Annäherung an den Kreis
Die Rehmannia Root Crafts Exhibition Hall ist einer wichtigen Heilpflanze der Traditionellen Chinesischen Medizin gewidmet. Der durchdachte Kuppelbau von Luo Studio basiert auf einer kosteneffizienten Konstruktion aus standardisierten Bauhölzern.
Die Produktion von Heilkräutern für die Traditionelle Chinesische Medizin hat eine lange Tradition im Kreis Xiuwu in der chinesischen Provinz Henan. Sie ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in der Region, die aufgrund der Bodenbeschaffenheit und der klimatischen Bedingungen die besten Voraussetzungen für den Anbau bietet. Eine der bedeutendsten Pflanzen in der regionalen Heilkräuterindustrie ist die Rehmanniawurzel, auch Chinafingerhut genannt. Der aufwändige, traditionelle Herstellungsprozess dieser Arznei lässt sich bis ins sechste Jahrhundert, zum berühmten Arzt und Religionswissenschaftler Sun Simiao zurückverfolgen.
Licht wird zum zentralen Thema des Bauwerks, das innen und außen für dynamische Stimmungen sorgt.
Luo Studio, Architekturbüro
Im Zuge der Initiative, den ländlichen Raum wirtschaftlich wiederzubeleben stellte die Provinzregierung finanzielle Mittel bereit, um dieses Kulturerbe zu erhalten und für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Das renommierte Pekinger Büro Luo Studio wurde daraufhin mit dem Entwurf einer Produktionswerkstatt, eines Trocknungsfeldes und einer Ausstellungshalle beauftragt. Die 2021 fertiggestellte Rehmannia Root Crafts Exhibition Hall wurde 2024 mit dem Architizer A+ Award in der Kategorie Kultur- und Ausstellungszentren ausgezeichnet.
Neues Paradigma für Bau und Design
Anstatt auf die vorherrschende Typologie der zweckdienlichen Produktionshallen zu setzen, konnte das Architekturbüro alle Beteiligten davon überzeugen, dass das Projekt ein neues Paradigma in Sachen Design und Bauweise erfordere. Neben der Vorgabe einer weitgespannten Halle weist der angenommene Entwurf somit auch Bezüge zur regionalen Baukultur auf und erfüllt eine Reihe an ökologischen Anforderungen.
Den entscheidenden Einfluss zur prägnanten Formgebung des Gebäudes lieferte der pharmazeutische Herstellungsprozess der Heilwurzel. Zwischen den mehrfachen Kochvorgängen war das Trocknen an der Sonne von entscheidender Bedeutung. „Licht wird zum zentralen Thema des Bauwerks, das innen und außen für dynamische Stimmungen sorgt. Dies ist der grundlegende Ausgangspunkt für das Design“, erklärt Luo Studio den Designprozess.
Ein Kreis aus vielen Geraden
Dieses Lichtspiel, das sich mit dem Sonnenlauf kontinuierlich ändert, komme bei einem runden Gebäude besser zur Geltung als bei einem eckigen, so die Überlegungen. Daher entschied sich das Designteam für eine nahezu runde Form mit einem regelmäßigen, polygonalen Grundriss. Auf diese Weise sind keine Rundungen in der Konstruktion nötig, was die Baukosten nach oben getrieben hätte. Stattdessen erzeugt die versetzte Anordnung der ortstypischen Backsteinmauern eine lineare Annäherung an den Kreis.
Auch der Lichteintrag ins Gebäude erfolgt auf eher unkonventionelle Weise, wie die Architekten erklären: „Abweichend vom üblichen Ansatz, Fensteröffnungen in den Gebäudewänden auszubilden, kommt der Lichteinfall beispielsweise über das Dach, über Lichtbänder und über Lücken zwischen den Wänden.“
Diese Praxis spart nicht nur Material und Platz, sondern verschweißt auch Struktur, Möbel und Raum zu einer Einheit.
Luo Studio, Architekturbüro
Über den Backsteinmauern erhebt sich ein Holzkuppelbau, der einen stolzen Durchmesser von 37 Metern hat. Die Bauweise basiert auf einfachen Leimbindern und Kanthölzern, die zu modularen Einheiten verschraubt werden. Dadurch müssen keine großen Bauteile von weit her transportiert werden, und die Konstruktion lässt sich materialsparend umsetzen.
Struktur = Mobiliar
Eingebettet in die annähernd runde Außenhülle ist ein runder, gänzlich stützenfreier Raum in der Mitte. Der eingelassene Sitzbereich führt über mehrere Stufen nach unten und bildet mit dem Oberlicht darüber eine besondere Atmosphäre, ein „Gefühl von Zentriertheit“. Passend dazu ist dieser Bereich für Gesundheits- und Wellnessangebote vorgesehen.
Der äußere Ring hingegen, der durch das Holztragwerk in regelmäßige Segmente geteilt ist, bildet den Ausstellungsbereich. Dabei kommt ein Prinzip zum Einsatz, das von traditionellen Keramiköfen in der kaiserlichen Porzellan-Stadt Jingdezhen abgeschaut ist: Die Holzkonstruktion dient zugleich als Mobiliar. Auf den Regalflächen zwischen den Holzstützen werden auch heute noch die Tonwaren gelagert.
Rotation um den Ruhepunkt
Im Fall der Rehmannia Root Crafts Exhibition Hall dient das Tragwerk zugleich als Ausstellungsmobiliar. „Diese Praxis spiegelt die lokale Bauexpertise wider und steht im Einklang mit dem Bewusstsein, achtsam mit den Ressourcen umzugehen. Es spart nicht nur Material und Platz, sondern verschweißt auch Struktur, Möbel und Raum zu einer Einheit“, erklärt Luo Studio.
Abgesehen von der Kosteneffizienz dieser Lösung entsteht auf diese Weise eine natürliche Zonierung der Halle. Während der Besucherstrom um den äußeren Ring zirkuliert, entsteht im inneren der Rotation ein Ort der Ruhe.
Text: Gertraud Gerst
Fotos: Weiqi Jin