Quiet Luxury mit Seeblick
Die Architektenbrüder Gian Carlo und Matteo Primatesta haben sich auf unbekanntes Terrain gewagt: Sie sind unter die Gastgeber gegangen. Am beschaulichen piemontesischen Ortasee verwandelten sie eine verlassene ländliche Siedlung in ein mondänes Apartment-Hotel. Das La Darbia vereint stillen Luxus und italienisches dolce vita vom Feinsten.
Im Windschatten des zweithöchsten Gipfels der Alpen, des Monte Rosa, schimmert das Wasser des Ortasees wie eine Perle in einem Schmuckkästchen. Schon zur Jahrhundertwende nahm die sirenenhafte Schönheit des Lago d’Orta mit der malerischen Klosterinsel San Giulio die intellektuelle und künstlerische Elite der Jahrhundertwende gefangen. Ob Balzac, Lord Byron oder Nietzsche: Ihr Geist weht noch heute durch die malerischen Gassen der Uferstädtchen, denen die Belle Époque eklektische Bauten und die Sommerfrische breite Promenaden schenkte.
La Darbia: ein Geheimtipp
Wie sich das piemontesische Juwel diese stille Eleganz bewahren konnte? Ein Rätsel. Und ein Glücksfall für alle, denen der Sinn nach Rückzug steht. Denn obwohl nur eine knappe Stunde nördlich von Mailand und nahe der Schweizer Grenze gelegen, lassen heutige Touristen den „piccolo lago“ meist links oder auch rechts liegen. Sie strömen lieber zu den Ufern der bekannteren, größeren Brüder, an den Lago Maggiore oder den Comer See.
Weshalb man auch eigentlich kein Wort über das Apartment-Hotel La Darbia verlieren will, das am Hang über der bezaubernden Szenerie thront und das diesen Logenplatz mit seinen Gästen teilt. Man wünscht sich vielmehr, dass es auf ewig ein Geheimtipp bleiben möge.
Zwei Brüder, eine Mission
Das La Darbia gehört zwei Architektenbrüdern, Gian Carlo und Matteo Primatesta. Sie sind selbst in dem kleinen Ort Ameno auf einer Anhöhe oberhalb von Orta aufgewachsen und tief geprägt von der önologische Kultur ihrer piemontesischen Heimat. Weshalb sich ihr Büro, das Studio Primatesta, vor allem mit außergewöhnlicher Weinarchitektur einen Namen machte, bevor man sich auch Ferienanlagen, Industriebauten und Domizilen für ein betuchtes Klientel annahm, über dessen Identität man vornehm schweigt.
Beruf und Berufung
Das Architekten-Duo war also gut beschäftigt. Es war deshalb zunächst auch gar nicht interessiert, als man ihm 2008 ein völlig heruntergekommenes rurales Anwesen mit einer Turmruine in Orta San Giulio am östlichen Hang über dem See zum Kauf anbot.
Doch dann fanden sich dort auch Spuren eines terrassierten Weinbergs aus dem 18. Jahrhundert. Und dieser Umstand resonierte mit dem lang vergessenen, aber noch länger gehegten Wunsch der Brüder nach einem eigenen Rebgarten. Kurzum: Die Primatestas erwarben das Grundstück schließlich doch und pflanzten dort neue Rieden an. Heute produzieren sie eine kleine, feine Menge Brut Rosé Metodo Classico, gekeltert aus den autochthonen Nebbiolo-Trauben.
Architekten mit Nebenjob
Dass Gäste den edlen Tropfen heute auch im hauseigenen Restaurant La Cucina genießen können, erstaunt die Brüder noch immer. Denn „wenn wir eines nicht im Sinn hatten, so war es, Hoteliers und Gastgeber zu werden“, erinnert sich Gian Carlo Primatesta.
Zum Glück für die Gäste und Fans der Quiet-Luxury-Hotellerie wollte es das Leben aber anders. Jedenfalls spross zwischen den Reben bald auch ein paradiesisches Urlaubsdomizil. Die Brüder wuchsen gar so sehr in ihre neue Rolle als Gastgeber hinein, dass man die Architekten jeden Mittwochabend bei ihrem „Nebenjob“ erleben darf. Etwa dann, wenn Gian Carlo mit fast schon zenartiger Hingabe den Parmaschinken schneidet. Oder wenn Matteo den Sommelier gibt und durch den beeindruckend gefüllten Weinkeller führt …
Wohnen mit Rapunzel-Feeling
Vor dem Vergnügen lag freilich harte Arbeit. Zunächst bauten die Primatestas die alte Turmruine auf und aus, die noch von der ursprünglichen Besiedlung zeugte. Der sogenannte roccolo wurde im Piemont ab dem 15. Jahrhundert und bis zum offiziellen Vogelfangverbot als steinerner Jägerstand genutzt. Eine Umrahmung aus dichten, buschigen Bäumen machte es Vögeln nicht einfach, dem Labyrinth aus Botanik und Architektur wieder zu entkommen. Sie gingen so schnell ins Netz.
Heute steht der Turm frei inmitten des weilerartigen Ensembles. Es fällt dennoch schwer, ihn zu verlassen. Denn der schmucklose Rapunzelbau beherbergt auf drei Etagen nicht nur die Rezeption des La Darbia, sondern oben auch eine Wohnung mit spektakulärem Panoramablick.
See oder Salzwasser-Pool?
Das Projekt wuchs – wie der Weingarten – organisch weiter. Es folgten an der einstigen Turmruine ausgerichtete Ferienappartements, deren beige, von kompakten Granitblöcken durchbrochene Fassaden die regionale Bauweise zitieren. Jede der zwanzig Einheiten mit ihren zwei oder auch drei Zimmern ist auf den See ausgerichtet und verfügt über eine eigene Terrasse oder einen Gartenanteil mit überdachter Pergola und Zugang zum Salzwasser-Pool.
Zum 10-Jahre-Jubiläum 2022 haben sie ein inneres Restyling erhalten – jedes ein individuelles und nahezu plastikfreies in Naturtönen. Ob „Buongiorno Rosa“ oder „A.D. 1880“: Nicht nur in ihren Namen, sondern auch in den Interior-Details und Möbeln spiegelt sich die Vergangenheit wider. Lokale Materialien wie gespaltener Gneis oder glatter Kalkputz sprechen in Verbindung mit schnörkellosem Kunsthandwerk alle Sinne an. Eine unaufdringliche Eleganz, die keine lauten Töne braucht, um zu beeindrucken. „Sobrio“, wie die Italiener sagen würden.
Dialog mit der Landschaft
Dieses ganzheitliche Planungskonzept setzte sich auch beim später dazugekommenen Restaurant mit seiner Holzfassade und der Outdoor-Bar fort. Die Gebäude fügen sich organisch in die terrassierte Landschaft und die Gemüse- und Obstbaumgärten ein, die die Hotelküche versorgen.
Die Architektur des La Darbia besinnt sich auf das Erbe der am Ort ausgebildeten Bauweise, adaptierte sie behutsam und im Dialog mit der wachgeküssten, alten Architektur-Landschaft. Zu jener gehört übrigens auch ein Aquädukt. Aus der Quelle, die direkt auf dem Anwesen entspringt, sprudelt auch in Zeiten allgemeiner Wasserknappheit naturreines Trinkwasser verlässlich in den Brunnen der Hotelanlage.
Dass man im hauseigenen Restaurant La Cucina lieber Wein trinkt, ist eine andere Geschichte. Er paart sich halt einfach zu gut mit den Speisen aus der Null-Kilometer-Küche von Matteo Monfrinotti. Der Chefkoch – blutjung, aber mit bemerkenswerter Vita – zaubert den Geschmack des Piemonts auf die Teller.
Und während man sich verwöhnen lässt und den Blick über den See und die Architektur davor schweifen lässt, wünscht man sich, man könnte dichten wie der anfangs erwähnte Lord Byron, um den poetischen Moment festzuhalten. Obwohl: Am besten ist es doch, schweigend zu genießen. Denn nur dann bleibt der Geheimtipp La Darbia auch ein Geheimtipp …
Text: Daniela Schuster
Bilder: Tobias Kaser / v2com