Durch und durch aus Holz
Und wieder sind die Skandinavier eine Nasenlänge voraus. Das Sara Kulturhus im schwedischen Skellefteå zählt zu den höchsten Highrise-Strukturen der Welt, die zur Gänze aus Holz gebaut sind.
Der Holzbau in Schweden hat eine lange Tradition. Bis 1994 war er auf eine maximale Höhe von zwei Stockwerken beschränkt. Dies war historisch begründet durch zahlreiche Stadtbrände. Mittlerweile nimmt Schweden im Holzbau eine Sonderstellung ein, denn es gibt keine Beschränkungen mehr, was die Bauhöhe betrifft. „Wenn man es schafft, ein Holzgebäude zu entwerfen, das hoch ist und hält, dann darf man es auch bauen“, erzählt der junge Architekt Oskar Norelius. Er und sein Kollege Robert Schmitz von White Arkitekter gewannen mit ihrem Entwurf „Sida vid sida“ („Seite an Seite“) den Wettbewerb um das Sara Kulturhus in Skellefteå.
In der nordschwedischen Stadt knapp unterhalb des Polarkreises sollte ein neues Kulturzentrum entstehen, das alles vereint: Theater, Museum, Kunstgalerie, Stadtbücherei, Konferenzzentrum und obendrein ein neues Hotel als touristischer Motor.
Ein Hochhaus ohne Betonkern
Mittlerweile steht der Bau kurz vor der Eröffnung. Mit seinen 20 Stockwerken und einer Höhe von 80 Metern wird er nach dem Mjøstårnet im norwegischen Brumunddal das höchste Hochhaus der Welt sein, dessen Struktur zur Gänze aus Holz besteht. Während die meisten Gebäude dieser Art in Holz-Hybrid-Bauweise errichtet werden, steckt in den skandinavischen Modellen kein Betonkern zur Aussteifung. Im nordschwedischen Pionierbau wurden hingegen auch die Aufzugschächte aus CLT-Elementen gebaut.
Wenn wir über Holz in großen Gebäuden sprechen, dann haben wir es hier mit einem High-Tech-Baumaterial zu tun.
Oskar Norelius, Architekt
Das gesamte Holz des neuen Kulturzentrums stammt aus den Wäldern der Region. Die Rahmenkonstruktion ließ der Generalunternehmer im rund 60 Kilometer entfernten Bygdsiljum produzieren. Die 205 Module für die Hotelzimmer ließ er in Renholmen vorfertigen, nur wenige Autominuten von der Baustelle entfernt. Das Architekturbüro betont, dass dieses Projekt nur durch die enge Zusammenarbeit der unterschiedlichen Gewerke, das Wissen lokaler Holzfachleute und die neuesten Erkenntnisse in der Holzwerkstofftechnik möglich war.
Ein High-Tech-Baumaterial
Die größte Herausforderung für die Architekten war es, die Verantwortlichen zu überzeugen, das Risiko für etwas zu übernehmen, das noch nie zuvor gebaut wurde. Denn Menschen haben Vorbehalte, sagt Norelius, wenn es um Holz als Baumaterial geht. Jeder habe eine Beziehung zu Holz und kenne es vom Kleinformat, wie zum Beispiel der Hütte. „Sie fragen sich: Wird es überhaupt stehen? Und was ist mit Feuer und Wasser?“
Aber das Holz von der Hütte und von einem Hochhaus wie diesem könne man nicht vergleichen. „Wenn wir über Holz in großen Gebäuden sprechen, dann ist das Ausgangsmaterial zwar dasselbe, aber wir haben es hier mit einem High-Tech-Baumaterial zu tun“, erklärt Norelius im zugehörigen Projektvideo. Er spricht von CLT (Cross Laminated Timber) und Glulam (Glued Laminated Timber), jenen Holzbauelementen, die bei Hochhäusern dieser Art eingesetzt werden.
Man wird das Gefühl haben, in einem Hochhaus zu stehen, und irgendwie wird man sich auch wie in einer Holzhütte fühlen.
Oskar Norelius, Architekt
Im Fall von Feuer werde nur die Oberfläche des Holzes verkohlt, die dann die inneren Schichten vor der Hitze schützt. Ein Effekt übrigens, der in Japan bereits seit vielen Jahrhunderten in der Holzversiegelungstechnik Shou Sugi Ban genutzt wird.
Aus Verantwortung für das Klima
Mit dem Entwurf gewannen White Arkitekter den MIPIM Future Project Award 2018. Das international tätige Architekturbüro hat sich dem nachwachsenden Rohstoff Holz und der ökologisch nachhaltigen Architektur verschrieben. Ihr soeben eröffnetes Null-Energie-Hotel außerhalb von Stockholm ist das erste seiner Art in Skandinavien. „Als Architekten haben wir die Verantwortung, etwas gegen den Klimawandel zu unternehmen“, so heißt es in ihrem Mission Statement.
Bereits im September 2021 öffnet das Sara Kulturhus seine hölzernen Pforten. „Wenn es fertig ist, und ich im 20. Stockwerk des Gebäudes stehe, werde ich vermutlich überrascht sein vom Ausblick über die gesamte Landschaft rund um Skellefteå“, malt sich Norelius aus. „Man wird das Gefühl haben, in einem Hochhaus zu stehen, und irgendwie wird man sich auch wie in einer Holzhütte fühlen.“
Text: Gertraud Gerst
Visualisierungen: White View, Luxigon, White Arkitekter