Scion Innovation Hub, New Zealand, RTA Architects, Irbing Smith Architects, Holzbau, Diagrid-Struktur
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Im Dreieck liegt die Kraft

Dass Holzgebäude genau so gebaut werden müssen wie Stahl- und Betonbauten, widerlegt der Scion Innovation Hub in Neuseeland. Die weltgrößte Diagrid-Struktur aus Furnierschichtholz reduziert den Holzbedarf um 75 Prozent und widersteht sogar Erdbeben.

Die drei Spitzen an der Front des neuen Gebäudes sind schon von weithin sichtbar. Sie repräsentieren die drei lokalen Stämme der Maori, deren berühmter Vorfahre Tuteata zum Namensgeber für das Gebäude geworden ist: Te Whare Nui o Tuteata, was so viel heißt wie „das große Haus von Tuteata“. Diese Spitzen markieren den Eingang zu einem der innovativsten Holzbauten unserer Zeit, der in der Stadt Rotorua, auf der Nordinsel Neuseelands, steht. Der Scion Innovation Hub verfügt über ein ressourcenschonendes Holztragwerk, das sich die Verästelungen eines Baumes statisch zunutze macht. 

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Im Atrium zeigt sich die Holzbaukonstruktion in ihrer vollen Höhe.

Sehr selten steht ein Ast senkrecht zum Stamm. Er verläuft normalerweise diagonal, was die Last verringert, und dieses Verhältnis zwischen horizontaler und vertikaler Lastabtragung ist der Schlüssel zur Kraft.

Richard Naish, Architekt

„Sehr selten steht ein Ast senkrecht zum Stamm. Er verläuft normalerweise diagonal, was die Last verringert, und dieses Verhältnis zwischen horizontaler und vertikaler Lastabtragung ist der Schlüssel zur Kraft“, erklärt Richard Naish, Architekt und Gründer von RTA Studio. Das an drei Standorten in Neuseeland vertretene Architekturbüro war gemeinsam mit Irving Smith Architects für den Entwurf des Gebäudes verantwortlich. 

Ein Holzbau als Ausflugsziel

Der durchwegs transparente Bau zeigt auf eindrucksvolle Art, was mit den neuen Holzwerkstoffen heute alles möglich ist. Für das Scion Timber Research Institute, das hier untergebracht ist, fungiert er als anschauliche Case Study, für die Stadt als neue Attraktion. Und tatsächlich hat sich das mehrfach preisgekrönte Gebäude seit seiner Eröffnung 2021 zu einem wahren Besuchermagneten entwickelt. Ausflügler kommen zum Mittagessen ins öffentliche Café nach einem Spaziergang im angrenzenden Whakarewarewa Wald, während sich Industrie- und Behördenvertreter Anregungen und Know-how für die Baupraxis holen.

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Die drei Spitzen des Eingangsportals repräsentieren die drei lokalen Stämme der Maori.

Die außergewöhnliche Konstruktion erschließt sich beim Betreten des Gebäudes auf den ersten Blick. Im hohen Luftraum der Lobby zeigt sich die markante Diagrid-Struktur, die sich über alle drei Stockwerke zieht. Den Besucherinnen und Besuchern des Zentrums muss man nicht lange erklären, was hier von welchen Bauteilen getragen wird. 

Die Diagrid-Elemente übertragen die Last auf die Sicherungsringe, die bei einem Erdbeben nachgeben und ausgetauscht werden können.

Richard Naish, Architekt

Die im ganzen Gebäude sichtbare Konstruktion ist quasi selbsterklärend. Lediglich die ovalen Stahlbänder, die seitlich zwischen den einzelnen Holzbauteilen platziert sind, müssten die zuständigen Holzbauingeneure erklären.

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Das Muster der Glasbeschichtung stammt von den Maori und reguliert den Sonneneintrag ins Gebäude.

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Andere Gestaltungselemente, die von den Maori entlehnt sind, bilden die Schnitzereien am Eingangsportal.

Architekt Naish löst das Rätsel im zugehörigen Projektfilm: „Die Diagrid-Elemente übertragen die Last auf die Sicherungsringe, die bei einem Erdbeben nachgeben und ausgetauscht werden können.“

Weltgrößte Diagrid-Struktur

Die Tragstruktur besteht aus 4.248 Bauteilen, die werkseitig zu 88 Dreiecksrahmen vorgefertigt wurden. Statt auf Metallverbindungen setzten die Architekten auf Schwalbenschwanzverbindungen aus Holz, zumal der Auftrag lautete, ein möglichst innovatives Holzgebäude zu schaffen. Als Holzwerkstoff setzten sie in der Konstruktion das leistungsstarke Furnierschichtholz (Laminated Venen Lumber, LVL) ein, die Decken in den oberen Geschossen bestehen aus Brettsperrholzelementen.

Laut RTA Studio handelt es sich bei dem Bausystem um das weltweit erste Gebäude in dieser Größe mit einer Diagrid-Struktur aus Holz. Diese Art der diagonalen Gitterkonstruktion hat sich im Stahlbau bereits bewährt, mit „The Gherkin“, Norman Fosters parabolischem Wolkenkratzer in London als prominentem Beispiel. Und auch dem Holzbau soll das Diagrid-Tragwerk zu neuen Höhen verhelfen können, wie die Konzeptstudie River Beech Tower von Perkins+Will zeigt. Demnach können mit dieser Bauweise Holz-Hochhäuser möglich werden, die eine Höhe von 280 Meter erreichen.

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Die schlanke, skulpturale Holztreppe scheint im Raum zu schweben.

Co2-neutrale Bauweise

Ein großer Vorteil der Diagrid-Struktur ist das schlanke Tragwerk, das den Materialaufwand reduziert. Im Fall des Scion Innovation Hub kommt auch noch das besonders belastbare Furnierschichtholz hinzu, wodurch sich noch mehr Material einsparen ließ. „Wir haben ein Bausystem entwickelt, das die Größe der Holzbauteile um 75 Prozent reduziert“, so Naish in der Videopräsentation des Projekts.

Wir haben ein Bausystem entwickelt, das die Größe der Holzbauteile um 75 Prozent reduziert.

Richard Naish, Architekt

Im verbauten Holz seien zudem rund 500 Tonnen CO2 gespeichert. Zusammen mit den anderen Materialien ergibt sich eine CO2-neutrale Bauweise, wie eine Prüfung durch das Etool-System ergeben habe.

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In der Nacht strahlt aus dem Baukörper warmes Licht nach draußen.

Für den energieeffizienten Betrieb des Gebäudes sorgen unter anderem die hinterlüftete Doppelfassade und die gemusterte Glasbeschichtung, die den Sonneneintrag ins Gebäude reduziert. Auch bei diesem Muster, ebenso wie bei den Schnitzornamenten am Eingangsportal, hat man sich Anleihen bei den ansässigen Maori geholt.

Indigene Bauweisen sind zirkulär

Die Inklusion der neuseeländischen Ureinwohner ist dabei mehr als nur ein Lippenbekenntnis. Abgesehen von den formalen Gestaltungselementen verbindet das staatliche Institut, das den Holzbau erforscht, eine enge Partnerschaft mit diesen Stämmen. Schließlich werden die traditionellen Versammlungshäuser der Maori, Wharenui genannt, auch heute noch aus geschnitzten Holzbauteilen gefertigt. 

Das überlieferte Wissen, das viele indigene Völker über das zirkuläre Bauen mit Materialien aus der Natur haben, kann so in aktuelle Forschungen mit einfließen. Und damit den Weg in eine klimaneutrale Zukunft weisen.

Text: Gertraud Gerst
Fotos: Patrick Reynolds

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