Saitensprung auf Chinesisch
In der chinesischen Stadt Pingle entsteht gerade ein Kunst-Hotel, das auf ganz besondere Art und Weise gute Vibes in die Welt entsendet: Es hat ein Saiteninstrument zum Vorbild!
In diesem Fall sollten wir wohl eher ein Liebeslied anstimmen, als trockene Zeilen zu texten. Ganz konkret nämlich das Lied „Feng Qiu Huang“. Ein altes chinesisches Stück, das man seit gut 2000 Jahren auf der so genannten Guqin, einer Art chinesischen Zither, begleitet.
Eine Legende als Kunst-Hotel
Denn um eben dieses alte Lied und das dazugehörige Saiteninstrument dreht sich in der folgenden Geschichte einfach alles. Und das, obwohl es sich eigentlich um die Story eines modernen Hotels handelt, das demnächst seine Pforten öffnen soll – um das „M50 Art Hotel“.
Doch es war eben jenes Liebeslied und die damit verknüpfte Liebesgeschichte, die bei der Kreation des außergewöhnlichen Kunst-Hotels in der Stadt Pingle Regie geführt hat. „Als wir erfuhren, dass in dieser Stadt die in China berühmte Liebesgeschichte des Dichterpaars Zhuo Wenjun und Sima Xiangru verortet ist, war klar, dass wir Elemente daraus in unseren Entwurf integrieren wollten“, heißt es in einem offiziellen Statement des mit dem Bau des Objekts beauftragten MUDA-Studios.
Wir haben die Saiten sozusagen aus dem Instrument und der Geschichte extrahiert. So konnten wir die Vibration der Musik einfrieren und in Architektur gießen.“
Die Architekten von MUDA
Um also das Bauwerk, von dem hier die Rede ist, überhaupt erst verstehen zu können, muss man zuerst besagte Romanze kennenlernen. In diesem Sinne: Long Story, short:
Liebe auf den ersten Ton
Auf seinem Weg nach Chengdu wurde Dichter Sima Xiangru von Lin Hong in der Provinz Sichuan in dessen Kunst-Zirkel eingeladen. Welch große Ehre! Also zückte der kunstschaffende Gast gerne seine Guqin (siehe erster Absatz oben) und fing an zu musizieren. Seine wundervollen Klänge aber drangen bis an die Ohren von Lin Hongs Tochter Zhuo Wenjun.
Von ihnen betört, betrat sie schließlich die Gemächer des Kunst-Zirkels – und schon war es um die schöne Tochter des Gastgebers geschehen. Also schworen sie und Sima noch an Ort und Stelle, fortan für immer Seite an Seite – oder in diesem Fall vielleicht eher „Saite an Saite“ – durchs Leben zu gehen.
Die alte Zither …
… und ihre Saiten …
… dienten als Vorlage …
… für das Kunst-Hotel.
Jedenfalls aber wurden die Architekten von MUDA heute noch von diesen besonderen Zither-Saiten inspiriert. „Wir haben sie sozusagen aus dem Instrument und der Geschichte extrahiert. So gelang es uns, die Vibration der Musik auf ihrem Höhepunkt einzufrieren und in Architektur zu gießen“, sagen sie offiziell. Damit wolle man auf die künstlerische Historie der Region referenzieren und gleichzeitig eine besondere Kraft in den Bau einfließen lassen. Wohl die der Liebe.
Die Saiten einer gigantischen Zither
Aber was heißt das nun konkret für das Gebäude? Das 80 Meter lange, 20 Meter breite und vier Stockwerke hohe Kunst-Hotel wird von dynamischen und unerwarteten Kurven sowie fließend wirkenden Oberflächen dominiert. Auf diese Art und Weise soll das rasche Vibrieren der Zither-Saiten in großem Maßstab baulich imitiert werden.
Damit nicht genug, besteht diese äußere, so genannte „Vorhangfassade“, aus horizontal durchschnittenen Aluminiumplatten, denen wiederum eine Bambus-Textur verpasst wurde. Hintergrund: Damit möchte man zusätzlich auf die historische Bambuskultur der Region verweisen.
Der Haupteingang des Gebäudes befindet sich unterhalb des am stärksten „schwingenden“ Teils des Hotels, unter dem Höhepunkt des Musikstücks, also. Hier wird durch die Verwendung von transparentem Glas eine Durchlässigkeit (für Gefühle!) geschaffen, die den gesamten Eingang dominiert.
Auf der Balkonseite des Objekts führen überlappende und ineinander verschachtelte Schichten das fließende Konzept weiter fort. So soll ebenso eine rhythmische Wirkung erzielt werden.
Dach als sozialer Resonanzkörper
Im Inneren tragen unterschiedliche Kurvenelemente den Rhythmus des Hotels (und somit des alten Liedes) weiter. Eine 16 Meter hohe Wendeltreppe sorgt nicht nur für die Verbindung der einzelnen Stockwerke, sondern auch für die vertikale Transformation der Gesamtidee. Jedenfalls aber mündet diese auf dem Dach des Hotels, wo das gesellschaftliche Leben den Klängen dieser überdimensionalen Zither folgen soll: Ein so genannter Himmelsgarten bietet Platz für soziale „Resonanzkörper“ – eine Bar und einen Infinity-Pool.
Apropos Ausblick Richtung Unendlichkeit: Nach Jahren des Glücks entschwand laut Legende Sima Xiangru in die Arme einer jungen Konkubine. Von seinem „Saitensprung“ schwer getroffen, griff nun umgekehrt Zhuo Wenjun in die Kunst-Kiste – und verfasste das in China heute ebenso berühmte Gedicht „A White-haired Couple“. Zeilen, die ihn tief bewegten und dazu brachten, seine Gespielin auf der Stelle links liegen zu lassen.
Das Ende vom Lied: Und wenn sie nicht gestorben sind, so lebten sie auf jeden Fall so lange, bis sie ein weißhaariges Ehepaar waren. Und vielleicht sogar bis heute.
Text: Johannes Stühlinger
Fotos: MUDA-Architects