Medizin für Klimaopfer
Um durch die Klimaerwärmung den regelmäßig über seine Ufer tretenden Pailao-Fluss in Shenzhen zu zähmen, hat das Architekturbüro VenhoevenCS unter dem Titel „River Blueway Project“ einen ganzen Stadtteil neu, smart und sehr grün entwickelt.
Wir Menschen neigen dazu, Probleme erst zu lösen, wenn sie uns wirklich beeinträchtigen. Beispiel: Jährlich nehmen in Österreich und Deutschland nur rund elf Prozent der Menschen kostenlose Gesundheitsvorsorge-Untersuchungen wahr. Wir gehen also erst zum Arzt, wenn es schmerzt. Skurril: Gerade Raucher meiden die Vorsorge wie der Teufel das Weihwasser. Dabei wären gerade sie besonders gefährdet …
Technik ist die beste Medizin
Ganz ähnlich verhalten wir uns als Menschheit offensichtlich, wenn es um unsere Lebensspenderin Erde geht. Wir wissen, dass wir an ihr Raubbau betreiben. Wirklich etwas ändern? Fehlanzeige. Stattdessen bauen wir auf technische Errungenschaften – die sollen uns buchstäblich aus dem Dreck ziehen. Hier ist offensichtlich die Sichtweise ähnlich, wie bei uns als Individuen. Die Medizin wird’s schon richten, heißt es dann eben.
Um unseren Masterplan zukunftssicher zu machen und ihn an die Folgen des Klimawandels anzupassen, haben wir ein innovatives Design entwickelt, bei dem sich alles ums Wasser dreht.
VenhoevenCD Architects
Sehr deutlich wird dieser Umstand aktuell in Anbetracht des gerade präsentierten und gewiss spektakulären „River Blue Project“ in China. Dabei geht es im Kern darum, ein ganzes Stadtgebiet klimasicher zu machen. So sagen die zuständigen Architekten von VenhoevenCS selbst: „Um unseren Masterplan zukunftssicher zu machen und ihn an die Folgen des Klimawandels anzupassen, haben wir ein innovatives Design entwickelt, bei dem sich alles ums Wasser dreht.“
River Blue Project als Notoperation
Kurz gesagt: Den Menschen in der Stadt Bao’an, an den Ufern des Pailo-Flusses in Shenzhen gelegen, steht das Wasser durch die Klimaerwärmung bis zum Hals. Also wird eben eine Notoperation eingeleitet. Weil man das aber freilich so nicht sagen will, steht in der offiziellen Ausschreibung des gigantischen Vorhabens: „Das Projekt setzt auf die Koexistenz von städtischer und natürlicher Umwelt, um die Widerstandsfähigkeit zu gewährleisten und das Wirtschaftswachstum des Stadtteils zu fördern.“
Tatsächlich steht Bao’an deshalb so im Brennpunkt der Auswirkungen des Klimawandels, weil es unterhalb des Meeresspiegels liegt und so die subtropischen Regenfälle dieses Teils Chinas hier sozusagen wie in einem Becken zusammenfließen. Bis vor wenigen Jahren konnte das Bett des Flusses die Wassermassen aufnehmen, ohne überzuquellen. Nachdem aber durch den vom Menschen verursachten Klimawandel die Regenfälle häufiger und stärker wurden und werden, muss nun künstlich nachgeholfen werden.
Masterplan für Klimasicherheit
Der dafür entwickelte Masterplan ist in der Tat eine spannende Sache. Er sieht eine „klimasichere Regeneration des Gebiets vor, bei der die Natur und ökologische Wasserrückhaltezonen genutzt werden, um das Risiko von Überschwemmungen zu mindern.“
Und die Herangehensweise der Architekten ist jedenfalls ganzheitlich erfolgt: Der Masterplan basiert auf der Grundlage der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung. Das heißt, man hat den betroffenen Stadtteil in Verbindung mit dem umgebenden Netz von Flüssen und Stadtvierteln betrachtet. Gemeinsam mit Wissenschaftlern und Klimaexperten wurden Maßnahmen definiert und dann in ein Stadtplanungskonzept gegossen.
Was aber bedeutet der hierbei oft verwendete Begriff der „Klimaanpassung“ nun in der Realität? Beim „River Blueway Project“ jedenfalls wird auf eine Reihe unterschiedlicher Maßnahmen zurückgegriffen. Ganz vorne aber steht das Thema der Wasserspeicherung.
Weg mit dem Beton
Das bedeutet, Teiche, Gründächer, Feuchtgebiete, Parks und weiche Ufer werden überall, wo es möglich ist, integriert. Und um das möglichst überall möglich zu machen, soll das gesamte Areal von jeglicher Versiegelung befreit werden. Das heißt: Asphalt, Beton und Pflastersteine werden durch Grünflächen und Naturräume, wie es so schön heißt, ersetzt.
Schwammeffekt erwünscht
„Die massiv befestigen Kais des Palaio-Flussen werden in breite, weiche Ufer umgewandelt“, sagen die Planer. Damit will man eine Art Schwamm-Effekt erzielen. Das bedeutet, die Ufer sollen in Zukunft die überschüssigen Wassermassen aufsaugen und später wieder abgegeben können.
Damit geht auch ein massiver Mobilitätswandel einher. Raum für Natur bedeutet weniger Straßen, weniger Parkplätze und weniger Autos. „Bao’an bleibt mit Mobilitätsknotenpunkten, robusten öffentlichen Verkehrsmitteln und einem ausgedehnten Netz für den lokalen, langsamen Verkehr zugänglich“, heißt es etwas lapidar. Gemeint ist damit: Radfahrer, Scooterfahrer, Fußgänger und Benutzer öffentlicher Verkehrsmittel werden herzlich willkommen sein. Autos nicht mehr.
Brücken als Schattenspender und Regenschutz
Diese werden vielmehr über große Brücken und Überführungen über das Stadtgebiet hinweggelotst. Die großen Viadukte finden im „River Blueway Project“ allerdings noch zusätzlichen Nutzen: Die darunter liegenden Flächen sollen zu Treffpunkten und Orten für kulturelle Aktivitäten und lokale Initiativen werden. Es seien schließlich ideale Areale, die bei Regen trocken und bei Sonne schattig bleiben.
Abgesehen von diesen Rahmenbedingungen findet der Hochwasserschutz natürlich auch bei den zukünftig gebauten Objekten Niederschlag. Damit die geplanten Pavillons bei jedem Wasserstand einsatzbereit bleiben, werden sie auf Stelzen stehen. Mit begrünten Dächern tragen sie außerdem zur biologischen Vielfalt bei. Dass sie aus Holz errichtet sind, ist selbstredend.
Flussareal als Freizeitzone
„Zusammen mit dem städtischen Naturgebiet tragen die Pavillons dazu bei, dass der Pailao-Fluss zu einem belebten Ziel für alle Bewohner des Bao’an-Viertels wird“, heißt es in der Projektbeschreibung.
„Unser Vorschlag für das River Blueway Project ist vielschichtig. Wir haben dort die geforderte Wasserspeicherung organisiert, aber mit unserem integrierten Ansatz werden wir einen bestehenden Stadtteil klimafest machen und gleichzeitig die Stadterneuerung fördern“, sagt Ton Venhoeven von VenhoevenCS.
Fazit: Spannend, was aus architektonischer und stadtplanerischer Sicht mit einem gewissen Budget heute alles möglich und machbar ist. Traurig aber, dass diese Maßnahmen notwendig sind.
Text: Johannes Stühlinger
Bilder: VenhoevenCS architecture+urbanism