Projekt ORF-Campus: Neues vom Küniglberg
Sanierung und Umbau des ORF-Zentrums laufen auf Hochtouren. Ein moderner multimedialer Newsroom wird das Herzstück bilden. Bis 2022 sollen alle ORF-Mitarbeiter in den neuen Mediencampus am Wiener Küniglberg übersiedeln. Kein leichtes Unterfangen für Planer und Bauherrn des architektonisch außergewöhnlichen Großprojekts.
Der Küniglberg. Unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2022 und rund 3.500 Beschäftigte bemühen sich gemeinsam im Wiener ORF-Zentrum um qualitätsvolle Medienarbeit…
Die Pläne für den neuen Mediencampus des Österreichischen Rundfunks (ORF) können durchaus solche Assoziationen mit der legendären TV-Serie „Raumschiff Enterprise“ wachrufen. Nicht nur, weil die bestehende Anlage gewaltige Dimensionen hat. Wie Captain Kirks Weltall-Mobil hat auch sie bereits lange, abenteuerliche Jahre überdauert. Und ihre „Reise“ in die Zukunft ist mit beträchtlichen Herausforderungen verbunden.
Die Ruhe nach dem Spatenstich
Um die aktuellen Baufortschritte ist es seit dem Spatenstich für den Neubau am Küniglberg im vergangenen August recht still. Es ist – jedenfalls für ein öffentliches Bauwerk – sogar auffallend ruhig um das Projekt geworden. Auch seine Kritiker sind weitgehend verstummt. Und dies, obwohl Anrainer durch das Großprojekt Abstriche in Sachen Lebensqualität befürchtet hatten und mehr als 1.000 ORF-Mitarbeitern die Übersiedlung ins abgelegene neue Zentrum bevorsteht.
Allerdings: Läuft alles wie geplant, wartet der um- und ausgebaute Campus mit zukunftsfitten, vielversprechenden Möglichkeiten und Arbeitsbedingungen auf.
Noch sind die schon länger laufenden Sanierungsarbeiten an der bestehenden Bausubstanz nicht abgeschlossen. Eine beträchtliche logistische Herausforderung, weil der Umbau bei laufendem Produktionsbetrieb erfolgen muss.
Bautätigkeit bei laufendem Betrieb
Das von Architekt Roland Rainer in den späten 1960er Jahren entworfene ORF-Zentrum hatte diese Generalüberholung jedoch dringend nötig. „Rainer war ein genialer Architekt, aber ein schlechter Baumeister“, urteilt Sanierungs- und Bau-Koordinator Pius Strobl. Es gelte, viele versteckte Baumängel zu beheben.
Obendrein habe der Komplex den EU-Vorgaben für Erdbebensicherheit nicht mehr entsprochen: „Es bestand bereits Gefahr für Leib und Leben. Einzige Alternative zur raschen Sanierung wäre also die Aufgabe des Komplexes und die Ansiedelung des gesamten ORF an einen anderen Standort gewesen“.
In puncto Funktionalität sei Roland Rainers Werk jedoch großartig, lobt Strobl: „Das Haus hat alle bisherigen technischen Entwicklungen ausgehalten. Nur: Das TV-Geschäft verändert sich seit Jahren radikal und schnell“.
Dies lässt sich schon anhand eines sehr simplen Beispiels nachvollziehen: Die Digitalisierung hat das Schleppen und Lagern schwerer Filmrollen obsolet gemacht, zugleich aber den Stromverbrauch drastisch gesteigert und vervielfacht.
Küniglberg, Plan B: Abriss statt Erweiterung
Seit dem Beschluss, das ORF-Zentrum zu erneuern, haben sich allerdings auch die Projektvorgaben stark verändert: Eine noch 2014 geplante, bauliche Erweiterung musste gestrichen werden, weil die nötige Umwidmung der dafür vorgesehenen Fläche ausblieb.
Stattdessen müssen für den Neubau alte Lager- und Werkstätten-Hallen abgerissen werden, um Platz für die neuen Campus-Objekte zu schaffen. Bruttofläche: 35.000 Quadratmeter.
„Wir mussten rasch einen Plan B entwickeln, um diese Nuss zu knacken“, rekapituliert der mit der Generalplanung beauftragte Architekt Paul Jung vom Büro Riepl, Kaufmann, Bammer. Lange Verzögerungen hätten die Kosten des Projektes erhöht.
Neugestaltung der „Stadt in der Stadt“
Nachträglich sieht Jung jedoch auch Positives im damals unerwartet aufgetretenen Problem: „Dass es nach einer schwierigen Phase so gut geklappt hat, hat das Projekt für mich zu einem persönlichen Herzensanliegen gemacht. Es ist schön, kein unbeschriebenes Blatt auf eine grüne Wiese zu setzen und von Anfang an mitzuwirken, wenn eine solche Stadt in der Stadt neugestaltet wird“.
Hier müssen sich verschiedene Einheiten mit jeweils starker Markenidentität wiederfinden. Die eigenständigen Häuser waren es, die zum Leitgedanken der Campus-Struktur führten
Paul Jung, Architekt
Das Projekt am Küniglberg sei besonders spannend, weil es die Weiterentwicklung eines bestehenden, lebendigen Standortes mit prägender Architektur sei, beschreibt Jung: „Hier müssen sich verschiedene Einheiten mit jeweils starker Markenidentität wiederfinden. Die eigenständigen Häuser führten zum Leitgedanken der Campus-Struktur“.
Die Verbindung bestehender Freiflächen und neuer Projektteile sei essenziell für jene Vernetzung, die journalistische Arbeit erfordert.
Gemeinsame technische Anlagen wie der neue multimediale Newsroom sollen den verschiedenen ORF-Sendern am neuen Standort optimale Kooperationsmöglichkeiten bieten. „Wir wollen eine zeitgemäße Arbeitswelt schaffen. Auch, indem wir Büro- und Produktionsflächen zusammenführen. Abschottung dieser Bereiche voneinander wäre in einem Medienbetrieb kontraproduktiv, weil sich alle Ströme überlagern“, analysiert Jung.
„Herzstück“ Newsroom
Zum Bau selbst berichtet der Architekt: „Das Gebäude ist nicht stark nach außen gerichtet. Geschichtete horizontale Objekte sind hier eine Referenz an Bestehendes, die multimediale Nähe und kommunikative Offenheit ergibt“.
Der Newsroom wird das Zentrum des neuen Hauses bilden. In Verbindung mit dem Vorplatz ergibt sich eine großzügige Raumfolge, die Innen und Außen vielschichtig miteinander verschränkt. Alle unterschiedlichen Arbeitszonen der verschiedenen ORF-Sender werden dadurch leicht erreichbar und auf kurzen Wegen mit dem Newsroom verknüpft.
Der baulichen Struktur attestiert Paul Jung lange Lebensdauer: „Ein guter Raum kann lang viel leisten, auch wenn die darin liegende Produktion rasanter Veränderung unterworfen ist. Der Gedanke der Flexibilisierung der Arbeitswelt liegt unserem Plan bereits zugrunde. Die vorgesehenen Möglichkeiten zur Flexibilisierung dienen der Lebensdauer des Gebäudes“.
Weniger Stützen, mehr nutzbarer Raum
Gebaut wird innerhalb bestehender Kubatur. Man habe ein Tragwerk entwickelt, das besonders große Spannweiten beherrscht: „Jede Stütze, die wir sparen, ist ein Vorteil, weil so mehr nutzbarer Raum bleibt“. Überbaut werden ein Erdgeschoß und zwei Tiefgaragenebenen. Fundierung und Tragwerk sind aus Beton, beim Bauwerk kommt Stahl zum Einsatz.
Fertigstellung bis Ende 2021
Bis zum vierten Quartal 2021 werden sowohl Neubauten als auch Sanierungsarbeiten abgeschlossen sein, ist Koordinator Strobl überzeugt: „Dann werden noch die rundfunktechnischen Einbauten vorgenommen. In der zweiten Hälfte des Jahres 2022 werden dann auch die Übersiedlung und das Einsiedeln all jener Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen abgeschlossen sein, die derzeit noch im Funkhaus, im Ö3-Gebäude Heiligenstadt oder in angemieteten Büros arbeiten“.
Dass dann insgesamt rund 3.500 Menschen hier ihrer Arbeit nachgehen werden, hat ein Umdenken in Sachen Mobilitätsmanagement unumgänglich gemacht. Das Konzept, auf das der ORF dabei zurückgreift, wurde gemeinsam mit der Technischen Universität Wien entwickelt.
Neues Mobilitäts-Management
„Für die rund 750 vorhandenen Stellflächen am Küniglberg werden etwa 1.100 Berechtigungen nach einem strengen, aber absolut transparenten Punktesystem vergeben. Faktoren wie Wohnort oder Art der Tätigkeit sind dabei ausschlaggebend. Es spielt etwa auch eine Rolle, wenn jemand alleinerziehend ist“, erklärt Strobl.
Die Preise der einzelnen Stellflächen wurden deutlich erhöht, gleichzeitig aber sozial gestaffelt. So kostet ein Stellplatz im ORF-Zentrum nun zwischen 20 und 80 Euro pro Monat. Dienstwagen werden in einem Logistik-Zentrum in Wien Liesing bereitgestellt.
Förderung für „Öffi“-Fahrer
Der ORF bietet seinen Mitarbeitern inzwischen die Möglichkeit so genannter Jobtickets. Bis jetzt haben 1.400 Beschäftigte von diesem Angebot Gebrauch gemacht. Das Unternehmen fördert Jobtickets, also den Kauf von Jahreskarten für öffentliche Verkehrsmittel.
Strobl: „Überraschend viele MitarbeiterInnen haben sich bereits für diese geförderten Jahreskarten entschieden und verzichten damit auf ein KFZ für den Weg von und zur Arbeit. Seit Juli gibt es auch keine fixen Stellflächen – abgesehen von jenen der Direktoren – mehr, sondern nur mehr Wechselstellflächen. Es war natürlich nicht leicht, Mitarbeitern ihren bisher angestammten Platz zu nehmen. Aber das Kernproblem war, dass diese Parkflächen während dienstfreier Zeiten, Urlauben oder Dienstreisen immer leer standen, obwohl wir sie dringend benötigt hätten. Jetzt muss man zwar suchen, aber die Auslastung ist deutlich besser“.
Harte Zeiten am Küniglberg
Derzeit sind die Entstehung des neuen Campus und die Sanierungen für viele Mitarbeiter absolut kein Honiglecken, wie Strobl feststellt: „Wir müssen ja bei laufendem Betrieb umbauen. Da sind Staub und Lärm eine große Belastung. Ein paar Hundert arbeiten in ausgelagerten Büros und in Containern. 800 werden allein heuer innerhalb der Gebäude umgesiedelt – manche sogar mehrfach“.
Die Kostenseite der Umgestaltung hingegen scheint aktuell kein Kopfzerbrechen zu bescheren. Projektleiter Strobl versichert, dass die 2014 genehmigte Gesamtsumme von 303 Millionen Euro nicht überschritten werden wird. Obwohl der Plan inzwischen verändert werden musste und „ausräumen teurer ist, als neu zu bauen“. Die Kontroversen mit Anrainerinitiativen seien mittlerweile weitestgehend beigelegt.
Zügig Richtung gute Zukunft
Der planmäßigen Fertigstellung des Mega-Projektes am Küniglberg stehe also nichts im Wege. Bleibt abzuwarten, ob dem „Raumschiff“ ORF-Zentrum noch weitere Herausforderungen begegnen. So sehr das wichtige Medienunternehmen auch der Modernisierung seines Standortes bedarf: Ein „Traumschiff“ ist es für viele vom Umbau Betroffene derzeit jedenfalls noch nicht.
Text: Elisabeth Schneyder
Bilder: Paul Jung, Kastler, Vasko, Elisabeth Schneyder