Kostbares Fundstück revitalisiert
5468796 Architecture denkt den Wohnbau neu. Beim Pumphouse in Winnipeg haben Fußgänger Priorität, Innenkorridore werden zu gemeinschaftlich genutzten Außenräumen und eine dynamische Konfiguration sorgt für optimierte Wohnqualität.
Das kanadische Büro 5468796 Architecture trat als Retter eines Wasserversorgungsgebäudes aus dem frühen 20. Jahrhundert in Winnipeg auf. Bei der Renovierung des Pumphouses wurden die industriellen Anlagen erhalten, während das historische und denkmalgeschützte Bauwerk für einen modernen Nutzungsmix aus Büro, Wohnen und Gastronomie umgestaltet wurde.
14 Anläufe zum neuen Leben
Es brauchte 14 Anläufe, bevor das ehemalige Pumpenhaus in der kanadischen Stadt Winnipeg sein neues Gesicht erhielt. Etwaige Entwürfe für eine Nachnutzung schienen entweder nicht machbar oder wirtschaftlich nicht tragfähig.
Die 1901 auf dem Bahngelände zur Unterstützung der städtischen Wasserversorgung errichtete James Avenue Pumping Station wurde 1986 stillgelegt. Die Stadtverwaltung wusste über viele Jahre nicht so recht, was sie mit dem Gebäude anfangen sollte.
Zudem wurde das Pumpwerk 1982 unter Denkmalschutz gestellt. Diese Einstufung stellte eine große Herausforderung dar, da sie den Erhalt der Pumpentechnik, der Backsteinfassade, der Fenster, des Betonfundaments und des Holzdachs zur Vorgabe machte.
Breite Unterstützung für das neu gedachte Pumphouse
Doch dann trat das lokale Büro 5468796 Architecture auf den Plan. Die Architekten bezeichnen das Objekt liebevoll als „Fundstück“. Sie steuerten nicht nur den Entwurf bei, sondern gleich auch die Finanzplanung und eine Machbarkeitsstudie. Das Pumphouse-Projekt erhielt damit die breite Unterstützung seitens der Gemeinde, der benachbarten Eigentümergemeinschaften und des Denkmalschutzkomitees von Winnipeg, der Hauptstadt der kanadischen Provinz Manitoba.
Zwei Eingriffe machten das Projekt realisierbar. Zum einen wurden die ursprünglichen Kranbahnschienen genutzt, um eine „schwebende Etage“ über den darunterliegenden historischen Maschinen zu errichten. Zum anderen erhielt das Ensemble auf dem schmalen, nur zwölf Meter breiten Grundstück zwischen Pumpwerk und Straße einen ultradünnen Wohnblock.
„Schwebende“ Büroetage in historischem Pumphouse
Ergänzt wurde das ehemalige Pumpwerk um ein größeres Wohngebäude auf einer bislang unbebauten Parzelle auf der gegenüberliegenden Seite, dem Waterfront Drive, einer belebten Straße, auf der einst Züge rollten. Dadurch wurde das gesamte Projekt mit 7.108 Quadratmetern Fläche sowohl ökonomisch sinnvoll als auch gesellschaftlich wertvoll.
Den Großteil der historischen Maschinen kann man im Inneren des Backstein-Gebäudes heute noch bestaunen. 5468796 Architecture plante die Tragkraft der ursprünglichen Krananlage ein, um eine „schwebende Etage“ im großen zentralen Saal über den alten Anlagen zu installieren.
Der so entstandene Bürokomplex ist aus Stahl und Glas konstruiert und über eine Reihe von Stegen zugänglich, die sich durch den unteren Bereich des Gebäudes ziehen, wo die Maschinen weitgehend unberührt blieben. Im Stahl-Glas-Gebäudeteil ist auch ein Restaurant untergebracht.
Schlichter Industrie-Charakter blieb erhalten
Die Büroräume sind mit polierten Betonböden ausgestattet. Die ursprüngliche industrielle Dachkonstruktion wurde sichtbar belassen. Neue Oberlichter lassen nun viel natürliches Licht in das Office hinein. Die Stahlträger und Verstrebungen der Wände ermöglichten es, die erforderliche Glasdicke auf die Hälfte sowie den Bedarf an speziellen Installationen zu minimieren. Dies half die Bauzeit zu verkürzen und den ökologischen Fußabdruck gering zu halten. Gleichzeitig blieben auch die Baukosten mit 22 Millionen Dollar im Rahmen.
Aufgeständert auf Säulen, die die Struktur der Kranbahnen fortführen, erheben sich die zwei freistehenden Wohngebäude mittlerer Höhe. Die industrielle Ästhetik auf dem Gelände bleibt somit erhalten.
Wohnraum auf Säulen für ungehinderten Fußgängerverkehr
Zudem können sich Fußgänger darunter ungehindert bewegen. Barrierefreie Wege und Plätze integrieren zwei Freiluft-Amphitheater, öffentliche Plätze und zwei Fußgängerbrücken, die das Ensemble verbinden. Ebenfalls erhalten durch die räumliche Trennung der Wohngebäude vom ehemaligen Pumpwerk blieb der historische Straßenverlauf.
Die Nord- und Südfassaden sind durch offene Treppenhäuser geprägt, die Ausblicke auf Stadt, Fluss und Park gewähren. Abgeschirmt durch feine Metallgitter sind diese über Fußgängerbrücken mit dem restaurierten Pumpenhaus verbunden.
Die offene Struktur ersetzt herkömmliche Innenflure und verwandelt die Treppenhäuser in lebendige Außenpassagen. Es entstehen gemeinschaftliche Flächen für nachbarschaftliche Interaktion. Die durchgängigen Passagen spiegeln die verwinkelten Straßen des Exchange Districts von Winnipeg wieder, in dem das Gebäude steht, und fördern die enge Integration von Wohnen, Leben, Arbeiten und Gemeinschaft vor Ort.
„Skip-Stop“-Konfiguration der Wohneinheiten
Außerdem wurde eine „Skip-Stop“-Konfiguration angewendet, die sich durch abwechselnde ein- und zweigeschossige Wohneinheiten auszeichnet. Der Zugang zu den Apartments erfolgt jeweils nur auf jeder zweiten Etage. Dies steigert die Flächeneffizienz – die bebaute Fläche konnte um zehn Prozent reduziert werden. Außerdem ermöglicht das Konzept die Querlüftung und natürliche Belichtung aus zwei Richtungen, was wiederum dazu beiträgt, den Energieverbrauch zu senken.
Die in Holzrahmenbauweise errichteten Wohnkomponenten ragen etwas mehr als neun Meter über Straßenniveau auf Betonplattformen und Stahlstützen empor. Ihre schwarze, geriffelte Metallfassade bildet einen scharfen Kontrast zur soliden Backsteinstruktur des historischen Gebäudes. Böden und Decken bestehen aus nagellaminierten Holzbalken – eine Hommage an die industrielle Bauweise der Umgebung. Die Wohnräume sind mit raumhohen Verglasungen ausgestattet, die einen Panoramablick auf die Stadt oder das Flussufer bieten.
„Dankbares“ Refurbishing-Objekt
Ehemalige Pumpenhäuser sind ein „dankbares“ Refurbishing-Objekt. Ein anderes vergleichbares Sanierungsprojekt ist etwa die Umgestaltung eines Kraftwerks am Gowanus-Kanal in Brooklyn durch das Schweizer Architekturbüro Herzog & de Meuron.
Ein optisches Meisterwerk hat auch Wutopia Lab aus einem ehemaligen Pumpwerk gemacht. Mit dem „Shrine of Everyman” wurde daraus ein meditativ-ätherischer, fast sakraler Rastplatz nahe Shanghai.
Auszeichnung und viel Lob
5468796 Architecture hat für das Pumphouse im Auftrag des Developers Alston Properties die Auszeichnung Governor General’s Medals in Architecture 2024 des Royal Architectural Institute of Canada (RAIC) entgegen nehmen dürfen. Die Jury lobte die sensible Sanierung, die ein tiefes Verständnis für das Potenzial des Gebäudes zeigt sowie die intelligente Raumnutzung. Überzeugend sei weiters gewesen, dass die historischen Maschinen als architektonische Artefakte in Szene gesetzt werden.
Das Pumphouse-Projekt zeige, wie eine denkmalgeschützte Industrieanlage durch kreativen Städtebau, nachhaltige Materialien und innovative Nutzungskonzepte in die Zukunft geführt werden könne. Es verbinde historische Substanz mit modernem Wohn- und Arbeitsraum und setze neue Maßstäbe für die Umnutzung industrieller Gebäude.
Geschichtsträchtige Lage im einstigen „Chicago des Nordens“
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war Winnipeg Kanadas Boomtown. Bereits ein wichtiger Handelsplatz wegen der günstigen Lage am Zusammenfluss des Assiniboine- und des Red River, machte die Eröffnung der Canadian Pacific Railway im Jahr 1881 die Stadt zu einem internationalen Zentrum für Getreidehandel und Landwirtschaft. Dies brachte Winnipeg den Spitznamen „Chicago des Nordens“ ein.
Während dieser Blütezeit entwickelte sich das Quartier Exchange District, ein 20-Block-Gebiet entlang des Red River, zum wirtschaftlichen und kulturellen Kern der Stadt. Hier befanden sich die wichtigsten Finanzinstitute, Geschäfte und Kultur- und Unterhaltungseinrichtungen.
Obwohl Winnipegs industrielle Bedeutung im Laufe eines Jahrhunderts abgenommen hat, sind Spuren dieser goldenen Ära noch heute sichtbar: Kopfsteinpflasterstraßen, enge Gassen und architektonische Juwele wie mit Terrakotta verkleidete Wolkenkratzer im Chicago-Stil. Auch imposante Lagerhäuser aus Stein und Backstein sind teils noch erhalten.
Die einstöckige Pumpstation wurde gebaut, um die zahlreichen Brände im Distrikt zu bekämpfen. Jahrzehntelang versorgte das Backsteingebäude mehr als 70 Hydranten in der Innenstadt mit Wasser.
Text: Linda Benkö
Fotos: James Brittain, Wutopia Lab/CreatAR Images