Runderneuerung einer Ikone
Viel gelobt, aber auch oft kritisiert, ist die Zentralbibliothek von Rotterdam eines auf jeden Fall: Ein bedeutendes Wahrzeichen der Stadt. Jetzt steht eine Runderneuerung der Ikone bevor, die dem 1980er-Jahre Bauwerk nachhaltig modernen Glanz bescheren wird.
Der häufig kolportierte Satz stammt, wie es heißt, aus dem Mund eines ehemaligen Beamten der Rotterdamer Stadtregierung: „Man kann sie lieben oder hassen, die Bibliothek ist unbestreitbar eine Ikone“. Locker auf den Punkt gebrachte Fakten. Denn die exzentrische Architektur des in den frühen 1980er-Jahren errichteten Gebäudes scheidet zwar seit jeher die Geister. An der Bedeutung der Zentralbibliothek Rotterdam als eines der wichtigsten Wahrzeichen der Stadt ist jedoch nicht zu rütteln. Auch dass sie jetzt einer neuen Ära entgegengeht, ist fix: Der Wettbewerb um die Runderneuerung der Ikone wurde jüngst entschieden.
Der begehrte Auftrag zur Wiederbelebung und Erweiterung der Zentralbibliothek Rotterdam ging an die Büros Powerhouse Company, Atelier Oslo und Lundhagem. Ihr gemeinsam erarbeiteter Sieger-Entwurf verspricht, das von Van den Broek & Bakema entworfene und von Hans Boot ausgeführte Wahrzeichen zu zeitgemäßem Glanz zu führen.
Eröffnung im Jubiläumsjahr
Die Bauarbeiten sollen Ende 2025 beginnen und bis Ende 2028 abgeschlossen sein. Läuft alles nach Plan, könnte also im Jahr des 45-jährigen Bestehens Eröffnung gefeiert werden.
Unser Entwurf zielt darauf ab, dem Bauwerk seinen früheren Glanz zurückzugeben. Oder, besser gesagt: den Glanz, den es hätte haben sollen.
Nanne de Ru, Architekt und Gründer des Büros Powerhouse Company
Dass dieses Projekt Gewicht hat und einige Herausforderungen mit sich bringt, ahnt man auch als Laie schon beim Anblick der Zentralbibliothek Rotterdam. Mit ihren wuchtigen gelben Röhren erinnert sie ein wenig ans Pariser Centre Pompidou. Der Bau füllt einen quadratischen Stadtblock aus. Ein diagonaler Einschnitt sorgt für die Ausrichtung auf den Marktplatz und bringt Licht ins Atrium. Über dieser Öffnung gibt ein gläserner „Wasserfall“ den Blick auf einen Turm mit sich kreuzenden Rolltreppen frei, die über die gesamte Gebäudehöhe verlaufen.
Symbol des Wandels
Historisch gesehen markiert die Bibliothek nicht nur Rotterdams Entwicklung vom Industriehafen zum Wissenszentrum. Sie verdeutlicht auch den Übergang vom Monumentalismus der Nachkriegszeit zur Stadtplanung im menschlichen Maßstab. Ihre ursprünglichen Planer hatten Großes vor. So war Hans Boot der Ansicht, dass „öffentliche Gebäude in einer Stadt hervorstechen sollten“. Und Jacob Bakema war überzeugt, sowohl Gebäude als auch Stadt sollten einen Dialog zwischen Alleinsein und Zusammengehörigkeit, dem großen und dem kleinen Maßstab beinhalten.
Die Ausführung entsprach zu guter Letzt allerdings aus budgetären Gründen nicht ganz dem Entwurf. Die aktuelle Runderneuerung soll wettmachen, was damals nicht gelang, erklärt Powerhouse Company Gründer Nanne de Ru: „Die Qualität des Gebäudes – insbesondere seine Fassade und Materialisierung – konnte in den 80er Jahren nicht optimiert werden. Unser Entwurf zielt darauf ab, dem Bauwerk seinen früheren Glanz zurückzugeben. Oder, besser gesagt: den Glanz, den es hätte haben sollen.“
Urbanes Wohnzimmer
Der neue Entwurf ist ein Musterbeispiel gekonnter Neugestaltung. „In den vergangenen Jahren hat sich das Verständnis einer Bibliothek radikal verändert“, analysiert Nils Ole Brandtzæg von Atelier Oslo. Deshalb werden die bestehenden Sammlungs- und Lagerräume nun in eine offene und einladende Umgebung umdesignt, in der Menschen zusammenkommen und arbeiten können.
Brandtzæg: „Die neue Zentralbibliothek Rotterdam wird zu einem Wohnzimmer für die ganze Stadt. Sie bietet eine neue Art von öffentlichem Raum, die ein Gebäude aus den 1980er Jahren in eine zukunftssichere, moderne Bibliothek verwandelt“.
Das niederländische Büro Powerhouse Company ist für nachhaltige, klug-innovative Projekte bekannt. Seine norwegischen Mitstreiter Atelier Oslo und Lundhagem wiederum haben Erfahrung in Sachen Bibliothek – und Erfolg: Sie waren für den Entwurf der Osloer Deichman-Bibliothek verantwortlich. Und diese wurde 2021 immerhin zur „öffentlichen Bibliothek des Jahres“ gewählt. Man darf also getrost davon ausgehen, dass auch die 25.173 Quadratmeter der Rotterdamer Institution zum famosen, zukunftsfitten Besucher-Paradies geraten werden.
Dass die Umnutzung bestehender Gebäude im urbanen Raum immer wichtiger wird, liegt angesichts längst überdicht verbauter Städte auf der Hand. Bestehendes neu zu nützen, spart nicht nur Platz und Material. Es dient – wenn achtsam ausgeführt – auch der Bewahrung der gewachsenen Identität der Stadt.
Runderneuerung einer Ikone
Das von Powerhouse Company, Atelier Oslo und Lundhagem designte Umbaukonzept liefert ein schönes Beispiel. Und die Runderneuerung einer Ikone wie der Zentralbibliothek Rotterdam bietet den Architekten die einmalige Gelegenheit, einen ursprünglichen, spektakulären Entwurf zu optimieren.
Die kulturellen und historischen Merkmale, Werte und Besonderheiten wurden effektiv untersucht, interpretiert und, wo nötig, modernisiert.
Stadt Rotterdam und Stadtbibliothek Rotterdam
Die Erneuerung greift die Grundgedanken der Bibliothek wieder auf und schafft ein intimes „Wohnzimmer für die Stadt“. Zugleich wird ein bedeutendes Stück öffentlicher Architektur aufgewertet. Es wird in Einklang mit aktuellen Standards für Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft gebracht. In einer Stadt, die für experimentelle Bauten bekannt ist.
Die „neue“ Zentralbibliothek Rotterdam
Das Architekten-Team modernisiert das Innere des Gebäudes umfassend: Die Zentralbibliothek Rotterdam wird nach allen Seiten hin geöffnet. An der Rückseite wird ein transparenter Anbau mit einem Atrium hinzugefügt. Und bislang geschlossene Lagerbereiche macht der Umbau zu offenen, einladenden Räumen. Dadurch stehen Besuchern künftig viele zusätzliche Ecken und Nischen zur freien Wahl.
Vom seinerzeit beengten Budget besonders betroffen waren die Fassade und die Fenster. Transparenz wurde zugunsten preisgünstiger, aber schwerer Fensterrahmen geopfert. Die Neugestaltung verwandelt die Glasschicht in eine nahtlose Fläche. Dies sorgt für ein leichtes, fließendes Raumerlebnis mit durchgehendem Blick nach draußen.
Bequeme Verbindungen
Die unteren, sich kreuzenden Rolltreppen wurden in der Bauphase falsch positioniert. Dies beeinträchtigte den Rhythmus des Entwurfs. Jetzt wird die Verbindung zwischen den Etagen durch eine hölzerne Amphitheater-Treppe verbessert.
Die ursprünglich zur Klimatisierung gedachten, gelben Rohre bleiben in Verwendung. Sie saugen unbehandelte Luft an und transportieren verbrauchte ab. Durch ihre Verlängerung bis zum Boden werden sie zum Teil des Straßenbildes: Handfest, erreichbar und noch stärker in den Mittelpunkt des Designs gerückt.
Mehr Platz und Licht
Eine neue, verglaste Holzkonstruktion im hinteren Teil der Zentralbibliothek Rotterdam sorgt künftig für zusätzliche Nutzfläche, Licht und Transparenz. Wie der ehemalige Lagerraum, den sie ersetzt, wird sie in Blau gehalten. So, dass die weiß-gelb-blaue Farbsignatur des Gebäudes bestehen bleibt. Zudem sorgt der neue Anbau für Harmonie zwischen moderner Rundform und dem exzentrischen Look des alten Gebäudes.
Durch Auslagerung der technischen Bereiche aus dem Dachgeschoss wird auch dieses für Besucher zugänglich. Svein Lund vom Büro Lundhagem: „Es kann dann zu einer urbanen Oase werden und bietet der Bibliothek ganz neue Qualitäten mit Panoramablick über die Stadt. Ein echtes Geschenk an Rotterdam“.
Offen und durchlässig
Weil der abgelegene Haupteingang des ursprünglichen Entwurfs immer als isoliert empfunden wurde, fügen die Architekten an jeder Seite neue Eingänge hinzu. Diese verbessern die Durchlässigkeit des Erdgeschosses und öffnen den Komplex fürs umgebende Stadtgefüge. Und aus dem vernachlässigten Eckvolumen am Marktplatz wird durch die Neugestaltung eine attraktive Terrasse.
Im Inneren der Ikone zielt der Entwurf auf intime, entspannte Atmosphäre ab. Die Runderneuerung der Ikone ergibt eine Abfolge von Räumen für lebendiges und flexibles Programm. Und zwar von Kochwerkstatt und Kletterwand für Kinder bis zu Plätzen zum Lernen, Lesen oder einfach nur Entspannen.
Ruhe und Weitblick
Die Aufwärtsentwicklung der Einheiten gipfelt im siebten Stock. Dort locken ein grüner, stiller Lesesaal auf der einen, und eine Terrasse mit herrlichem Blick auf die Stadt auf der anderen Seite.
Die Stadt Rotterdam und das Architekturinstitut Rotterdam (AIR) präsentieren die Pläne zur Runderneuerung der Ikone am 15. September 2022. Im Rahmen eines öffentlichen Events soll der Entwurf interessiertem Publikum vorgestellt und mit den Teilnehmern diskutiert werden.
Mag sein, dass die Zentralbibliothek Rotterdam, anders als etwa Snøhettas Büchertempel-Neubau in Peking oder MADs „Wormhole Library“ in Hainan, heute kaum mehr futuristisch wirkt. Daran wird auch die Runderneuerung nichts ändern. Immerhin stammt die Basis der Ikone aus dem vorigen Jahrhundert. Und so nachhaltig gebaut wie etwa Helsinkis neue, von ALA Architects konzipierte Bibliothek „Oodi“ kann ein Bauwerk aus den 1980er-Jahren auch nicht sein.
Glanzvolle Zukunft
Aber dass dieses Wahrzeichen nun würdig für die Zukunft bereit gemacht wird, ist ein Highlight für die Stadt. Was Powerhouse Company, Atelier Oslo und Lundhagem hier planen, fasziniert. Und ihr Werk wird sicher nicht nur den schon bisher jährlich mehr als 2,4 Millionen Gästen dieser meist besuchten Kultureinrichtung Rotterdams Freude bereiten.
Text: Elisabeth Schneyder
Bilder: Powerhouse Company / Atelier Oslo / Lundhagem, ATCHAIN, Proloog, Mir, Sebastian van Damme