Dem kanadischen Büro Maurice Martel Architecte ist mit dem Chalet Rustic Grade der perfekte (Ent-)Wurf gelungen. Trotz der bewusst klein gehaltenen Grundfläche muss man im Kubus auf keinen Zentimeter Komfort verzichten.

Anderswo sagen sich Fuchs und Hase „Gute Nacht“. In Mandeville grüßen Bären, Elche, Wölfe und Luchse mit „Bonjour“. Denn der nördliche Teil der kleinen Kommune in der kanadischen Provinz Québec gehört zum Mastigouche Wildlife Reserve. Pate für das dicht bewaldete Paradies stand der gleichnamige Fluss, in dem sich auch Forellen und Barsche tummeln. Gemeinsam mit den vielen Seen, die das Gemeindegebiet durchziehen, machen Fluss und Reservat die Gegend zu einem beliebten Ausflugsziel für Angler und Jäger.

Zwei Wünsche, ein Chalet

Tier- und Naturschützer, aber auch die Bürgerinnen und Bürger freut das nicht immer. Erstere hätten gern Ruhe für die artenreiche Flora und Fauna, letztere für sich selbst. Die Klienten des Montréaler Büros Maurice Martel Architecte wünschten sich beides gleichermaßen. Ihr Auftrag an das Planungsteam lautete daher, ein stilles Rückzugsrefugium zu schaffen, das die Umwelt so wenig wie möglich beeinträchtigt.

Rustic Grade, Kubus, Eingangsbereich
Ein vorgelagerter kleinerer Kubus schützt den Eingangsbereich des Wohnwürfels und dient als Stauraum.

So entstand auf ihrem Waldgrundstück, das im Süden durch einen Fluss begrenzt wird, ein Mini-Chalet. Die Architekten tauften es Rustic Grade. Passender wäre vielleicht Rubik’s Cube gewesen. Denn das Haus ist ein nahezu perfekter Würfel, dessen zeitlose, funktionale Architektur auf das Wesentliche reduziert ist. Mit seinen geraden Linien bildet der moderne Kubus einen schönen Kontrast zum umgebenden organischen Baumbestand. Ansonsten schwingt das Haus aber ganz harmonisch und im Einklang mit seiner Umgebung. Denn die Grundfläche hielt man bewusst klein, der Wald blieb weitghend unberührt.

Kompakter Grundriss, viel Platz

Innen muss man dennoch nicht auf Komfort und Platz verzichten. Im Bewusstsein seiner Grundfläche wurde das Chalet in jedem Detail optimiert. Der zweigeschossige Bau bringt es so nicht nur auf eine Gesamtwohnfläche von 130 Quadratmetern. Auch das offene Design der Räume und die großen Fenster lassen kein Gefühl der Enge aufkommen. Für den doch nötigen zusätzlichen Stauraum – irgendwo müssen Skier und Wärmepumpe ja hin – sorgt ein zweiter, kleinerer Kubus aus Beton. Er ergänzt das Haupthaus in perfekter Kontinuität und schafft nicht nur eine optische Hierarchie, sondern auch einen geschützten und definierten Eingangsbereich.

Rustic Grade Wohnbereich
Viel Tageslicht und sechs Meter Raumhöhe lassen im sowieso schon offenen Wohnbereich kein Gefühl der Enge aufkommen.

Apropos geschützt: „Die Anzahl der Fenster wurde aus Gründen der Energieeffizienz begrenzt“, erklären die Maurice-Martel-Architekten. Und auch ihre Ausrichtung überließen sie nicht dem Zufall. Um so viel natürliches Licht wie möglich in die Zimmer zu holen, verzichteten sie darauf, das Chalet nach Norden zu öffnen. „Stattdessen wurden insbesondere die großen Eckfenster des Rustic Grade nach Süden ausgerichtet.“ Was einen weiteren Vorteil hat, geben sie doch den Blick auf den Fluss hinter den Fichten frei. Zusammen mit dem Geräusch des unermüdlich fließenden Wassers trägt das Panorama zum fast spirituellen Charakter des Hauses bei.

Nussbaumholz und Nischendasein

Für den Rest des Wohnwohlgefühls sorgt dann das Design von Innenarchitektin Caroline Tourigny. Das Erdgeschoss – ein offener Raum mit kalkgestrichenen Wänden und Betonboden – besticht durch seine zugleich minimalistische und warme Ästhetik. „Der Holzofen ist so vor der Fensterkreuzung platziert, dass man das Feuer in der Behaglichkeit des Innenraums genießen kann, während man sich durch den Blick ins Grüne wie im Freien fühlt“, so Tourigny.

Nach hinten raus öffnet sich das Wohnzimmer zu einer unaufgeregten Küche. Ihre Nussbaumholzfronten verbinden elegant den skandinavischen und japanischen Stil miteinander. Alles, was diese klare Ordnung optisch stören könnte, wurden in einer Nische untergebracht.

Rustic Grade Küche
Das Erdgeschoss beherbergt auch die Küche mit Esstisch.

Rustic Grade multifunktionale Galerie
Gäste-, Yoga-, Arbeitszimmer? Die Galerie kann alles sein.

Ins Obergeschoss des Rustic Grade führt eine schlichte Treppe aus Esche. Direkt über dem Wohnbereich liegt die multifunktionale Galerie, die als Gästezimmer, aber auch als Büro oder Entspannungsoase genutzt werden kann. Das Fehlen von Trennwänden und -decken zwischen den beiden Ebenen ermöglicht eine vertikale Verbindung von oben und unten. Die volle Höhe des Kubus – immerhin sechs beeindruckende Meter – lädt ein, Blick und Gedanken schweifen zu lassen.

Von der Sauna ins Bett

Herzstück der intimen, mit rustikalem Fichtenholz verkleideten zweiten Etage ist aber sicherlich die Sauna. Sie wurde so konzipiert, dass sie ein ultimatives Entspannungserlebnis inmitten der ruhigen Schönheit der Natur bietet – ihrem wandfüllenden Fenster sei Dank. Rechts davon haben die Planer zudem eine Öffnung geschaffen, die das Morgenlicht von der Sauna bis hinunter in den Wohnbereich fallen lässt.

Eine weitere Oase auf dieser Wohnebene ist das kokonartige Hauptschlafzimmer. Von seinem von rohem Holz umrahmten Bett aus hat man einem atemberaubenden Blick auf den Wald und fühlt sich fast wie ein Vogel im Nest.

Rustic Grade Saunabereich
Schwitzen mit Ausblick: Durch das große Fenster wirkt die Sauna eher wie eine Logia.

Rustic Grade Minimalismus
Innenarchitektin Caroline Tourigny setzte auf Holz, kalkgestrichene Wände und Minimalismus.

So elegant und luxuriös das Domizil auch wirken mag: Durch die sorgfältige Auswahl langlebiger und wartungsfreier (Bau-)Materialien hielten sich die Er- und Einrichtungskosten in Grenzen. Und der Kubus wird auch in Zukunft nur wenig Geld für die Instandhaltung verschlingen. Möglich, dass etwas vom eingesparten Budget in die Unterstützung des Mastigouche Wildlife Reserve fließen wird. Bären, Elche, Wölfe und Luchse würden jedenfalls artig „Merci“ sagen.

Wer jetzt schon dankt, ist Québecs Chalet-Designszene. Sowieso schon facettenreich – die Palette reicht von Forest-Glamping im Skigebiet bis hin zum Wochenenddomizil im Hundehütten-Style –, wird der bei Mandeville gefallene Rustic-Grade-Würfel das architektonische Spielfeld noch einmal erweitern.

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Text: Daniela Schuster
Bilder: Adrien Williams via v2com-newswire.com

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