Reef Restaurant auf der Insel Shangshen, von Benedetta Tagliabue entworfen
#architektur

Fein dinieren im Fischbauch

Das Reef Restaurant auf der chinesischen Insel Shengshan ist ein Projekt von Benedetta Tagliabue, das sowohl Meer und Küstenlandschaft als auch kulturelles Erbe feiert. Lokale Materialien und Holz sollen dabei eine tragende Rolle spielen.

Houtouwan, ein Dorf auf der chinesischen Insel Shengshan, hat es zu Berühmtheit gebracht: Das „chinese ghost village“ wurde bereits in Dokumentationen in CNN und im Magazin National Geographic abgefeatured. Versteckt zwischen den Hügeln und Klippen des Zhoushan-Archipels, dem größten Fischerei-Gebiets Chinas, hat das einstige Fischerdorf seine Blütezeit ab den 1950er Jahren erlebt.

Ende des 20. Jahrhunderts verließen die rund 3.000 Bewohner nach und nach den Ort – wohl weil die Fischereibestände zurückgegangen waren, das Leben dort als zu mühsam erachtet wurde und auf dem Festland verlockender schien.

das verlassene Geisterdorf Houtouwan auf der chinesischen Insel Shengshan
Das verlassene Geisterdorf Houtouwan auf der chinesischen Insel Shengshan bietet tolle Fotomotive.

Heute wird der von den Einheimischen „wurencun“ genannte Ort („Dorf ohne Menschen“) umso leidenschaftlicher von der Natur zurückerobert. Das grüne Geisterdorf Houtouwan mit seinen überwucherten Häusern und verschlungenen Pfaden gilt daher als Paradies für Fotografen. Neben der Begeisterung über die tollen Motive löst Houtouwan auch eine leise Melancholie aus.

Entwicklungsprojekt im Dialog mit Natur und Kultur

Für die Insel Shengshan insgesamt hat die lokale Verwaltung – der Archipel ist der bezirksfreien Stadt Zhoushan unterstellt – jedoch noch Großes vor. Es soll sich vom historischen Fischereistützpunkt zur „high class“ Destination für Inseltourismus, Meeresfischerei und Kultur verwandeln. Eines der Projekte ist das Reef Restaurant, für das Benedetta Tagliabue mit ihrem Architekturstudio EMBT einen Entwurf vorgelegt hat.

das von Benedetta Tagliabue EMBT geplante Reef Restaurant auf der Insel Shengshan
Das von Benedetta Tagliabue – EMBT geplante Reef Restaurant auf der Insel Shengshan.

Im Rahmen eines internationalen Architekturwettbewerbs Ende 2023 wurden renommierte Büros eingeladen, die Vision der „Insel der Fischerei“ zu gestalten. KCAP, EMBT und MVRDV kamen ins Finale. Sie entwarfen eine Reihe von Gebäuden, die die Meeresfischerei hochleben lassen und touristische Anziehungspunkte schaffen.

Maritime Highlights für Angler und Naturliebhaber

Bereits in der Ming- und Qing-Dynastie war die Insel ein bedeutender Umschlagplatz für aquatische Produkte. Shengshan, der Zhoushan- beziehungsweise Shengsi-Archipel, liegen südlich der Mündung des Jangtse, des längsten Flusses der Volksrepublik China. Die Fahrt von Shanghai nach Shengshan dauert insgesamt zwischen drei bis fünf Stunden, wobei man von Shanghais Tiefseehafen Yangshan mit der Fähre zur Insel Shengsi und danach zu Shengshan gelangt.

Zu den geplanten „Highlights der Neuzeit“ für Shengshan zählen neben dem Reef Restaurant ein Museum mit Ausstellungshalle für Fischereikultur und die maritime Geschichte des Archipels sowie der „Anglers’ Block“: Das wird ein multifunktionales Zentrum mit Angelvereinen, Läden für Fischerei-Bedarf und -Ausrüstung sowie kulturellen Angeboten.

Man möchte mit den insgesamt sieben neuen Gebäuden und Dienstleistungseinrichtungen inklusive Gastronomie verschiedene Zielgruppen ansprechen: Von professionellen Anglern über Anglerneulingen bis hin zu Touristen, die die Naturschönheiten und die kulturelle Einzigartigkeit Shengshans erleben möchten.

Reef Restaurant: Hommage an das Meer

Beim Reef Restaurant gehen nach den Plänen von Benedetta Tagliabue Architektur, Natur und kulturelles Erbe eine außergewöhnliche Verbindung ein. Inspiriert vom „Baugerüst“ aquatisch lebender Wirbeltiere, vulgo von Fischen, präsentiert sich das Gebäude wie eine natürliche Erweiterung der zerklüfteten Felsküste. Der Respekt für die Umwelt, kulturelle Kontinuität und Nachhaltigkeit stehen im Zentrum.

das Reef Restaurant nimmt von der Form her Anleihen bei organischen Strukturen, wie man sie in der Meereswelt findet
Das Reef Restaurant nimmt von der Form her Anleihen bei organischen Strukturen, wie man sie in der Meereswelt findet.

Um Nachhaltigkeits-Prinzipien Genüge zu tun, sollen beim Reef Restaurant vor allem lokale Materialien und Holz eingesetzt werden.
Um Nachhaltigkeits-Prinzipien Genüge zu tun, sollen beim Reef Restaurant vor allem lokale Materialien und Holz eingesetzt werden.

Die Architektur des Reef Restaurants greift die organischen Muster und Strukturen des Meeres auf. Die geschwungenen Linien und das offene Design symbolisieren auch die Verbindung zwischen Mensch und Ozean.

„Ästhetik der Fischgräten“

Auf zwei Ebenen soll das Restaurant unterschiedliche Erlebniswelten bieten: Im Erdgeschoss können Gäste in einem VIP-Bereich der Zubereitung frisch gefangener Meeresfrüchte durch den Chefkoch zusehen. Im Obergeschoss wird die „Ästhetik der Fischgräten“ durch die Innenarchitektur erlebbar: Der Speiseraum vermittelt das Gefühl, sich im Inneren eines Fischbauches zu befinden – und ringsum haben die Gästen einen beeindruckenden Panoramablick auf das Meer.

Das Reef Restaurant bei Nacht
Das optisch beeindruckende Restaurant soll bei den Gästen gleichzeitig auch Bewusstsein für das Ökosystem Meer und dessen fragiles Gleichgewicht schaffen.

Das geplante Reef Restaurant ist eindeutig mehr als ein kulinarischer Ort. Mit seiner Muschel- beziehungsweise fischähnlichen Form ist es eine kulturelle Landmarke, zu Ehren des maritimen Lebens rund um die Insel Shengshan. Gemeinsam mit dem angrenzenden Museum für Fischereikultur und dem modularen Anglers’ Block bildet es eine Einheit, die Tradition und Moderne verbinden kann.

Das fragile Gleichgewicht des Ökosystems Meer schützen

Benedetta Tagliabue legt Wert auf Nachhaltigkeit. „Von der Verwendung lokaler und natürlicher Materialien wie Holz bis hin zu energieeffizienten Konstruktionsmerkmalen sind wir bestrebt, die Auswirkungen auf die Umwelt zu minimieren und gleichzeitig die natürliche Schönheit der Insel für künftige Generationen zu erhalten“, heißt es bei EMBT.

Die Architektur soll sich so nahtlos in die Landschaft integrieren. Mit dem Einsatz regionaler Ressourcen will man nicht zuletzt das fragile Gleichgewicht des Ökosystems Küste und Meer schützen. Das Bauwerk beeindruckt selbstredend visuell, soll aber nach dem Willen von Tagliabue auch ökologisches Bewusstsein vermitteln.

Text: Linda Benkö
Renderings: Playtime / EMBT

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