Ritterschlag für David Adjaye
2017 wurde er von der Queen geadelt, jetzt folgt der Ritterschlag in die Riege der Weltarchitekten. Sir David Adjaye gilt als Visionär, der mithilfe der Architektur Kulturen verbindet.
Lange Zeit klaffte eine Lücke in der National Mall, der Prachtalle im Zentrum von Washington D.C.. Die durchwegs weißen Bauten zwischen dem Kapitol und dem Lincoln Memorial werden seit 2016 von einem Bauwerk in dunkler Bronze flankiert. Es ist der bislang größte Wurf des britisch-ghanaischen Architekten Sir David Adjaye – das National Museum of African American History and Culture. Es steht für die lang überfällige Anerkennung der afroamerikanischen Geschichte und Kultur inmitten der weißen Steinfassaden. Vor allem dank seiner ideellen Tragweite sehen Kritiker darin einen „bedeutenden Wendepunkt in der Architektur“.
Bei diesem Projekt war mir von Anfang an klar, dass es kein weißer Marmor werden würde. Das Gebäude musste eine andere Sprache sprechen.
David Adjaye, Architekt
Architektur als überpolitisches Statement
„Bei diesem Projekt war mir von Anfang an klar, dass es kein weißer Marmor werden würde. Das Gebäude musste eine andere Sprache sprechen“, sagte David Adjaye über das Projekt. Die drei ineinander gestapelten Kubaturen sind eine Anlehnung an die Krone des westafrikanischen Yoruba-Volkes. Die Perforationen in der bronzenen Metallfassade stilisieren afroamerikanisches Handwerk.
Die Architektur im Inneren gibt eine bestimmte Narrative vor und schafft auf dem Weg durch das Museum eine emotionale Erfahrung. „Man betritt das Bauwerk in dämmriger Dunkelheit, arbeitet sich durch die Ausstellungsflächen und endet im lichtdurchfluteten Raum“, beschreibt einer jener Juroren das Bauwerk, die 2017 den Design of the Year Award vergaben.
Man betritt das Bauwerk in dämmriger Dunkelheit, arbeitet sich durch die Ausstellungsflächen und endet im lichtdurchfluteten Raum.
Jury, Design of the Year Award
„Wir hatten das Gefühl, dass Adjayes Werk im Kontext der heute so lautstarken amerikanischen Debatte über Rasse und Identität ein Sinnbild für Optimismus war“, hieß es in der Begründung weiter. Auch abseits von dieser renommierten britischen Auszeichnung herrschte globaler Einklang darüber, dass hier eine neue Ikone geschaffen wurde. Eine der bedeutendsten kulturellen Landmarks unserer Zeit.
Kontroversielle Wohnhäuser
Die größte mediale Aufmerksamkeit erreichten bislang Adjayes kontroversielle Wohnhäuser für das britische Who’s Who der Kunst- und Kulturszene. Das Lost House, das er mit seinem Büro Adjaye Associates für die Modedesignerin Roksana Ilincic und den Unternehmer Philip de Mesquita entwarf, ist die perfekte David Lynch-Kulisse: schwarze Innenwände, ein Pool im Schlafzimmer und jede Menge theatralische Lichteffekte. „Mein Ansatz geht beim Entwurf von innen nach außen und meinen Gebäuden wird nachgesagt, dass sie sich ‚cinematografisch entfalten‘.“
Meinen Gebäuden wird nachgesagt, dass sie sich ‚cinematografisch entfalten‘.
David Adjaye, Architekt
Das Dirty House im Londoner Stadtteil Shoreditch und das Mole House in Hackney entwarf der Architekt für die zeitgenössischen Künstler Sue Webster und Tim Noble. Durch seinen experimentellen Einsatz von Licht, Materialien und Raumaufteilung schaffte er gemeinsam mit seinen Auftraggebern mehr als nur Räume zum Wohnen und Arbeiten. Diese Häuser gelten als eigenständige konzeptionelle Kunstwerke und sind bereits zu Pilgerstätten von Kunst- und Architekturliebhabern geworden.
Identitätsfindung durch die Architektur
Doch der Schaffung von provokativen Wohnhäusern gilt nicht Adjayes Hauptaugenmerk. „Architektur ist ein sozialer Akt“, wie er sagt. „Es geht darum, Gebäude zu errichten, die ihre Geschichte anerkennen und verstehen. Gleichzeitig schaffen sie etwas ganz Neues, das den Gemeinschaften in ihrer Zukunft zugute kommt.“
Seine internationale Karriere als Architekt begann sehr früh in seiner Laufbahn. Zu den wichtigsten öffentlichen Bauten zählen das Denver Museum of Contemporary Art, die Moscow School of Management und das Ruby City Kunstzentrum in San Antonio, für das er den Wallpaper Design Award 2020 erhielt. Besondere Aufmerksamkeit erhielt sein Entwurf für das Friedensprojekt Abrahamic Family House in Abu Dhabi, das eine Kirche, eine Moschee und eine Synagoge in einer Anlage vereint.
Architektur ist ein sozialer Akt.
David Adjaye, Architekt
Mit der National Cathedral of Ghana in Accra und dem Royal Benin Museum in Nigeria begann er sich in den letzten Jahren verstärkt für hochkarätige Projekte in Afrika einzusetzen. Dabei sieht Adjaye in der Architektur ein wichtiges Mittel zur Identitätsfindung und zur Erlangung eines kulturellen Selbstverständnisses.
Erster schwarzer Preisträger
Die RIBA Royal Gold Medal verleiht das Royal Institute of British Architects für gewöhnlich am Ende einer Laufbahn für ein Lebenswerk. Im Fall von David Adjaye, dem die Auszeichnung 2021 verliehen wird, trifft dies nicht zu. Der in Tanzania geborene Architekt ghanaischer Eltern scheint gerade erst am Anfang einer langen Karriere zu stehen. Seine Ernennung gilt weithin als bewusstes Statement, zumal ihm als erster Schwarzer diese königliche Auszeichnung zuteil wird.
Text: Gertraud Gerst
Fotos: Alan Karchmer, Getty Images, Adjaye Associates