Brutalismus am Meer
Brutalistische Inszenierung eines Restaurants: Das MMC, das Maritime Museum der spanischen Stadt Santander, ist um eine Facette reicher. Denn das vom Architekturbüro Zooco renovierte Restaurante MMC ist fertig.
Das Meer ist nicht immer sanft, nein, es kann ganz schön rau, unberechenbar und ungehobelt sein. Die Wellen können mit ungeheurer Wucht brechen, auf eine Hafenmole, felsige Küste regelrecht hindreschen.
Und so passt es ganz gut, wenn ein Schifffahrtsmuseum eine etwas brachiale Architektur aufweist. Und dies wie im Fall des MMC von Santander auch für das nun fertig gestellte, von Zooco entworfene, angeschlossene Restaurant gilt. Das spanische Architekturbüro mit Zweigstellen in Santander und Madrid ist Gewinner des Architecture MasterPrize (AMP) des Jahres 2023 in der Kategorie „Kleines Unternehmen für multidisziplinäre Innenarchitektur“. Die von der Farmani Group ausgelobten Awards werden jährlich vergeben.
Kulinarisch wie architektonisch ein Genuss
Das Restaurante MMC gehört zum ozeanografischen Zentrum, das von Vicente Roig Forner und Ángel Hernández Morales entworfen und zwischen 1975 und 1978 erbaut wurde. Die Abkürzung MMC steht für Museo Marítimo del Cantábrico (auf Deutsch: Schifffahrtsmuseum von Kantabrien).
Beide, Museum und Restaurant, sollte man unbedingt sehen, wenn es einen nach Santander verschlägt. Die Hauptstadt Kantabriens ist eine Hafen- und Industriemetropole, aber auch ein beliebter Badeort. Die im Norden, am Golf von Biskaya gelegene Gebietskörperschaft Kantabrien ist eine der 17 Autonomen Gemeinschaften Spaniens.
Meer-Liebhaber kommen hier voll auf ihre Kosten: Denn das MMC bietet den Besuchern eines der reichhaltigsten und vielfältigsten museografischen Angebote Spaniens, die sich mit dem Meer und der Beziehung des Menschen zu diesem Ökosystem beschäftigt: Auf mehr als dreitausend Quadratmetern Ausstellungsfläche werden das Leben im Meer und alle Formen der menschlichen Involviertheit mit diesem riesigen Biotop im Laufe seiner Geschichte gezeigt.
Das Museum sieht seine Aufgabe darin, das maritime Kulturerbe zu bewahren und Wissen weiterzugeben, ganz klassisch auf der Grundlage der ureigensten Funktionen eines Museums: Dokumentation, Forschung, Konservierung und Verbreitung.
Typische Attribute des Brutalismus
Die Erweiterung des Gebäudes in Form des Restaurante MMC ist zweifellos eine kulinarische Perle. Daneben ist es aber auch vom architektonischen her ein Genuss. Das Restaurante MMC in der obersten Etage des Museums in der Calle Severiano Ballesteros mutet, wie angedeutet, brutalistisch an.
Brutalismus klingt zwar bedrohlich, der Begriff leitet sich jedoch ganz harmlos vom Französischen „béton brut“ ab, was roher Beton beziehungsweise Sichtbeton bedeutet. Der Brutalismus ist damit eine ästhetische Bewegung in der Architektur, die auf Verzierungen und Schnörkel verzichtet.
Stattdessen werden die im Design verwendeten Rohmaterialien offenbart. Der Stil ist damit wuchtig, schroff, fast einschüchternd, aber immer ehrlich – und damit auch faszinierend. Auch wenn die imposanten Betonbauten des Brutalismus zuweilen regelrecht klobig, eigenwillig und radikal aussehen. Der Architekturstil, der in den 1970-er Jahren seinen Höhepunkt fand, war damit naturgemäß seit jeher polarisierend.
Einst verborgene Betonstrukturen als „Protagonisten des Interior Designs“
Die typischen Attribute des Brutalismus, unverputzter Beton, sichtbare Konstruktionen und freiliegende Grundrisse findet man auch beim Restaurante MMC. Es ist unter den „dramatischen“ Paraboloiden des maritimen Museums versteckt. Der von außen sichtbare „Glaskasten“ ermöglicht den Besuchern maximale Sicht auf die Bucht von Santander.
Bereits im Jahr 2003 wurde der ursprüngliche Grundriss des MMC um eine pyramidenförmige Aluminiumstruktur erweitert. Dies veränderte auch das ursprüngliche Konzept, die Abmessungen des Gebäudes. Um diese Diskrepanz zu beheben und Platz für das 570 Quadratmeter große Restaurant zu schaffen, übernahm Zooco die quadratische Morphologie des neueren Volumens.
Referenzen an das Schiffswesen und die Nautik
Das Restaurante MMC findet sich damit in einem dramatischen Gewölbe aus Betonparaboloiden, die bei der Renovierung freigelegt wurden, wieder. Ursprünglich stützten sie das Dach des ehemaligen Innenhofs des Museums.
Zooco Estudio de Arquitectura hat diese markanten Betonstrukturen zum „Protagonisten der Inneneinrichtung des Restaurants“ erkoren. Sie wurden auf ihren Rohzustand zurückgebaut und die gesamte Ebene wurde vollständig umschlossen und gleichsam abgedichtet. Um die Symmetrie herzustellen wurden vier zusätzliche Betondreiecke hinzugefügt.
Die Holzlattung der Decken überbrückt einerseits die Lücken zwischen den Bögen und verbirgt die technischen und mechanischen Systeme wie Klimaanlage, Heizung und Beleuchtung des Restaurants. Andererseits stellt sie eine Hommage an das Erbe des Schiffbaus in der Region dar. Man fühlt sich, als befände man sich im Inneren eines Schiffsrumpfs.
Wie auf der Kommandobrücke eines Schiffs
Ergänzt wird das Interior Design mit den hellen Holzmöbeln und kugelförmigen Leuchten, die aufgrund ihres nautischen Bezugs ausgewählt wurden. All dies steht in Kontrast zum verwitterten Beton.
Die Gestaltung des Innenraums wurde weitgehend von den niedrigen Bögen der elliptischen Paraboloide bestimmt, die das brutalistische Restaurant dominieren. Die raumhohe Glaswand bildet den Rahmen für die in der Bucht von Santander gleichsam vor den Augen der Gäste vorbeischwimmenden Schiffe und Boote. Fast wähnt man sich in der Kommandobrücke eines Schiffs.
Strömungsdynamische Formen beim Mobiliar
Wie die Deckenpaneele spielt auch das Mobiliar auf die maritime Geschichte an. Die Verwendung von Holz und Stahl für die Möbel erinnert an die im Schiffsbau verwendeten Materialien. Die Möbel auch auf der Terrasse weisen leichte Rundungen auf, die an die strömungsdynamischen Formen von Schiffen erinnern.
Zooco wurde 2009 von Miguel Crespo Picot, Javier Guzmán Benito und Sixto Martín Martínez gegründet. Das Studio deckt ein breites Spektrum ab: Von Entwürfen für große Gebäude bis hin zum Möbeldesign ist alles dabei. Markenzeichen Zoocos ist die Verwendung einer zeitlosen architektonischen und stilistischen Sprache.
Text: Linda Benkö
Fotos: David Zarzoso / v2com