstellendach durch eine moderne Holzkonstruktion ersetzt sowie in deren Dach eine Photovoltaik-Anlage integriert. Diese PV-Panels produzieren rund ein Viertel der vom Standort selbst benötigten Energie. Insgesamt stammt der Strom, der an der Ladestationen für Elektrofahrzeuge zur Verfügung gestellt wird, zu 100 Prozent aus zertifizierten, erneuerbaren Energiequellen.
Alle Dach- und Schaufenster wurden mit einer Doppelverglasung mit hohen Isolierwerten ausgestattet, um so den Energieverbrauch sowohl beim Kühlen im Sommer als auch beim Heizen im Winter zu reduzieren.
Holz-Konstruktion als Innovation
Besonders herausgestrichen wird das nachhaltige Design der gesamten Service Station, insbesondere jenes der Holz-Konstruktion, welche die Ladestationen umschließt und überdacht. Sie erinnert entfernt an eine Muschel. Das Design dieser Holzkonstruktion mit ihrer technischen Ausstattung gilt als Neuheit auf der Insel, initiiert von Shell UK.
Vor allem aber ist sie Made in Austria. Die Hasslacher-Gruppe, mit Hauptsitz in Feistritz in Kärnten, zeichnet für die Entwicklung und den Bau der mächtigen, verleimten Holzelemente aus Brettschicht- und Brettsperrholz verantwortlich. Schon deren Herstellung und Transport spart gegenüber einer vergleichbaren Konstruktion aus Stahl deutlich an Energie ein.
Symbiose aus Lärche und Fichte
Verarbeitet wurden dafür 50 Kubikmeter witterungsbeständiges Lärchen-Brettschichtholz sowie rund 60 Quadratmeter Brettsperrholz. Neben Lärche wurde auch Fichtenholz verwendet. Das größere der beiden Überdachungs-Elemente verfügt über acht Achsen und misst in horizontaler Richtung 22 Meter. Die kleinere, gegenüberliegende Dachkonstruktion kommt mit vier Achsen, die sich über eine Länge von rund zehn Metern verteilen, aus.
Beide Dächer kragen rund sieben Meter über den Vorplatz aus. An den Fußpunkten wurden die Brettschichtholzstützen mittels im Boden einbetonierter Edelstahlschlitzbleche verankert. Die Aussteifung des Systems erfolgt über die Brettsperrholzelemente. Die gesamte Holzkonstruktion wurde innerhalb weniger Tage montiert, da die individuellen Achsen bereits im Werk vorgefertigt und als ganze Einheit auf die Baustelle transportiert wurden, heißt es von Hasslacher Norica Timber dazu. Letztendlich wurde durch diese umfassende Vorproduktion die effiziente Montage vor Ort gewährleistet.
Holz aus nachhaltiger Forstwirtschaft lieferte das Rohmaterial für beide vorgefertigte Brettschichtholz-Dächer. Ihre Hauptrolle liegt vor allem in der Trägerfunktion für die BI-PV-Solarmodule, die nicht nur erneuerbare Energie erzeugen, sondern auch natürliches Licht durchlassen. Zudem soll das Dach klarerweise die Kunden auch vor schlechtem Wetter schützen.
Zu dem Gesamtprojekt gehört auch eine vollständig nachhaltige Entwässerungsstrategie, die durch den Einsatz von durchlässigen Pflastersteinen und eines unterirdischen Rückhaltebeckens umgesetzt wurde. Ergänzend investierte Shell größere Summen in Forschung und Entwicklung, um einen geräuschlosen Betrieb der Elektroanlagen – auch an heißen Sommertagen – zu garantieren. Das war vor allem eine Auflage des lokalen Umfeldes und der Bezirksverwaltung.
Mit dem neuartigen Hub ergänzt Shell UK sein bisheriges Netz an Ladestationen, die beispielsweise im Vorfeld von Supermärkten, Unternehmen und an anderen Plätzen installiert sind, das Shell-eigene, öffentliche ubitricity-Ladenetzwerk entlang von Straßen sowie diverse Shell-Ladelösungen für Privathaushalte und Unternehmen.
Shells große Pläne zur E-Mobilität
Shell hatte 2021 den Berliner Ladeinfrastruktur-Spezialisten ubitricity übernommen. ubitricity hatte neben rund 1.500 privaten Ladepunkten für Flottenkunden in ganz Europa sowie einem öffentlichen Netz im Heimmarkt Deutschland insbesondere in Großbritannien ein Infrastruktur von 2.700 Ladepunkten, die in Laternenmasten und in Poller integriert sind, aufgebaut.
Im Jahr 2021 wurden im Vereinigten Königreich rund 190.000 Elektrofahrzeuge neu zugelassen. Allein im Dezember des Jahres wurden 27.705 neue Elektrofahrzeuge verkauft, das entsprach 25,5 Prozent aller Neuzulassungen in diesem Monat. Zu diesem Zeitpunkt gab es in ganz UK aber nur knapp 29.000 Charing Points.
Schon zuvor hatte der Öl- und Gas-Multi Shell angekündigt, in Großbritannien groß in den Markt mit Ladestationen einzusteigen. Bis 2025 will der Konzern über die nunmehrige Tochtergesellschaft ubitricity in gesamt Großbritannien 50.000 Straßen- sowie bis zu 800 E-Ladestationen an rund 100 Standorten der Supermarkt-Kette Waitrose installieren.
Der britische Bau- und Architekturkonzern Bowman Riley mit Büros in Leeds, London und in Skipton in der Provinz North Yorkshire wurde mit der Planung und Umsetzung des Fulham E-Hub beauftragt. Das Unternehmen mit rund 70 Mitarbeiter:innen hatte sich zuvor bereits in einem von Shell ausgeschriebenen Wettbewerb für eine Flagship-Tankstelle im Londoner Stadtteil Barnet den Sieg geholt. Diese Service-Station sollte jeweils 50 Prozent klassisches Tankgeschäft und E-Lade-Anteil bieten und den Kundenstrom mittels eines neuartigen Drive-Thru-Konzepts leiten. An dieses mehrfach preisgekrönte, aber bis heute nicht realisierte Projekt knüpft der Entwürfe für den E-Hub in Fulham thematisch an.
Zwischen Baugenehmigung und der offiziellen Eröffnung des Shell-Schnellladeparks in Fulham lagen gerade einmal 20 Monate. Diese fand im Januar 2022 statt.
Text: Albert Sachs
Fotos: Shell
Fotos: Gary Britoni / Hasslacher
Fotos: Bowman Riley